Spitzelvorwürfe: Ditib-Funktionär verlässt Moschee-Verband

Ditib-Moschee in Käln
Mehrere Medien werteten den Rückzug als Beleg dafür, dass die Ditib noch näher an Ankara rücken wird.

Nach Spitzelvorwürfen gegen Imame verliert die unter Druck geratene türkisch-islamische Union Ditib einen wichtigen Funktionär: Murat Kayman, Koordinator der Ditib-Landesverbände und Mitglied im NRW-Vorstand, verlässt den Moscheeverband, wie er auf seinem Blog ohne Angaben von Gründen mitteilte.

Der Kölner Stadt-Anzeiger und die Rheinische Post hatten zuerst über den Rückzug berichtet und werten diesen als Beleg dafür, dass die Ditib noch näher an Ankara rücken wird. Kayman habe zu den Vertretern der Linie gehört, die sich zumindest für eine strukturelle Trennung vom türkischen Staat eingesetzt hätten.

Spitzelvorwürfe: Ditib-Funktionär verlässt Moschee-Verband
Women stand in front of a building of the Ditib association in Cologne, western Germany, on February 15, 2017. In connection with investigations against the Ditib mosque association on suspicion of espionage, German police searched the homes of four Turkish Muslim preachers on suspicion they spied for the government of President Recep Tayyip Erdogan, officials said. The imams are suspected of having reported on followers of US-based Islamic preacher Fethullah Gulen, whom Erdogan blames for the July 2016 failed coup attempt against him. / AFP PHOTO / dpa / Oliver Berg / Germany OUT
Kayman kündigte an, er ziehe sich auch aus dem Dialogforum Islam in Nordrhein-Westfalen sowie politischen Gesprächen auf Bundesebene zurück. Die rot-grüne NRW-Regierung fordert von der Ditib eine strukturelle und finanzielle Lossagung von Ankara und macht davon eine weitere Zusammenarbeit mit der größten Islamorganisation in Deutschland abhängig.

Mehrere Imame der Ditib - entsandt und bezahlt von der türkischen Religionsbehörde Diyanet - sollen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung an türkische Generalkonsulate gemeldet haben. Die türkische Regierung macht den Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich und verfolgt dessen Anhänger.

Spitzelvorwürfe: Ditib-Funktionär verlässt Moschee-Verband
Cars drive past the Ditib mosque in Cologne, western Germany, on February 15, 2017. In connection with investigations against the Ditib mosque association on suspicion of espionage, German police searched the homes of four Turkish Muslim preachers on suspicion they spied for the government of President Recep Tayyip Erdogan, officials said. The imams are suspected of having reported on followers of US-based Islamic preacher Fethullah Gulen, whom Erdogan blames for the July 2016 failed coup attempt against him. / AFP PHOTO / dpa / Oliver Berg / Germany OUT
Deutsche Politiker haben sich schon in der Vergangenheit alarmiert über eine zunehmende Einflussnahme der Türkei in der Bundesrepublik gezeigt. Sie befürchten, dass über Großdemonstrationen wie im vergangenen Sommer in Köln der Konflikt in der Türkei nach Deutschland getragen wird.

In der Kritik stehen vor allem die türkische Regierung, die regierende AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan sowie der halbstaatliche Islamverband Ditib, bei dessen Geistlichen am Mittwoch Razzien stattfanden. Die deutsche Regierung hatte zuletzt erklärt, sie wolle beobachten, wie sich Ditib entwickelt. Die Deutsch-Türken stellen einen großen Anteil der Bevölkerung: Von den fast 82 Millionen Menschen in Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt knapp drei Millionen oder 3,7 Prozent türkischer Abstammung. Es folgt eine Aufstellung der großen türkischen Verbände (ohne kurdische Organisationen) in Deutschland:

DITIB

Die Ditib gilt als mit Abstand größte muslimische Organisation in Deutschland. Sie vertritt als Dachverband nach eigenen Angaben über 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime in 900 Gemeinden. Die "Diyanet Isleri Türk Islam Birligi" (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ist laut ihrer Homepage überparteilich. Die Ditib ist eng mit der Religionsbehörde in Ankara verbunden und wurde auf deren Initiative gegründet, um für türkische Migranten in Deutschland einen laizistisch geprägten Islam zu etablieren. Die Ditib ist stark vom türkischen Staat abhängig, da dessen Religionsbehörde die Ditib-Imame auswählt und sie auch bezahlt.

Die Organisation ist bisher ein enger Ansprechpartner für die Politik in Deutschland, Kritiker werfen ihr aber eine zunehmend konservative, der türkischen Regierungspolitik entsprechende Haltung vor. "Meines Erachtens sollte man es nicht zulassen, dass ein Verband wie Ditib, der offenbar Sprachrohr von Präsident Erdogan ist, den islamischen Religionsunterricht in Schulen gestaltet", warnte Unionsfraktionschef Volker Kauder schon im vergangenen Jahr. Rheinland-Pfalz ließ nach den jüngsten Entwicklungen die Gespräche mit Ditib und anderen Verbänden zur Regelung des islamischen Religionsunterrichts ruhen. Gutachter sollten nach den Umwälzungen in der Türkei zunächst erneut die Staatsferne der Islamverbände beurteilen.

MILLI GÖRÜS ("Nationale Sicht")

Die islamistische Bewegung geht auf den 2011 verstorbenen türkischen Politiker Necmettin Erbakan zurück und ist der größte staatsunabhängige sunnitische Verband in Deutschland. Er wird vom Verfassungsschutz beobachtet und setzt sich für die Errichtung einer "gerechten Ordnung" ein, die sich ausschließlich an islamischen Grundsätzen orientiert. Milli Görüs werden mindestens 30.000 Anhänger in Deutschland zugerechnet, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden allerdings nicht alle extremistische Bestrebungen vertreten.

Als zentrale Ziele definierte der Milli-Görüs-Vordenker und türkische Politiker Erbakan die Schaffung einer neuen großen Türkei nach dem Untergang des Osmanischen Reiches, die Überwindung des Laizismus und mit globalem Anspruch die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung. Westliche Demokratien werden laut Verfassungsschutz abgelehnt.

Milli Görüs setzt sich aus mehreren selbstständigen Vereinigungen zusammen, die unabhängig voneinander agieren, aber durch die gemeinsame Ideologie verbunden sind. In Deutschland werden ihr unter anderem folgende Einrichtungen und Verbände zugeordnet: Die Ismail Aga Cemaati (IAC), die Deutschlandvertretung der Saadet-Partei (SP), die Europa-Vertretung der Erbakan-Stiftung, die türkische Tageszeitung "Milli Gazete" als Sprachrohr sowie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). Die IAC gilt als einer der radikaleren Zweige der Bewegung, die SP ist die politische Vertretung von Milli Görüs in der Türkei.

GÜLEN-BEWEGUNG

Geistiger Anführer der Bewegung ist der Prediger Fethullah Gülen, der einst Weggefährte von Erdogan war, aber bereits seit 1999 in den USA im selbst gewählten Exil lebt. Seine Organisation versteht sich als vom Islam inspirierte soziale Bürgerbewegung. Den Weg zum Islam suchte sie in der lange vom Säkularismus geprägten Türkei über die Bildung. Inzwischen steuert sie ein internationales Netz an Einrichtungen mit dem Ziel, eine goldene Generation an religiösen, tugendhaften und gut ausgebildeten Menschen zu schaffen. Ihre Vorgehensweise ähnelt dem von der 68er Generation propagierten Marsch durch die Institutionen: Sie bemühte sich in den türkischen Behörden, vor allem in Polizei und Justiz, führende Positionen zu erlangen. Die türkische Regierung macht Gülen für den Putschversuch im Juli verantwortlich und geht hart gegen seine Anhänger vor.

Die Gülen-Bewegung betreibt in der Türkei und vielen anderen Ländern Privatschulen, Nachhilfeinstitute, als "Lichthäuser" bezeichnete Wohngemeinschaften und auch Medien. Der Bezug der Einrichtungen zur Gülen-Bewegung wird oft nicht deutlich. Allein in Deutschland unterhalten Gülen nahestehende Träger 150 Nachhilfezentren, 30 Schulen, viele Kindertagesstätten und etliche Medien wie die Zeitung "Zaman" sowie Radio- und Fernsehsender. Der Unterricht an den Gülen-Schulen folgt dem normalen Lehrplan, unterrichtet wird auf Deutsch, in der Regel steht Ethik statt Religion auf dem Lehrplan. Nach Gülen-Angaben bekennen sich in Deutschland etwa 100.000 Menschen zu der Bewegung.

In der Vergangenheit wurde die Bewegung, die auch unter den Namen Hizmet (Dienst) und Cemaat (Gemeinde) bekannt ist, in Deutschland meist als friedliche, reformorientierte islamische Alternative zum viel extremeren Salafismus angesehen. Kritiker werfen ihr dagegen vor, sektenhafte Züge zu tragen und viel zu wenig für Transparenz zu sorgen.

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