Was wusste Obama?

US-Senat kündigt "totale Überprüfung" der Vorwürfe an. Die Affäre kommt nun auch in den Bundestag.

Angela Merkels Handy wurde vom US-Geheimdienst angezapft - soviel ist sicher. Aber wusste der US-Präsident von Anfang an davon, erst im Sommer, oder gar nicht? Während die US-Behörden versuchen zu kalmieren, tröpfeln immer mehr beunruhigende Informationen über das Überwachungssystem, das die NSA in Europa installiert hat, an die Öffentlichkeit.

Das Wall Street Journal berichtet, dass Merkel noch bis vor wenigen Monaten von der NSA abgehört wurde und Obama davon nichts ahnte - bis zum vergangenen Sommer. Als der Whistleblower Edward Snowden den NSA-Skandal platzen ließ, wurde vom Weißen Haus eine interne Untersuchung in Auftrag gegeben: Die Prüfung habe ergeben, dass die NSA rund 35 internationale Spitzenpolitiker überwache. Danach sei die Abhöraktion gestoppt worden, hieß es in dem Bericht. Auch jene gegen Merkel, so das WSJ. Soll heißen: Obama wusste annähernd fünf Jahre lang nichts von den Bespitzelungen. Die Regierungsvertreter sagten der Zeitung, bei der NSA liefen so viele Lauschangriffe parallel, dass es kaum praktikabel wäre, Obama über alle zu informieren.

"Totale Überprüfung" statt totaler Überwachung

Fix ist mittlerweile auch: Der US-Senat will der mutmaßlichen Bespitzelung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und weiteren internationalen Spitzenpolitikern durch den Geheimdienst NSA auf den Grund gehen. Die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses der Kongresskammer, Dianne Feinstein, kündigte am Montag eine "totale Überprüfung" der Vorwürfe gegen die NSA an. Die einflussreiche demokratische Senatorin kritisierte die geheimdienstliche Überwachung der Regierungschefs von US-Verbündeten wie Deutschland in äußerst scharfem Ton.

Demo gegen NSA in Washington:

Was wusste Obama?

Demonstrators from organization Code Pink wear toy
Was wusste Obama?

Demonstrators deploy model of U.S. drone aircraft
Was wusste Obama?

A demonstrator wears T-shirt depicting former U.S.

Der US-Geheimdienst wies einen Bericht der Bild am Sonntag zurück, wonach NSA-Chef Keith Alexander Obama im Jahr 2010 über das Vorgehen gegen Merkel informiert habe. In mehreren Berichten hatte es geheißen, Obama habe Merkel bei einem Telefonat versichert, nichts über Spionagepraktiken gegen sie gewusst zu haben.

Ob die US-Botschaft in Berlin als Horchposten der NSA genutzt wurde, wollen die deutschen Behörden offenbar nun selbst herausfinden: Wie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung berichtete, überflog ein Hubschrauber der deutschen Polizei am Montag das Botschaftsgelände am Pariser Platz. Ziel der Erkundungsmission sei es gewesen, herauszufinden, ob das Dach der US-Vertretung zu einer Überwachungszentrale ausgebaut wurde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den Bericht später dementiert.

Schnüffeln in ganz Europa

Wirbel um die NSA-Aktivitäten gibt auch in anderen Ländern: Laut der US-Webseite Cryptome soll der US-Geheimdienst NSA zwischen 10. Dezember 2012 und 8. Jänner 2013 rund 46 Millionen Telefongespräche in Italien erfasst haben. Der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald hatte zuvor dem Nachrichtenmagazin L ́Espresso berichtet, dass sich auch die britischen Geheimdienste Zugang zum Kabelsystem optischer Fasern verschafft habe, über das Telefonanrufe, Mails und der Internet-Informationsstrom in Italien verlaufen.

Die römische Polizei hat nun die Kontrollen bei diplomatischen Vertretungen und vor allem nahe der Botschaft der USA verstärkt. Spürhunde und Anti-Sabotage-Einheiten seien im Einsatz, wie die Nachrichtenagentur Ansa am Montag berichtete. Kontrolliert werden vor allem die Gullys und Kanalschächte bei den Botschaften und bei internationalen Institutionen in der italienischen Hauptstadt.

Die NSA hat einem Medienbericht zufolge auch in Spanien genau hingehört: Ende 2012 sollen Dutzende Millionen Telekommunikations-Datensätze gesammelt worden sein. Die Telefonnummern und Ortsangaben von mehr als 60,5 Millionen Telefonaten seien zwischen Dezember 2012 und Jänner 2013 gespeichert worden, schreibt Greenwald am Montag in der Madrider Zeitung El Mundo. Der Inhalt der Gespräche soll nicht belauscht worden sein.

U-Ausschuss und UN-Resolution

Die Deutschen wollen nun zumindest einen aufklärerischen Beitrag in Form eines U-Ausschusses leisten. "Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags, der Licht ins Dunkel bringt, ist unvermeidlich", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles der Bild. Nahles wünschte sich auch Edward Snowden als Zeugen. Prompt winkte aber die Bundesregierung ab: Man sehe keine Veranlassung, "Gespräch mit dem Informanten Edward Snowden zu suchen." Der Bundestag will jedenfalls am 18. November zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um über die Spionagevorwürfe zu beraten.

Zudem wollen Deutschland und Brasilien ihren gemeinsamen UN-Resolutionsentwurf gegen das Ausspähen von elektronischer Kommunikation am Donnerstag einbringen. Dann solle der Textentwurf, der den Schutz von Privatsphäre und Menschenrechten betont, im UN-Hauptquartier in New York an alle Mitgliedsstaaten verteilt werden, erfuhr die Nachrichtenagentur dpa am Montag aus Diplomatenkreisen. Noch im November könnte die Resolution, für die eine hohe Zustimmung erwartet wird, angenommen werden. Eine Resolution der UN-Vollversammlung ist allerdings nicht bindend. Betont wurde allerdings, dass das Papier keine Reaktion auf die Enthüllungen rund um Merkel sei.

Datenschutz? Nein, danke

Während am Montag eine neunköpfige Delegation von EU-Parlamentariern in Washington Gespräche mit Vertretern der amerikanischen Regierung und des Geheimdienstes führt (auch der ÖVP-Europaabgeordnete Hubert Pirker ist dabei), scheint das Interesse der deutschen Kanzlerin an mehr Datenschutz für alle Bürger dennoch enden wollend: Wie Spiegel Online berichtet, stand am Donnerstag beim Abendessen der EU-Staatschefs eine schärfere Datenschutzverordnung auf der Agenda. Interne Unterlagen sollen zeigen, dass die Kanzlerin allerdings eine rasche Verabschiedung der Reform, ebenso wie Großbritannien, bremste. Statt einer Verabschiedung im nächsten Jahr kamen unterm Strich dann nur mehr weitere Verhandlungen heraus.

Barack Obama ist der erste Smartphone-User, der ins Weiße Haus einzog. Im Gegensatz zu Bundeskanzlerin Merkel kann sich der US-Präsident nicht leisten, ungeschützt mobil zu kommunizieren. Der technische Aufwand dafür ist beträchtlich. Beim ersten Wahlsieg Obamas wurde ein Smartphone vom Typ BlackBerry 8830 zum Symbol. Mit der mobilen E-Mail-Maschine steuerte der Spitzenkandidat der Demokratischen Partei seine Kampagne - und musste nach seinem Wahltriumph entgeistert feststellen, dass ihm die Sicherheitsexperten die Verwendung seines geliebten BlackBerrys als nicht hinnehmbares Sicherheitsrisiko untersagten. Es dauerte nicht lange, bis Obama wieder mobil telefonieren und eine E-Mail nach der anderen verschicken konnte. Doch die Infrastruktur für die mobile Telekommunikation des US-Präsidenten unterscheidet sich enorm von der nur mäßig geschützten Technik, die Obama zuvor eingesetzt hatte.

Auf zahlreichen Fotos des offiziellen Fotografen des Weißen Hauses, Pete Souza, sieht man Obama seit geraumer Zeit mit einem BlackBerry 8900 oder einem anderen Modell des kanadischen Smartphone-Herstellers. Dieser setzte für Obama eine eigene geschlossene Netz-Infrastruktur auf. Ähnlich wie beim aktuellen Generation der Sicherheitshandys werden die Blackberrys von Obama zusätzlich mit einer Verschlüsselungssoftware abgesichert. Dabei kommt vermutlich die Lösung SecurVoice des US-Unternehmens SecurDigital zum Einsatz. Die Gesprächspartner von Obama müssen ebenfalls über so ein Gerät verfügen - oder die Daten zwischendurch umverschlüsselt werden. Bei der Festnetz-Telefonie setzt Obama unter anderen speziell gesicherte Geräte von Telecore und Cisco ein.

Eigene Basisstation

Zum Schutz der mobilen Telefonate, SMS und E-Mails des Präsidenten verlassen sich die US-Sicherheitsdienste jedoch nicht allein auf die Verschlüsselung der Inhalte. Ohne weiteren Schutz könnte nämlich zumindest die Position des Handys ausspioniert werden, wenn es sich in die Funkzellen der Umgebung einbucht. Deshalb befindet sich dem Vernehmen nach in der Nähe des "POTUS" (President of the United States of America) stets eine sichere Basisstation, in die das Smartphone sich exklusiv einbucht. Diese Basisstation dürfte dann über eine Satellitenverbindung mit der Außenwelt kommunizieren.

Wie Smartphone-Besitzer ihr Telefon schützen sollten

Was wusste Obama?

merkel-handy
Was wusste Obama?

Merkel Handy
Was wusste Obama?

Smartphones
Was wusste Obama?

Mobiltelefon im Urlaub
Was wusste Obama?

Smartphones
Was wusste Obama?

Apps
Was wusste Obama?

SMS schreiben mit WhatsApp
Was wusste Obama?

ZTE Grand X Intel Smartphone

Keine Anhänge

Um das Postfach des Präsidenten vor Schadsoftware zu schützen, werden keine Mail-Anhänge an ihn weitergeleitet. Ohnehin verfügt nur ein kleinster Kreis von Vertrauten über die E-Mail-Adresse von Obama. Im Sommer 2010 klagte der Präsident im Fernsehsender ABC über die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten, weil zum damaligen Zeitpunkt nur zehn Personen in der Lage waren, ihm eine Mail zu schicken. "Ich muss zugeben, dass das keinen Spaß macht." Seine Kommunikationspartner gingen wohl davon aus, dass die Inhalte offiziell archiviert werden. "Deshalb schickt mir keiner das wirklich pikante Zeug." Die Mitteilungen seien alle sehr offiziell, sagte Obama und nannte ein Beispiel: "Mr. President. Sie haben gleich ein Meeting und wir würden sie gerne darauf vorbereiten."

Kommentare