Mit den Backstreet Boys für Gaza

epa03725700 Fans of Palestinian singer Mohammad Assaf watch him on a huge screen as he performs in the Arab Idol competition in Nablus, West Bank, 31 May 2013. Since March, the 22-year-old is Gaza's powerful voice. Palestinians watch him every weekend to the ranks of only seven remaining singers in a Beirut-based competition that started out with 27 contestants. EPA/ALAA BADARNEH
Mitten im Streit zwischen Hamas und Fatah eint ein junger Sänger das Volk.

Gaza ist nicht Dschibuti“, sagt Ahmed Balousha. Er meint es ernst, lacht aber. Dann legt er sein Smartphone auf den Tisch in der Hotelbar, in der Männer und Frauen Shisha rauchen. Der 24-Jährige trägt Karohemd und Haargel. Ihm gefällt nicht, wie im Ausland über Gaza berichtet wird. Über Raketen, Hamas, Dschihad und Terroristen. „Wir sind mehr als das.“ Junge Menschen in der Bar nicken ihm zu, Balousha ist hier eine Berühmtheit. Seit einem Jahr moderiert der Uniabsolvent die Sendung „Shareeda“ (Flucht), die über YouTube ausgestrahlt wird. Darin interviewt er junge Menschen zu Alltagsthemen – mit viel Humor. Mehr als 15.000 Klicks hat er pro Sendung.

95 Prozent der Jugendlichen würden aus dem hoffnungslosen Gaza weggehen, wenn sie könnten, glaubt Balousha. Obwohl sie Gaza lieben. Er selbst war noch nie „draußen“, sagt er. Es scheint dem gebildeten jungen Mann peinlich zu sein.

Kritik an Hamas

Mehrmals im Ausland war hingegen die Hip-Hop-Band „Palestinian Unit“. Zwei Mitglieder fanden in Skandinavien Asyl. „Ich kann das niemandem verübeln“, sagt Rapper Ayman Mhghames. „Aber wenn alle weggehen, wer bleibt dann und kämpft für ein besseres Gaza? Israel holt mit viel Geld Leute ins Land, Palästinenser rennen weg.“ Die Band rappt gegen alles, was der Jugend aufstößt. Sie schreckt vor Kritik an der Hamas-Regierung nicht zurück. „Mit Allah kann man keine Politik machen“, glaubt der 28-jährige Mghames. „Das ist Missbrauch.“ Der Moderator Balousha wollte zuvor mit dem KURIER nicht über Hamas reden. „Die verhaften mich sonst“, sagte er. Ob es gefährlich ist, die Regierung zu kritisieren, will der KURIER von Mghames wissen. „Vielleicht. Aber ich lüge ja nicht.“

Auf den Straßen von Gaza City riecht es nach Abgasen, überall sind Generatoren zu hören. Hier und da ein Muezzin, Autos, aufgeregte Stimmen. Man merkt, dass die Stadt dicht besiedelt ist. Richtig still ist es selten. Kinder und Jugendliche tragen stolz Fußballdressen von Messi, Drogba und Ronaldo.

Die jungen Menschen kennen die Welt „da draußen“ aus TV und Internet. Sie haben es satt, keine Perspektiven zu haben. Sie haben es satt, nicht raus zu können. Sie sind gut gebildet und trotzdem ist jeder Zweite arbeitslos. Sie wollen sich von Sittenwächtern der Hamas nicht mehr sagen lassen, ob ihre Kleidung oder Frisur angemessen ist und ob ihre Kunst legal oder illegal ist. Und von den Israelis nicht, wann sie reisen dürfen.

Die Rakete aus Gaza

Doch am meisten haben sie es satt, dass die palästinensische Politik nicht an einem Strang ziehen kann, um gegen die Gaza-Blockade zu kämpfen. Die großen Parteien Hamas und Fatah scheinen eher gegen- als miteinander zu arbeiten. Für die ersehnte Einheit rappt Palestinian Unit, für sie sendet Ahmed Balousha seine Clips aus Gaza hinaus.

Aber jeden Freitag ist die Einheit ein Stück weit da. Da treffen sich die jungen Menschen in Gaza City in Cafés, Wohnungen oder Hotelbars zum Public Viewing. Denn da läuft die Casting Show „Arab Idol“ auf dem Sender MBC. Sie haben genug davon, ständig an Krieg und Leid erinnert zu werden. Jetzt haben sie eine Ablenkung. Gemeinsam drücken sie die Daumen für Mohammed Assaf. Der 22-Jährige singt im Studio in Beirut palästinensische Volkslieder und Songs von den Backstreet Boys. Manchmal in Jeans, manchmal im Anzug, manchmal mit der „Kufiya“, dem Palästinenserschal, auf den Schultern. Der fesche junge Mann mit dem strahlenden Lächeln ist ein Star – nicht nur in Gaza.

„Palästinenser denken immer an Krieg und Besetzung. Jetzt können wir an was Schönes denken. Assaf hat in kurzer Zeit viel verändert“, schwärmt Ahmed Balousha. Mitten in den Differenzen zwischen Hamas und Fatah hat sich der Student in die Herzen der Palästinenser gesungen und ist nicht nur zu einem Idol der Jugend geworden, sondern zu einem Symbol der Einheit. „Er kann uns repräsentieren. Alle unterstützen ihn“, sagt Balousha. Nicht einmal die Sittenwächter der Hamas trauen sich gegen ihn etwas zu sagen.

Auf Facebook hat Assaf 630.000 Fans, seine YouTube-Videos sehen Millionen. In der Show wird er „Rakete“ genannt. Weil scheinbar nichts aus Gaza herauskommt, außer Raketen. Doch dieses Bild will er jetzt ändern.

Videos auf Youtube:

Casting Assaf

Assaf singt Backstreet Boys

Palestinian Unit

Shareeda TV

KURIER: Gratulation zu Ihren Erfolgen bei „Arab Idol“. Sie bedeuten den Palästinensern viel...

Mohammed Assaf: Ich bin so stolz auf mein Volk. Die Leute unterstützen mich und glauben an mein Talent. Ihre Liebe ist meine Motivation - wegen ihnen mache ich immer weiter. Ich bekomme Nachrichten aus der ganzen Welt, speziell Gaza, Jerusalem, Ramallah. Ich war - wegen der israelischen Sperren und dem eingeschränkten Verkehr - in meinem Leben noch nie im Westjordanland, obwohl es Teil meines Landes ist. Ich habe Repräsentanten aus dem Büro des Premierministers getroffen, aus dem Büro des Präsidenten, Minister von der Autonomiebehörde haben mich im Libanon besucht.

Sind Sie sich bewusst, dass Sie als Person die Palästinenser von Gaza und Westbank vereinen?

Ich bin so glücklich, dass alle Palästinenser meine Songs kennen und jeden Freitag auf die Show warten. Meine Lieder unterscheiden nicht zwischen Gazanern und Westbankern, alle Parteien akzeptieren mich als „Traum von Palästina“ und Botschafter der palästinensischen Kunst und Kultur.

Sind Sie waschechter Gazaner?

Ich bin ein palästinensischer Flüchtling, geboren in Libyen, da meine Familie unsere Heimat in einer Region verlassen musste, die heute Israel genannt wird. Wir haben uns entschieden, nach Gaza zurückzukommen und hier in einem Flüchtlingslager zu leben.

Wo lebt Ihre Familie jetzt?

Wir leben heute im Lager von Khan Younis, ich ging in Schulen der UNRWA für Flüchtlinge und studiere jetzt im zweiten Jahr Medien in der Universität von Palästina in Gaza. Ich habe drei Brüder und zwei Schwestern und wir leben alle gemeinsam in zwei Zimmern.

Sind Sie vor der Show jemals aus dem Gazastreifen ausgereist?

Ich bin vor der Show nie aus Gaza ausgereist. Ich wurde außerhalb geboren, aber als ich drei Jahre alt war, ging unser Papa mit uns nach Gaza, danach bin ich nicht mehr gereist, weil ich nicht konnte. Es war auch kompliziert, zu der Show zu kommen. Es hat zwei Tage gedauert, um Kairo zu erreichen, wo das erste Casting war. Ich hatte kein Visum, um in den Libanon zu kommen. Als Palästinenser und speziell als Gazaner war es schwer, das zu bekommen.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich will auch in Zukunft weiter singen - für den Frieden und die Freiheit.

Sind Sie ein politischer Mensch?

Ich gehöre keiner Partei an, aber ich glaube an mein Recht, als palästinensischer Flüchtling in meine Heimat zurückzukehren.

Abseits der Hauptstraßen von Gaza City – mit ihren Hotelbars, Shops und Autos – findet man enge Staubstraßen. Mit dem Auto kommt man kaum weiter, das kann sich hier ohnehin keiner leisten. 38 Prozent der Bewohner des Gazastreifens gelten laut UN als arm, rund 80 Prozent sind – auch wegen mangelnder Möglichkeiten aufgrund der Blockade – von internationaler Hilfe abhängig.

Wafah und Ibrahim Alewa wohnen mit ihren neun Kindern in einem dieser Viertel, al-Shejaia. Der 40-jährige Ibrahim ist nach einem Unfall wegen psychischer Probleme arbeitsunfähig. Seine Frau Wafah versucht, täglich Mahlzeiten zu organisieren.

Familie Alewa ist einer von 7060 Haushalten, die sich für das „Fresh Food Project“ qualifiziert haben. Jeden Dienstag ging die 37-Jährige in den vergangenen 25 Wochen mit einem Baumwollsack zur Verteiler-Station, um 17 Kilogramm Tomaten, Melanzani, Zwiebel, Kartoffel und Ähnliches für die Familie zu holen. „Manchmal wecken mich die Kinder dienstags schon ganz früh, weil sie wissen, heute gibt es frisches Essen“, erzählt sie. Vor Kurzem ging Wafah das letzte Mal zur Station. Das Projekt läuft nur von Dezember bis Mai. „Für den Ramadan im Juli gibt es nichts “, sagt sie. Über den Sommer muss sie die Nahrungsmittel von ihrer bescheidenen Fürsorge auf dem Markt kaufen. Für wenig Geld bekommt man dort aber nicht viel, oder schlechtere Früchte. Die Familie wird sich auch heuer für das Projekt anmelden. Wafah hofft, dass sie wieder den Baumwollsack – und somit ein Ticket für die Lebensmittelhilfe – bekommt.

EU-finanziert

Mitorganisiert wird das Fresh Food Projekt seit 2007 von der NGO Care, die von der EU rund zwei Millionen Euro jährlich dafür bekommt.

Insgesamt erreicht Care damit fast 70.000 Menschen. Aber nicht nur armen Familien soll geholfen werden. Auch Frauen und Männer in den Abpack- und Verteiler-Stationen und 1200 Bauern profitieren davon. Ihnen wird ein großer Teil ihrer Ernte zu einem guten Preis abgekauft. Allerdings muss die Qualität passen. Waleed Erhim bekommt zwei Schekel (0,4€) für ein Kilo Tomaten. Auf dem Markt bekommt er derzeit nicht einmal einen Schekel. Auch Waleed musste sich für das Projekt erst qualifizieren. In seinem Haus wohnen 29 Menschen. Sie alle müssen von dem Einkommen aus der Landwirtschaft leben.

Spenden an Care PSK 1.236.000, BLZ 60.000 oder SMS mit Betrag an 06768007020

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