"New Deal für Arbeiter"

Mit Themen, die für Konservative absolut tabu waren, steuert Briten-Premier auf Wahlsieg zu.

Im März 2019 wird der Austritt des Königreiches aus der EU besiegelt sein, das schreibt Artikel 50 vor. Mit dieser Realität finden sich immer mehr Briten ab. Eine aktuelle Studie, die am Dienstag veröffentlicht wurde, untermauert die Stimmung im Land: Nur mehr 22 Prozent der Befragten sind gegen einen Brexit, so das Meinungsforschungsinstitut YouGov, 78 Prozent sind für einen Austritt. Beim Referendum im Juni 2016 stimmten knapp 52 Prozent für die Scheidung und 48 für den Verbleib.

Hinter den neuen Zahlen steckt keine EU-feindliche Kampagne von UKIP, der in Auflösung begriffenen Partei von Nigel Farage, sondern die Politik der konservativen Regierungschefin Theresa May. "Brexit ist Brexit", verkündet sie im Wahlkampf für die Parlamentswahl am 8. Juni landauf, landab. Ihn will sie entschlossen durchsetzen, auch wenn die Scheidung hart werden dürfte.

Kampf um Mittelschicht

Sie geht nicht auf die Folgen des Austritts ein, aber sie tut alles, um mit Versprechen die Mittelschicht für sich zu gewinnen und die EU-Hasser von UKIP und Labour einzusammeln. Die vorgezogenen Wahlen sind für Theresa May das Instrument, die konservative Mehrheit im Parlament auszubauen, um gestärkt in die Brexit-Verhandlungen gehen zu können. Die niedrigste Arbeitslosenquote seit 42 Jahren (4,2 Prozent), die gestern bekannt wurde, spielt ihr dabei in die Hände.

May punktet mit Forderungen, die für die Konservativen bisher ein absolutes Tabu gewesen waren: Sie verlangt die Einführung einer Pflege- und Bildungskarenz, die Deckelung der Energiepreise, ein Limit für Spitzengehälter und eine Vertretung für Arbeitnehmer. Von einem "New Deal für Arbeiter" ist bereits die Rede. Was die Tories im Detail wollen, soll in Kürze publik werden.

Corbyn verstört

Auch Labour hat eben ein Programm vorgelegt, dass in Großbritannien für Aufregung sorgt: Verstaatlichung der Eisenbahn, Renationalisierung der Post und der Energieversorger, die Anhebung des Mindestlohnes, die Abschaffung der Studiengebühren, die Errichtung einer staatlichen Investitionsbank sowie eine Reichensteuer sind zentrale Themen.

"Jeremy Corbin (Labour-Chef, Anm.) will Großbritannien zerstören", wettern konservative Blätter. Aber selbst der rechte Flügel der Sozialdemokraten empfiehlt Corbyn, nach Venezuela auszuwandern.

„Mir reicht es“, sagt die 38-jährige portugiesische Unternehmerin ziemlich entnervt. „Ich werde wohl London verlassen und nach Lissabon zurückkehren, mit meinen zwei Kindern und meinem britischen Mann. Kein Mensch kann mir sagen, was nach dem Brexit mit EU-Bürgern passiert.“ Die studierte Ökonomin wird ihr Business in Großbritannien wohl aufgeben. Vom Migrationsminister hat sie schon eine schriftliche Aufforderung bekommen, das Land zu verlassen.

So empört wie Ana P. sind derzeit viele EU-Ausländer auf der Insel. Rund drei Millionen EU-Bürger leben und arbeiten in Großbritannien, darunter 25.000 Österreicher. Viele von ihnen sorgen sich um ihre Zukunft, auch die 27-jährige PR-Frau aus Wien ist unschlüssig, was sie tun soll. Sie weiß nur eines ganz sicher: „Die österreichische Staatsbürgerschaft gebe ich nie auf. Lieber verzichte ich auf die britische.“ Auch sie lebt schon einige Jahre bei ihrem Freund in London.

„Wir tun alles, um unsere Landsleute umfassend zu informieren und ihre bisherigen Rechte zu sichern“, sagt Martin Eichtinger, Österreichs Botschafter in London, zum KURIER. Unklar ist auch, was mit 1700 österreichischen Studenten an britischen Universitäten passiert, 92 davon an der angesehenen Oxford-University. „Es wird für alles eine Lösung geben“, beruhigt der konservative Parlamentarier Sir Peter Bottomley bei einem Gespräch mit Absolventen der Strategischen Führungslehrgänge des österreichischen Verteidigungsministeriums. Aber auch er hat keine konkreten Hinweise, wie eine Lösung aussehen könnte.

Unter den EU-Ausländern in London hat eine regelrechte Jagd auf alte Gas- und Stromrechnungen begonnen, auch Kontoauszüge könnten helfen nachzuweisen, hier gelebt zu haben. Für eine permanente Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung werden EU-Bürger nach dem Brexit diese Belege brauchen, denn ein Anmeldesystem, wie wir es in Österreich kennen, gibt es in Großbritannien nicht.

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