Niederlande-Wahl: Großer Andrang auf Wahllokale

Schlange vor einem Wahllokal in Den Haag
Ab 22 Uhr werden erste Ergebnisse erwartet. Laut Umfragen lag Mark Rutte vor Geert Wilders. Vier Parteien dürften zur Regierungsbildung nötig sein.

Bei der Parlamentswahl in den Niederlanden zeichnet sich eine hohe Wahlbeteiligung ab. Niederländische Medien berichteten am Mittwoch über lange Schlangen vor Wahllokalen. Die Beteiligung werde "weit" höher als 2012 liegen, prognostizierte das Meinungsforschungsinstitut Ipsos am Mittwochnachmittag. Damals lag die Beteiligung bei 74 Prozent, diesmal wird mit rund 80 Prozent gerechnet. Die Rekord-Wahlbeteiligung von 88 Prozent bei den Wahlen 1977 dürfte nicht erreicht werden.Nach Angaben von Ipsos hatten um 15.45 Uhr 43 Prozent der Wahlberechtigten gewählt, bei der vorigen Wahl 2012 waren es zu diesem Zeitpunkt erst 37 Prozent gewesen.

Reizthemen im Wahlkampf waren die Rolle des Islam, die Einwanderung und zuletzt der diplomatische Streit mit der Türkei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte noch am Wahltag seine in den Niederlanden wahlberechtigten Landsleute auf, weder für die Regierung noch für "Rassisten" zu stimmen.

Was Sie über die Wahl in den Niederlanden wissen müssen

Rutte war in Umfragen vorne

Umfragen sagen der rechtsliberalen Partei VVD von Ministerpräsident Mark Rutte einen Vorsprung von drei Punkten vor der PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders voraus. Allerdings kann keine Partei mit mehr als 17 Prozent der Stimmen rechnen, was langwierige Koalitionsverhandlungen bedeuten dürfte. Knapp 13 Millionen Wähler waren aufgerufen, über die Zusammensetzung des neuen Parlaments zu entscheiden.

Niederlande-Wahl: Großer Andrang auf Wahllokale
TOPSHOT - Netherlands' prime minister and VVD party leader Mark Rutte (C) arrives to cast his ballot for Dutch general elections at a polling station on March 15, 2017 in The Hague. Millions of Dutch voters were going to the polls March 15 in key elections overshadowed by a blazing diplomatic row with Turkey, with all eyes on the fate of far-right MP Geert Wilders. Following last year's shock Brexit vote, and Donald Trump's victory in the US presidential polls, the Dutch general elections are seen as a litmus test of the strength of far-right and populist parties ahead of other ballots in Europe this year. / AFP PHOTO / ANP / Jerry Lampen / Netherlands OUT
Den Wahlkampf aufgeheizt hatte zuletzt der Streit über das Verbot für türkische Regierungsmitglieder, in den Niederlanden für das geplante Verfassungsreferendum in der Türkei zu werben. Der türkische Präsident Erdogan erhob daraufhin Nazi-Vorwürfe gegen die Niederlande, die im Zweiten Weltkrieg stark unter den Nationalsozialisten gelitten hatten. Seine Landleute rief Erdogan auf, für Parteien zu stimmen, die den Dialog mit der Türkei wollten. "Seid dabei vorsichtig", rief er bei einer Kundgebung in der Türkei. In einem Amsterdamer Wahllokal wurden nach Informationen der Zeitung "Het Parool" Flaggen und Flugblätter des staatlichen türkischen Amts für Religionsangelegenheiten gefunden.

Erste Prognosen über den Ausgang werden unmittelbar nach Schließung der Wahllokale um 21.00 Uhr erwartet, erste Ergebnisse ab 22.00 Uhr. Mit dem Endergebnis wird in den frühen Morgenstunden des Donnerstags gerechnet.

Rutte warnte am Wahltag noch einmal vor einem Sieg der Wilders-Partei. Nach dem Votum der Briten für einen EU-Austritt und den US-Wahlen "würde der Rest der Welt dann erleben, dass die falsche Art von Populismus erneut den Sieg davongetragen hätte", sagte er. Umfragen zufolge konnte seine Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) zuletzt in der Wählergunst zulegen und vor Wilders leicht in Führung gehen. Wilders Freiheitspartei (PVV), die lange wie die sichere Siegerin aussah, hat seit Jahresbeginn deutlich an Zustimmung verloren. Herbe Verluste werden der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PVDA) vorhergesagt, dem Juniorpartner in Ruttes bisheriger Regierung. Fast 40 Prozent der Wähler waren bis zuletzt aber noch unentschieden.

Wilders sieht Geist aus der Flasche

Wilders selbst sah die Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. "Wie immer die Wahl heute ausgeht, der Geist wird nicht zurück in die Flasche gehen, diese patriotische Revolution wird stattfinden, entweder heute oder morgen", sagte er nach seiner Stimmabgabe in Den Haag. Der Islamfeind und Euro-Gegner verspricht eine "Ent-Islamisierung" der Niederlande. Er hat jedoch nahezu keine Chance, in die Regierung zu kommen, da alle größeren Parteien eine Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt haben.

Niederlande-Wahl: Großer Andrang auf Wahllokale
TOPSHOT - Netherlands' politician Geert Wilders (C) of the Freedom Party (PVV) arrives to a polling station to cast his ballot for Dutch general elections on March 15, 2017 in The Hague. Millions of Dutch voters were going to the polls March 15 in key elections overshadowed by a blazing diplomatic row with Turkey, with all eyes on the fate of far-right MP Geert Wilders. Following last year's shock Brexit vote, and Donald Trump's victory in the US presidential polls, the Dutch general elections are seen as a litmus test of the strength of far-right and populist parties ahead of other ballots in Europe this year. / AFP PHOTO / ANP / Robin Utrecht / Netherlands OUT

Umfragen: Vier Parteien für Regierung nötig

"Die vorrangige Thematik dieses Wahlkampfs war die Zersplitterung der Wählerschaft", sagt Meinungsforscher Maurice de Hond. "Obwohl der Konflikt mit der Türkei den größten Parteien geholfen hat - das Endergebnis wird zeigen, dass wer immer auch Sieger wird, er dies mit dem niedrigsten jemals erzielten Stimmenanteil werden dürfte." Bis zu 15 Parteien haben die realistische Chance, ins Parlament einzuziehen. Eine Hürde wie in Österreich die Vier-Prozent-Klausel gibt es nicht. Angesichts der erwarteten Stimmverteilung werden mindestens vier Parteien eine Koalition bilden müssen, um eine Regierungsmehrheit im Parlament zu erreichen.

Die Abstimmung in den Niederlanden ist der Auftakt zu insgesamt drei Wahlen in EU-Gründungsstaaten in diesem Jahr, die vor allem von einem Erstarken populistischer und nationalistischer Parteien gekennzeichnet werden könnten. Ministerpräsident Rutte bezeichnete die Wahl in seinem Land als Viertelfinale im Kampf gegen den "verkehrten Populismus". Das Halbfinale werde im Mai in Frankreich bei der Präsidentschaftswahl ausgetragen, das Finale im Herbst bei der Bundestagswahl in Deutschland.

Jahrelang trieb der Rassist und Muslimen-Hasser Geert Wilders die Niederlande mit rechtsextremen Parolen vor sich her. Präsentierte sich wie US-Präsident Donald Trump als wilder Zerstörer des etablierten Polit-Systems. Und eilte von Umfrage-Erfolg zu Umfrage-Erfolg – bis der amtierende liberal-konservative Premier Mark Rutte in der eskalierenden Krise mit der Türkei mit dessen Waffen zurückschlug: Mit Populismus und Aktionismus (Ausweisung einer türkischen Ministerin). Vor der Parlamentswahl lag der smarte Regierungschef vor dem polternden Blondschopf. Gut so.

Die nach Brexit und Flüchtlingskrise ohnehin taumelnde EU könnte sich einen Durchmarsch Wilders’ nicht leisten. Er würde die Bresche schlagen für Marine Le Pen in Frankreich und die AfD in Deutschland – beide EU-Schwergewichte wählen ebenfalls heuer.

Allerdings ist im Umgang mit den diversen Rechtspopulisten auch Gelassenheit angesagt. In Holland drehte sich zwar alles um Wilders, doch eine realistische Chance, das Land zu übernehmen, hatte er nie – weil keiner mit ihm kann und will. Und in Frankreich wird sich Frau Le Pen nach derzeitigem Stand auch nicht durchsetzen. Was nicht heißt, dass man sich mit den teils berechtigten Themen der selbst ernannten Polit-Rebellen nicht auseinandersetzen sollte. Man sollte unbedingt, dann sind die wild gewordenen Scharfschützen meist schnell entwaffnet.

(Walter Friedl)

Der deutsche SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wünscht sich eine Niederlage des Rechtspopulisten Geert Wilders bei der Wahl in den Niederlanden. "Ich hoffe sehr, dass einer der hauptverantwortlichen Hetzer gegen die europäische Zusammenarbeit heute die Wahl verlieren wird", sagte Schulz am Mittwochabend bei einer SPD-Veranstaltung in Wolfenbüttel.

Auch mit Blick auf die Präsidentschaftswahl in Frankreich im April/Mai äußerte Schulz die Zuversicht, dass ein Demokrat gewinnt und nicht Marine Le Pen vom Front National.

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