Frankreich: Angriffe auf Parlamentarier, Angst vor Eskalation

Bereits den 14. Samstag in Folge demonstrieren die "Gelbwesten".
Vor dem morgigen Demo-Samstag wünscht eine Mehrheit der Franzosen erstmals das Ende der Gelbwesten-Aktionen.

Woche für Woche das selbe Spektakel: Paris und etliche Provinzstädte stehen am Vorabend des vierzehnten Demonstrations-Samstag der Gelbwesten. Die Teilnehmerzahlen schrumpfen, aber die Gewaltbereitschaft wächst.

In Paris bleibt der Gewöhnungseffekt aus. In den Vierteln, wo es zu Straßenschlachten mit der Polizei, zu Brandlegungen und zu Zerstörungen von Geschäften, Autos, Motorrädern und

Bus-Unterständen kommt, schleicht sich bei so manchen Zeugen des Geschehens ein Gefühl der Unsicherheit und Hilflosigkeit ein. Immerhin wurden am vergangenen Samstag in einigen Fällen Anrainer, die von ihren offenen Fenstern in umliegenden Gebäuden den Demonstranten zusahen, mit Steinen beworfen.

In Provinzstädten, wo der Kleinhandel schon zuvor ums Überleben kämpfte, droht tausenden kleinen Geschäften der Ruin. 72.000 Angestellte wurden in die Kurzarbeit geschickt, also vorübergehend vor die Tür gesetzt – mit der Sorge, ihr Dienstgeber könnte in der Zwischenzeit definitiv sperren.  

Wohnsitz des Parlamentspräsidenten angezündet

Obendrein kam es zu einer Flut von Todesdrohungen und Angriffen gegen Parlamentarier der Partei von Präsident Macron. 80 Parteilokale wurden verwüstet, in einigen Fällen erfolgten Brandanschläge gegen Familien-Wohnsitze der Parlamentarier und sogar ihrer Verwandten. Zuletzt wurde im Haus des Parlamentspräsidenten Richard Ferrand in der Bretagne Feuer gelegt. Darauf gab es erstmals Solidaritätsbeteuerungen für die bedrohten Parlamentarier auch von Seiten des Linkstribuns Jean-Luc Melenchon und der Nationalistin Marine Le Pen.    

Die Zerstörungswut ultralinker und ultrarechter Aktivisten, die jedes Mal einen Teil der demonstrierenden Gelbwesten mitreißen, macht auch vor Anti-Terror-Einrichtungen nicht Halt: eine Schutz-Glaswand, die den Eifelturm umgibt, wurde am letzten Samstag schwer beschädigt und das – zum Glück leerstehende – Auto einer Überwachungs-Einheit angezündet.

Im Milieu der Gelbwesten empört man sich hingegen über die vielen verletzten Demonstranten. Über ein Dutzend sollen ein Auge verloren haben, fünf Demonstranten wurden eine Hand zerfetzt – durch Gummi-Geschosse und Tränengasgranaten, die auch Sprengstoff enthalten. Deren Einsatz wird auch von Frankreichs obersten Ombudsmann kritisiert. Aber die Polizei sieht darin das letzte Mittel, um sich brachialen und zahlenmäßig überlegenen Angreifern, wie in der Vorwoche vor dem Parlament, zu erwehren, ohne tödliche Schusswaffen einzusetzen.

Widersprüchliche Stimmung

Das Stimmungsbild, das die letzte Umfrage erbrachte, bleibt widersprüchlich: einerseits äußern 58 Prozent der Befragten Sympathie für die Gelbwesten. Das ist zwar noch immer eine Mehrheit, ein gewisser Rückgang wird aber sichtbar: innerhalb eines Monates verringerte sich das Sympathie-Potential für die Gelbwesten um 5 Prozent. Zu Beginn, also vor drei Monaten, wurden die Gelbwesten von über 70 Prozent der Bevölkerung unterstützt.

Vor allem aber wünscht erstmals eine Mehrheit von 56 Prozent (ein Plus von 11 Prozent innerhalb eines Monats), dass die Gelbwesten ihre Aktionen und vor allem die gewaltschwangeren Samstags-Demos einstellen.

Die ursprüngliche Sympathie speiste sich aus einer sehr diffusen aber extrem verbreiteten Unzufriedenheit gegenüber den Politikern im Allgemeinen und Präsident Emmanuel Macron im Besonderen. Dazu kamen die vielfältigsten und widersprüchlichsten Anliegen, die ja auch die aktivsten Kerne der Gelbwesten untereinander trennen: die einen fordern die Erhöhung des (in Frankreich staatlich fixierten) Mindestlohns und eine stärkere Besteuerung der Reichen und Spitzenverdiener, weswegen sie die von Macron abgeschaffte Vermögenssteuer wieder einführen wollen. Die anderen wollen Steuern und Gebühren generell senken, pochen aber gleichzeitig auf dem Bestand und sogar Ausbau eines Großteils der öffentlichen Dienste.

Andere wiederum fordern vor allem die Einführung des Rechts auf Volksbegehren, für die in Frankreich bisher hohe Hürden gelten: für ein Referendum, das nicht von der Staatsführung beschlossen wird, ist die Unterstützung von einem Fünftel der Parlamentarier und einem Zehntel der wahlberechtigten Bürger erforderlich.

Wirrwarr bei Gelbwesten

Wobei ein Teil der Gelbwesten gleich jedes neu beschlossene Gesetz automatisch einer Volksabstimmung unterwerfen wollen. Einige wollen das Parlament bei seinen Entscheidungsbefugnissen durch eine so genannte Bürger-Versammlung faktisch an die Kandare nehmen. Das wirkt umso absurder, als die Gelbwesten selber bisher nicht einmal eine eigene gemeinsame Vertretung auf die Beine stellen konnten. Als ihr ultimatives und einziges wirklich gemeinsames Mantra erschallt bei ihren Demos nur der Ruf nach Rücktritt von Präsident Macron.

Inzwischen hat aber dieser Wirrwarr an teilweise ziemlich radikalen Wünschen, die Unfähigkeit der untereinander zerstrittenen Gelbwesten eine gemeinsame Organisation zustande zu bringen und vor allem die Hassparolen und die Gewalttätigkeiten, die ihre Aktionen begleiten, doch zu einer schrittweisen Abkühlung der Sympathien für diese Bewegung geführt.

Für viele Franzosen ist jetzt noch weniger klar als zu Beginn der Proteste, wofür die Gelbwesten eigentlich einstehen. Zumal Macron erhebliche und spürbare Zugeständnisse gemacht hat: die Erhöhungen der Gebühren auf Sprit (die die Gelbwesten-Bewegung ursprünglich unter Pendlern in der Provinz ausgelöst hatten) wurden zurückgenommen. Auch eine Steuererhöhung auf Pensionen wurde für die allermeisten Rentner wieder annulliert. Schließlich beschloss Macron eine verstärkte und ständige staatliche Prämienzahlung für Geringverdiener, die einer substantiellen Anhebung des Mindestgehalts gleichkommt – alles in Allem ein Mehraufwand von über 11 Milliarden Euro für den französischen Staat.     

Macron findet wieder mehr Gehör

Gleichzeitig ist der von Macron erdachte „Grand Débat“ in Fahrt gekommen: dieser landesweite Diskussionsprozess soll die künftigen Regierungsentscheidungen mitbestimmen. Für den harten Kern der Gelbwesten ist das nur eine „Propaganda-Show“ der Staatsführung, aber ein Teil der Bevölkerung will diese Chance für Mitsprache nutzen. Bisher wurden bereits 6000 Diskussionsveranstaltungen im Rahmen des „Grand Débat“ abgehalten – manche unter Beteiligung von Macron oder von Ministern, manche mit Abgeordneten oder Bürgermeistern und manche ohne Politiker, bloß auf Eigeninitiative von Ortsvereinen oder engagierten Bürgern.

Die Teilnahme ist sehr unterschiedlich, manchmal sind die Säle überfüllt, manchmal floppen die Veranstaltungen. Junge Menschen und Gelbwesten sind nur in geringem Maß dabei. Aber in der Öffentlichkeit ist doch eine gewisse Erwartungshaltung bezüglich der Ergebnisse dieses Diskussionsprozess und seiner Folgen auf Regierungs-Ebene spürbar. Macron hat die Kraftprobe mit den Gelbwesten noch nicht völlig hinter sich, er hat aber etwas mehr Spielraum und Gehör in der Bevölkerung gewonnen als zu Beginn der Krise.

Kommentare