Ukraine: Angst vor Militäreinsatz

Eine Reihe von Polizisten mit Schutzschilden steht vor Rauch und Trümmern.
Klitschko warnt in einem Gespräch mit Sebastian Kurz vor der Spaltung des Landes. Folteropfer Bulatow darf ausreisen.

Der Maidan in Angst vor der Armee: Der ukrainische Oppositionsführer Arseni Jazenjuk rechnet damit, dass das Militär gegen die pro-europäischen Demonstranten vorgehen wird. Es sei "sehr wahrscheinlich", dass die Behörden zu einem "Szenario der Gewaltanwendung mit dem Einsatz der ukrainischen Armee" greifen werden, erklärte seine Vaterlandspartei am Samstag.

Am Freitag hatte sich erstmals das Militär erstmals in den Machtkampf zwischen Opposition und Regierung eingeschaltet. Soldaten und Angestellte des Verteidigungsministeriums forderten Präsident Viktor Janukowitsch in einer Erklärung auf, "im Rahmen der aktuellen Gesetze dringende Schritte" zu ergreifen, um die Lage zu stabilisieren. Sie warnten, die Proteste drohten das Land zu spalten.

Bulatow darf ausreisen

Ein Mann mit Verletzungen im Gesicht spricht in Mikrofone.
Dmytro Bulatov, 35, one of the leaders of anti-government protest motorcades called 'Automaidan', speaks to journalists after being found near Kiev in a still image from footage obtained by Reuters TV January 30, 2014. A Ukrainian anti-government activist who disappeared a week ago appeared on television on Friday, his face badly beaten and with wounds to his hands, saying he was kidnapped and tortured by his abductors who had "crucified" him. Footage taken January 30, 2014. REUTERS/Handout via Reuters Tv (UKRAINE - Tags: CIVIL UNREST CRIME LAW POLITICS TPX IMAGES OF THE DAY) ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. NO SALES. NO ARCHIVES. THIS PICTURE IS DISTRIBUTED EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. UKRAINE OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN UKRAINE
Weiteren Zündstoff könnte die Misshandlung des Aktivisten Dmitro Bulatow geben: Er war vor einer Woche verschleppt und schwer misshandelt worden. In der Nacht auf Freitag tauchte er wieder auf und zeichnete ein Bild des Schreckens. Man habe ihn geschlagen, das Gesicht zerschnitten und Teile seines Ohrs abgeschnitten. Die Täter sollen ihn gekreuzigt haben und hätten geplant, ihm ein Auge auszustechen. Bulatow ist einer der führenden Aktivisten des Automaidan. Er war am 22. Jänner von Unbekannten verschleppt worden – nur zwei Tage, nachdem zwei andere Aktivisten verschwanden. Einer von ihnen überlebte, die Leiche des anderen wurde mit Klebeband gefesselt und nackt nahe Kiew gefunden.

Bulatow kann aber nun offensichtlich aufatmen: Nach kurzem Hausarrest darf er nach eigenen Angaben in die EU ausreisen. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte am Samstag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz, sein ukrainischer Kollege habe ihm zugesagt, dass Bulatow am Sonntag ausreisen dürfe.

Steinmeier sprach von einem "kleinen Fortschritt" und bot dem Oppositionsaktivisten erneut an, sich in Deutschland medizinisch behandeln zu lassen. Die ukrainische Staatsführung wirft Bulatow die "Organisation massiver Unruhen" vor. Das Innenministerium verdächtigt ihn, die Entführung lediglich inszeniert zu haben.

Ruf nach Sanktionen

Sebastian Kurz und Vitali Klitschko sitzen in Anzügen und unterhalten sich.
APA16749720-2 - 01022014 - MÜNCHEN - DEUTSCHLAND: ZU APA-TEXT AA - Außenminister Sebastian Kurz trifft am Samstag, 1. Februar 2014, im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz mit dem ukrainischen Oppositionsführer Vitali Klitschko zu einer Unterredung zusammen. APA-FOTO: DRAGAN TATIC
Vitali Klitschko, Udar-Patreichef, befürchtet eine Eskalation: "Die Sorge ist groß", sagte Klitschko am Rande der Sicherheitskonferenz. "Ich werde Sanktionen fordern. Das ist die einzige Sprache, die die Diktatoren der Ukraine verstehen", so Klitschko nach einem Treffen mit Steinmeier. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, ebenfalls Gast der Konferenz, hält davon wenig (siehe unten). Kurz und Klitschko trafen einander ebenfalls am Samstag, um die Lage zu besprechen.

"Wichtig wäre, gerade in diesem Fall ein einheitliches Vorgehen der EU zusammenzubringen", sagte Kurz. "Die Europäische Union kann etwas tun, wenn sie gemeinsam auftritt." Klitschko habe vor einem Bürgerkrieg und einer Spaltung seiner Heimat gewarnt. Dies würde dann nicht nur die Ukrainer betreffen, sondern auch für alle Länder in der Nachbarschaft Probleme bedeuten. "Damit hat er leider Gottes vollkommen Recht", sagte Kurz.

Der deutsche Außenminister selbst hat die ukrainische Führung gewarnt, dass die Lage in dem Land ohne eine sehr schnelle Umsetzung der Versprechen an die Opposition explodieren wird. "Wenn am Pulverfass die Lunte schon glimmt, ist es hoch gefährlich, auf Zeit zu spielen.“

Klitschko nahm am Samstag in München an einer Podiumsdiskussion unter anderem mit dem ukrainischen Außenminister Leonid Koschara teil. Er plant außerdem auch ein bilaterales Treffen mit US-Außenminister John Kerry, der sich ebenfalls in München aufhält. Klitschko sagte, dass er sich bei Kerry für die Unterstützung der USA bedanken wolle. Auf die Frage nach seinem Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin meinte Klitschko, die Ukraine wolle ein "gutes Verhältnis mit allen unseren Nachbarn". Zugleich unterstrich er, dass die bilateralen Beziehungen auf Vertrauen, Respekt und Freundschaft beruhen müssten.

Ruslana fordert Handlung

Auch die ukrainische Popsängerin Ruslana, die sich seit Beginn für die Proteste gegen die Regierung engagiert, hat Sanktionen des Westens gegen die Machtelite in ihrem Heimatland gefordert. Die Regierung um Präsident Viktor Janukowitsch sei verantwortlich für "furchtbare Gewalt", sagte die Siegerin des Eurovision Song Contest von 2004 am Samstag bei einem kurzen Besuch im Berliner Mauermuseum.

Die 40-Jährige gehört zur pro-europäischen Protestbewegung auf dem Maidan, dem Platz der Unabhängigkeit in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. "Der Maidan steht für die europäische Integration, für die Menschenrechte und gegen die Aggression der Regierung", sagte die Künstlerin, die einen Angriff auf ihr Leben fürchtet. "Wir leben in einem großen Gefängnis und dieses Gefängnis heißt Ukraine."

Den Machthabern in der Ukraine warf Ruslana vor, ihr Geld auf amerikanische und europäische Banken geschafft zu haben. "Wenn wir das Geld einfach nicht mehr fließen lassen, werden die Gewalttaten stoppen", warb sie für entsprechende Sanktionen. Noch am Samstag wollte Ruslana zur Sicherheitskonferenz nach München fliegen. Dort warb auch der Oppositionspolitiker und Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko um Unterstützung für die Regierungsgegner in der Ukraine.

Außenminister Sebastian Kurz hält wie die meisten seiner Kollegen innerhalb der EU nichts von Sanktionen gegen die ukrainische Führung: "Sanktionen wären eher ein Schritt in Richtung einer weiteren Spaltung und würden nur Öl ins Feuer gießen", so Kurz Freitagabend am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz in der ZiB 2.

Die Rücknahme der umstrittenen Gesetze zur Einschränkung demokratischer Freiheiten durch Präsident Viktor Janukowitsch sei "ein wichtiger erster Schritt", lobte Kurz und verwies auf die geografische Lage des krisengeschüttelten Landes: "Die Ukraine ist ungefähr so weit von Wien entfernt wie die Schweiz", meinte der Minister. Jegliche Maßnahmen, die eine weitere Spaltung der Ukraine zur Konsequenz haben könnten, brächten auch "dramatische Auswirkungen auf seine Umgebung."

Kommentare