Theresa May bewirbt sich um Cameron-Nachfolge

Theresa May vor 10 Downing Street
Die britische Innenministerin wird gegen Boris Johnson antreten, dessen Kandidatur allgemein erwartet wird. Auch in der Labour-Partei droht Kampf um Vorsitz.

Für die Briten bleibt auch eine Woche nach dem Brexit-Votum unklar, wer künftig die Verhandlungen über den EU-Austritt des Landes führen wird. In beiden großen Parteien wird um den Posten des Vorsitzenden gerungen. Bei den konservativen Tories geht es zugleich darum, wer auf den scheidenden Premier David Cameron folgt und das Königreich in ruhigere Fahrwasser steuern soll.

May tritt an

Bei den Tories läuft am Donnerstagmittag die Frist für Bewerbungen ab. Die britische Innenministerin Theresa May kündigte in einem Beitrag für die Zeitung The Times ihre Kandidatur für den Vorsitz der regierenden Konservativen an. May hatte sich wie Cameron für einen britischen EU-Verbleib ausgesprochen.

Zuvor hatten Arbeitsminister Stephen Crabb und der ehemalige Verteidigungsminister Liam Fox ihren Hut in den Ring geworfen. Alles deutet aber auf ein innerparteiliches Duell zwischen May und Boris Johnson hin. Mit Spannung wird daher nun die offizielle Kandidatur von Londons Ex-Bürgermeister erwartet. Beobachter rechnen damit, dass Brexit-Wortführer Johnson bis zur letzten Minute um Anhänger in der Tory-Fraktion wirbt.

Spitze gegen Johnson

In ihrem einem Gastbeitrag für die Times distanzierte sich May (Porträt siehe unten) von Politikern, die die Härten des Lebens nicht kennen und das Regierungsgeschäft für "ein Spiel" halten würden - eine kaum verhohlene Spitze gegen Johnson und dessen privilegierte Herkunft.

Theresa May bewirbt sich um Cameron-Nachfolge
Vote Leave campaign leader Boris Johnson leaves his home in London, Britain June 29, 2016. REUTERS/Paul Hackett
Cameron hatte nach dem Votum der Briten für einen EU-Austritt angekündigt, dass er sein Amt im September an einen Nachfolger übergeben will, der dann das Austrittsgesuch in Brüssel einbringen soll.

Labour-Party droht Spaltung

Im Labour-Lager will die Abgeordnete Angela Eagle nach Medienberichten am Donnerstag den Oppositionschef Jeremy Corbyn zu einer Kampfabstimmung über den Parteivorsitz herausfordern. Damit würden sich beide großen Parteien in einen wochenlangen Wahlkampf um die Parteiführung stürzen.

Corbyn war von der Parteibasis im Spätsommer 2015 mit überwältigender Mehrheit ins Amt gewählt worden. Obwohl er mittlerweile in der Fraktion kaum noch Rückhalt hat, will der 67-Jährige bei einer Neuwahl wieder kandidieren. Ihm wird vorgeworfen, im Wahlkampf vor dem historischen Brexit-Referendum zu wenig Einsatz gezeigt zu haben.

"Mann, gehen Sie!"

Cameron mischte sich unterdessen in den Führungsstreit der Labour Party ein und rief Jeremy Corbyn zum Rücktritt auf. "In Gottes Namen, Mann, gehen Sie!", rief der Regierungschef in einer Parlamentsdebatte am Mittwoch dem Oppositionsführer zu. Es sei zwar für die Konservativen nützlich, aber nicht im nationalen Interesse, wenn Corbyn weiter die Opposition führe.

Die Labour-Fraktion revoltiert seit Tagen gegen den Parteilinken Corbyn und hatte ihm am Dienstag mit großer Mehrheit das Misstrauen ausgesprochen. Die Fraktion befürchtet, er könnte der Partei im Fall einer Neuwahl eine verheerende Niederlage einbrocken. Das Votum hat aber keine bindende Konsequenz, und Corbyn verweigert den Rücktritt. Sollte er bei einer erneuten Urwahl wieder gewinnen, stünde die Labour Party möglicherweise vor einer Spaltung.

Mit der früheren Premierministerin Margaret Thatcher muss sich fast jede Frau, die es in Großbritannien politisch zu etwas bringt, irgendwann mal vergleichen lassen. Aber so streng und entschlossen, wie die Tochter eines anglikanischen Geistlichen unter dem kinnlangen, grauen Haar oft dreinschaut, scheint der Vergleich in diesem Fall gar nicht abwegig.

Diszipliniert und kompetent

Über sich selbst redet May - verheiratet, kinderlos und immer wieder wegen ihres extravaganten Schuhgeschmacks in den Schlagzeilen - nicht viel. Mitarbeiter beschreiben sie als diszipliniert und kompetent, freundlich, aber nicht unbedingt zum Smalltalk neigend. Sie studierte in Oxford (wie Thatcher und Noch-Premier Cameron), arbeitete für die englische Notenbank und stieg in die Lokalpolitik ein, noch bevor sie 30 wurde.

Als seit 2010 amtierende Innenministerin in zwei Cameron-Kabinetten verantwortet May schwierige Themen: Einwanderung, Terrorabwehr, Überwachung, Polizei, Kindesmissbrauch. Kaum jemand hielt sich bisher so lange auf diesem Posten. Im Anlauf zum Brexit-Referendum schlug sie sich zwar auf die Seite von Camerons Pro-EU-Lager, blieb aber zugleich EU-kritisch und hielt sich aus den Querelen weitgehend raus. Das könnte ihr jetzt nützen: In der gespaltenen konservativen Partei sehnen sich viele nach Versöhnung.

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