US-Alleingang ab Dienstag

Die 20 mächtigsten Staatschefs der Welt finden zu Syrien keine gemeinsame Linie.

Eine Zusammenarbeit mit dem UN-Sicherheitsrat in der Syrien-Krise haben die USA bereits abgeschrieben. Selbst die Präsentation der Untersuchungen der UN-Experten, die den Giftgasangriff in Syrien vom 21. August untersucht hatten, könnte zu spät kommen – ehe die ersten Marschflugkörper auf Syrien niederdonnern.

Mit aller Vehemenz treibt US-Präsident Barack Obama nach langem Zögern nun die Vorbereitungen für einen Vergeltungsangriff auf Syrien voran. Kommenden Dienstag wird er sich mit eine Rede über die Lage in Syrien an die eigene Nation wenden – ein sicheres Indiz dafür, dass das Weiße Haus seinen Beschluss für einen Angriff bereits gefasst hat. Obama hat das Pentagon angewiesen, die Liste der potenziellen Angriffsziele – die Rede ist derzeit von etwa 50 – massiv auszuweiten. Klar ist dabei: Diktator Assads Chemie-Waffenarsenale sollen nicht bombardiert werden, um verheerende Schäden für die Umgebung zu vermeiden. Im Visier aber sind Armeehauptquartiere, konventionelle Waffenlager, möglicherweise militärische Flughäfen.

Vier Zerstörer

Den Großteil der Angriffe dürften die vier US-Zerstörer im östlichen Mittelmeer ausführen. Jedes der Schiffe hat rund drei Dutzend Tomahawk-Raketen an Bord – Mittelstreckenraketen, die über eine Distanz von mehr als 1300 Kilometer genau treffen können. Militärplanungen sollen auch begonnen haben, eventuell auch die US-Luftwaffe einzubeziehen – für den Fall, dass den USA und den sich mit beteiligenden Franzosen – die Raketen ausgehen.

Worauf die US-Führung wartet, ist das Grüne Licht durch den Kongress. Am Montag kehren alle Abgeordneten aus dem Urlaub zurück, eine Abstimmung über die Zustimmung von Abgeordnetenhaus und Senat zum geplanten Militärschlag gegen Syrien dürfte noch am Wochenanfang erfolgen. Noch hat der US-Präsident nicht alle Kongressmitglieder auf seiner Seite. Dass das Votum gegen einen Militärschlag ausgehen wird, scheint aber immer unwahrscheinlicher.

Kalte Schulter

Beim Gipfel der Staatsführer der 20 mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt (G 20) in Petersburg stieß Obama mit seinem Vorpreschen teils auf heftigen Widerstand. Russlands Präsident Putin zeigte dem US-Präsidenten die kalte Schulter, woraufhin wiederum der britische Premier David Cameron Putin attackierte: Der russische Präsident sei mit seiner Verweigerungshaltung „meilenweit von der Wahrheit entfernt“. Nach wie vor behaupte Putin, nicht das Assad-Regime sondern die Rebellen hätten die Giftgasangriffe mit Hunderten Toten zu verantworten. Die USA formulieren es noch härter: Russland habe die UNO in der Syrien-Frage in „Geiselhaft genommen“ – weshalb eine gemeinsame Suche nach einer Lösung unmöglich sei.

Die Veto-Mächte Frankreich, Großbritannien, aber auch Deutschland und Österreich drängen dennoch vehement auf eine UNO-Resolution, die einen möglichen Militärschlag gegen Syrien sanktionieren soll. Auch Österreichs Außenminister Michael Spindelegger lehnt einen drohenden Alleingang der USA strikt ab: Dies sei ein „Verstoß gegen das Gewaltmonopol der UNO“. Dem fügt Staatssekretär Reinhold Lopatka gegenüber dem KURIER noch hinzu: „Eine Lösung, die Bestand hat, kann keine militärische sein, sondern nur eine politische.“

Mit auf maximal 90 Tage beschränkten „chirurgischen Schlägen“ aus der Luft will Washington das Assad-Regime für den Einsatz von Giftgas betrafen. Zwar soll die syrische Armee erheblich geschwächt werden, ein Sturz des Assad-Regimes aber wird nicht angepeilt.

Verbündeter Israel

Den größten Unterstützer bei solch einem Vorgehen haben die USA in Syriens Nachbar Israel. Die Regierung in Jerusalem fordert eine Strafaktion für Assad, fürchtet aber gleichzeitig seinen Abgang – der extrem-radikale islamistische, israel-feindliche Kräfte an die Macht bringen könnte.Israel hat in Syrien heuer bereits vier Mal Luftschläge ausgeführt: Seine Luftwaffe bombardierte Lastwagenkolonnen, die Waffen für die im Libanon tätige, radikal-islamische Hisbollah-Miliz liefern wollten.

Die EU hat keinen Zweifel mehr darüber, dass im syrischen Bürgerkrieg Chemiewaffen eingesetzt worden sind. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte zum Auftakt von Beratungen mit den europäischen Außenministern in Vilnius am Freitag: "Niemand ist der Ansicht, dass dies keine Chemiewaffenattacke war."

Ashton sagte, die Diskussionen würden sich hauptsächlich um Syrien drehen. Sie bestätigte, dass US-Außenminister John Kerry am Samstag an den Beratungen der EU-Außenminister in Vilnius teilnimmt, "zweifelsohne, um über Syrien zu reden". Mit Kerry würden die EU-Minister aber auch über den Nahost-Friedensprozess, Ägyptens und Tunesien reden.

Der litauische Außenminister Linas Linkevicius forderte einen "koordinierten Ansatz" der EU zu Syrien. Die Welt müsse reagieren, der Einsatz von Chemiewaffen sei "inakzeptabel". Das kann nicht unverantwortet bleiben. Es müsse auch verhindert werden, dass so ein Angriff erneut passiere.

Der dänische Außenminister Villy Sövndal sagte: "Niemand hat zweifel darüber, dass chemische Waffen eingesetzt wurden." Am besten wäre es, wenn der UNO-Sicherheitsrat seiner Verantwortung nachkommen würde. Am schlimmsten wäre es, wenn die Welt jetzt wegschauen würde. Sövndal erwartet in den nächsten Wochen noch diplomatische Bemühungen, er schloss aber einen Militärschlag nicht aus, wenn in der UNO keine Lösung zum Schutz der Bevölkerung in Syrien gefunden werde.

Wenn eine militärische Intervention in Syrien vermieden werden soll, müssten US-Präsident Barack Obama und Russlands Wladimir Putin aufeinander zugehen: „Die USA und Russland müssen an ihre Verantwortung erinnert werden. Beim G-20-Treffen steht das Thema Syrien nicht auf der Tagesordnung, aber es gehört auf die Tagesordnung“, sagte der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher zum KURIER.

Wenn es um Menschenleben und darum gehe, schreckliche Ereignisse wie die in Syrien zu beenden, dann dürften die Probleme, die zur vorläufigen Absage des Treffens Obama-Putin geführt haben (die Affäre um NSA-Enthüller Ed Snowden, Anm.) „keine Rolle mehr spielen“, mahnte der legendäre Außenminister der Kabinette Schmidt und Kohl von 1974 bis 1992.

Ob ein Militärschlag gerechtfertigt sei, sei gar nicht das Thema: Ein Orakeln über die Richtigkeit eines Militärschlages würde eine Chance auf eine Einigung nur erschweren. Es gehe darum zu vermeiden, dass eine Intervention notwendig ist. „Ein Militärschlag kann immer nur das letzte Mittel sein“, sagte Genscher. Zumal die Beispiele des militärischen Eingreifens des Westens in der Geschichte, abgesehen vom Kosovo, „nicht gerade ermutigend sind, nehmen Sie Vietnam, Afghanistan, Irak“.

Das ausführliche Interview mit Hans-Dietrich Genscher über Nahost, Russland, die UNO und Europa lesen Sie im KURIER am Sonntag.

Kommentare