Niederländische Erleichterung, die jetzt Europa erfassen soll

Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Rechtspopulist Geert Wilders wurde "nur" Zweiter
Die Regierungsbildung wird schwierig, aber das Schreckgespenst Wilders ist verblasst.

Das Café am Amsterdamer Kreisverkehr ist beinahe leer. Ein paar Touristen sitzen mit geröteten Augen an der Bar – ein typischer Morgen in dieser Stadt. Nicht so für die 68-jährige Selma, die sich zum Frühstück einen Prosecco genehmigt.

"Dass es so eindeutig wird, hätte ich nicht gedacht", sagt sie und schüttelt ungläubig den Kopf. Wieder und wieder. "Ich muss sagen, dass ich mit Ruttes VVD auch nicht die Welt anfangen konnte, weil auch seine Partei nicht auf die alten Menschen schaut, aber dafür habe ich ja meine Partei".

Zuwanderung gewöhnt

Selma hat die Pensionistenpartei 50+ gewählt, die nach dem vorläufigen Endergebnis bei der Parlamentswahl am Mittwoch zwei Mandate dazugewinnen konnte und nun mit vier Abgeordneten im Niederländischen Nationalrat, der "Zweiten Kammer", vertreten ist. Mit der "Partei für die Freiheit" (PVV) von Geert Wilders konnte sie nie viel anfangen: "Ich wohne seit ich ein kleines Mädchen bin in Amsterdam und bin Zuwanderung gewöhnt. Die führt freilich manchmal zu Problemen, nur glaube ich nicht, dass ein Ministerpräsident Wilders diese lösen könnte."

So wie es aussieht, wird der Rechtspopulist auch nicht die Gelegenheit haben, seine Lösungsvorschläge in der Regierung einzubringen. Im Wahlkampf haben alle relevanten Parteien eine Zusammenarbeit mit seiner PVV abgelehnt. 50+ hat laut dem Politologen Brian Burgoon gute Chancen, in die Regierung zu kommen, da sie sich programmtechnisch gut mit der VVD ergänze.

"Sollte 50+ tatsächlich mit dabei sein, hoffe ich, dass sie ihre Wahlversprechen wahr machen. Als Pensionist hat man viele Jahre gearbeitet – momentan für nichts", klagt Selma.

"Kurs stimmt"

Die Caféhaustüre öffnet sich und drei junge Männer im Anzug kommen herein. Dass sie lange und ausgiebig gefeiert haben, ist ihnen anzusehen. "Wir haben für die VVD gekämpft. Monatelang. Und dann dieses Ergebnis!", freut sich einer der drei. Er ist 22 Jahre jung und beschreibt sich als konservativ und weltoffen. "Mit Rutte stimmt der Kurs gegenüber der Europäischen Union, das ist für mich das Wichtigste", sagt er. Auf die Frage, ob es ihn nicht störe, dass seine Partei acht Mandate verloren hat, antwortet er gelassen: "Wir sind in Umfragen sogar hinter Wilders gelegen, und jetzt haben wir einen enormen Vorsprung auf ihn und alle anderen Parteien. Das soll einmal jemand nachmachen."

Präferenz per Computer

82 Prozent der wahlberechtigten Niederländer wählten am Mittwoch, im Vergleich zu den Wahlen im Jahr 2012 ist das ein großer Zuwachs. Damals gingen nur knapp 75 Prozent zu den Urnen. Für die Studentin Anne ist der Grund klar: "Ich persönlich habe am Mittwoch zum ersten Mal gewählt, da mir durch den Wahlsieg Trumps klar wurde, wie wichtig es ist, wählen zu gehen", sagt die 24-jährige Studentin. Sie hat die D66 gewählt, da diese Partei für Studenten eintrete. "Im Internet gab es so einen Test, und D66 ist für mich herausgekommen", fügt sie hinzu. Auch die linksliberale D66 konnte Zugewinne erzielen und dürfte auf 19 Sitze in der Zweiten Kammer kommen.

Am Montag soll das endgültige Wahlergebnis bekannt sein, dann warten lange und schwierige Koalitionsverhandlungen auf die Niederlande. Zwar haben sich mit der VVD und der CDA zwei konservative Kräfte stark hervorgetan, zusammen kommen beide Parteien nach aktuellem Stand nur auf 52 der 150 Sitze im Parlament. 76 sind nötig, um konsequent regieren zu können. Mit der D66, die in einigen Punkten mit den Konservativen übereinstimmt, der Christen Union (CU) und der 50+ hätte diese Fünferkoalition zwar eine regierungsfähige Mehrheit, aber die Stabilität dieser Regierung wäre fraglich. Nicht mehr relevant dürfte die sozialdemokratische PvdA sein, die massiv von den Wählern abgestraft wurde und 29 Sitze verloren hat.

Armin Arbeiter, Den Haag

Kommentare