Merkels Niederlage hat Vorgeschichte

Francois Hollande (r.) und Angela Merkel im Elysee-Palast in Paris.
Griechen-Nein ist auch Absage an EU-Politik der deutschen Kanzlerin. Gipfel berät humanitäre Hilfe für Griechen.

Was immer Kanzlerin Merkel mit Frankreichs Präsident Hollande Montagabend in Paris besprach: Es hatte einen resignativen Zug. Der Frau, die das größte Land mit der potentesten Wirtschaft und damit auch Europa in seltener Stabilität führt, hat dessen größter Hilfsempfänger, Griechenland, eine Niederlage bereitet. Die erste richtige, wie das Boulevardblatt Bild meint.

Die Genugtuung derer im In- und Ausland, die Merkels und oft auch Deutschlands Stärke schon immer irritierte, ist aber nur bedingt berechtigt. Und sie könnte vorschnell sein. "Die Trümmerfrau", wie der Spiegel in Häme titelt, ist keine kühle Analysen von Merkels Europa-Politik. Eine solche müsste mehr berücksichtigen.

Rolle der Vorgänger

Vor allem die Rolle der anderen Länder und von Merkels Vorgängern. Von Helmut Kohl, der für die Wiedervereinigung 1990 der Bedingung von Frankreichs Präsident Mitterrand nachgab: Den EU-Währungsmechanismus zum Euro aufwerten, um das erstarkte Deutschland dauerhaft einzuhegen.

Kohls damalige Schwäche schließt heute den Hauptzahler und Bürgen des Euroraums zeitweise sogar von Entscheidungen der EZB aus. Damals glaubten die meisten Deutschen Kohls Mantra, nur das Opfern der D-Mark garantiere dauerhaften Frieden, und den Euro-Verträgen, die keine Transferunion zu ihren Lasten zulassen würden.

Reform-Rezept wirkt

Als dessen rücksichtsloseste Nutzer erbte die Kanzlerin die Griechen im Euroraum von SPD-Vorgänger Gerhard Schröder. Merkels Entscheidung nach der Finanzkrise 2010, ihnen unter die Arme zu greifen, war europäischer und deutscher Konsens: Alle hofften auf bescheidene Erfolge bei den als Bedingung dafür gestellten Reformen. Und alle fürchteten die Krisen-Ansteckung in Südeuropa und den Märkten.

In den anderen Krisenländern hat Merkels eisern wiederholtes und seither oft angefeindetes Rezept gewirkt: Die sind auf dem Weg zurück in die Normalität. Dessen Richtigkeit beweisen auch die geringen Reaktionen der Märkte nun. Die wissen aber auch, dass nicht mehr sie den Preis zahlen, sondern die europäischen Steuerzahler.

Merkel hat mit ihrer vagen Sturheit auch den wichtigen Punkt des "blame game" gemacht. Den Versuch der Griechen, die Verantwortung für ihre eigene Krise und der von ihnen herbeigeredeten Krise des Euro auf Merkel zu projizieren – und das mit übelsten antideutschen Reflexen –, ignorierte sie. An der Alleinschuld der Griechen hat das überraschend einige Resteuropa keine Zweifel, abgesehen von den Radikalen überall.

Diese Einigkeit ist auch eine ihrer Leistungen. Merkel verzichtete auf das Image der entschiedenen Krisenmanagerin.

Und doch vertrauen ihr die Wähler mehr denn je. Dass der Euro heute Europa eher zu spalten scheint als zu einen, ist in ihren Augen offenbar kaum Angela Merkels Schuld.

Ob sie als Mächtigste der EU früher hätte eingreifen sollen, wie ihre Kritiker monieren, bleibt offen: Nirgends zeichnete sich dafür ein Konsens ab, eher im Gegenteil – auch in Berlin. Konsens gebe es heute auch im Euro-Süden nur für eine noch weitergehende Transferunion – zu deutschen Lasten vor allem.

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Auftrieb für Europas linke und rechte Populisten

Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte dem finanziell angeschlagenen Griechenland in einem Vorgriff auf ein späteres Hilfspaket unter bestimmten Umständen vorab Liquidität über ein "Brückenprogramm" zur Verfügung stellen. Das sei ein Punkt, der zu diskutieren sei, sagte der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), EZB-Rat Ewald Nowotny am Montagabend.

Auf jeden Fall seien sehr rasche Entscheidungen nötig, "man kann eine Wirtschaft ja nicht quasi einfrieren", meinte Nowotny in der ZiB2 des ORF-Fernsehen. Wenn Athen tatsächlich am 20. Juli Staatsanleihen im Umfang von 3,5 Mrd. Euro, die von der EZB gehalten werden, nicht tilgen könne, dann wäre dies "tatsächlich der Fall eines Staatsbankrotts, eines Defaults, da würde es für die EZB nicht mehr möglich sein, weitere Liquidität bereitzustellen", betonte Nowotny. Dann müsste die EZB aus seiner Sicht die knapp 90 Mrd. Euro ELA-Notfallkredite formal fällig stellen, wenn auch mit Fristen für eine Rückzahlung.

"Das ist ein ganz ganz wichtiger Tag"

Über die längerfristigen Perspektiven für Griechenland würden die politischen Verhandlungen am Dienstag und eventuell auch am Mittwoch entscheiden: "Ich muss zumindest eine Perspektive haben. Das muss sich in den Verhandlungen abzeichnen, das ist ein ganz ganz wichtiger Tag."

In diesem Konnex seien dann auch allfällige weitere Liquiditätsbereitstellungen zu sehen. Allerdings, so Nowotny: "So wie die Informationen aber sind, die ich bekomme, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es da zu konstruktiven Schritten kommt, nicht sehr groß." Diese Woche würden die griechischen Banken wohl mit dem prolongierten - aber nicht aufgestockten - ELA-Rahmen "durchkommen", danach könnten aber vielleicht einmal neue Maßnahmen nötig werden.

Eigene Euro drucken könne Griechenland eigenmächtig jedenfalls nicht: "Die Ausgabe von Noten ohne Bewilligung durch die EZB ist das Verbrechen der Falschgelderzeugung. Das wäre schon ein strafrechtliches Delikt", so Notenbankgouverneur Nowotny auf eine diesbezügliche Frage.

Die mehrheitliche Reaktion der Eurozone am Tag danach: Cool bleiben, abwarten – und die Erwartungen an einen allzu schnellen Deal etwas dämpfen.
Es gebe „keine Basis für weitere Verhandlungen“, hieß es am Montag aus dem Berliner Kanzleramt.

„Es ist sehr klar, dass wir 19 Demokratien in der Eurozone haben und nicht nur eine Demokratie“, sagte Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission. Eine eindeutige Botschaft: Das klare Votum der Griechen bedeute nicht, dass der weitere Verhandlungsweg nun ebenso klar vorgegeben sei.

„Leichte Lösungen gibt es nicht“, sagte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem am Montag. Das Ergebnis des griechischen Referendums mache das Finden einer Lösung „noch schwieriger“.

Immerhin könnte der Rücktritt von Finanzminister Varoufakis die Sache zumindest atmosphärisch erleichtern: Er hoffe künftig auf ein besseres Gesprächsklima, sagte Finanzminister Hans Jörg Schelling im ORF-Radio.

Auch wenn keine Schnellschüsse zu erwarten sind, sollte doch sehr bald klar sein, in welche Richtung sich die Gespräche zwischen Griechenland und seinen Gläubigern bewegen.

Was wird verhandelt? Premier Alexis Tsipras hat am Montag mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vereinbart, dass Athen heute neue Vorschläge vorlegen wird. Am frühen Nachmittag kommen die Euro-Finanzminister in Brüssel zu einem Sondertreffen zusammen, am Abend gibt es einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten.

Im Vorfeld war offen, worüber überhaupt verhandelt werden soll: Ein drittes Hilfspaket, das dem „Rest“, also den nicht umgesetzten Reformen und nicht ausbezahltem Geld des zweiten entspricht? Ein umfangreicheres Programm, mit dem die Griechen gleich über die nächsten Jahre kommen sollen? Oder nur eine Zwischenlösung, die das Land vor der Pleite bewahrt, während man einen langfristigen Deal berät?

Humanitäre Hilfe

Ein weiteres Indiz, dass man nicht mit einer raschen Einigung auf ein neues Hilfspaket rechnet: Beim Gipfel soll auch über humanitäre Hilfe für die Griechen geredet werden – weil man offenbar davon ausgeht, dass das Land immer weiter ins Chaos stürzen könnte. „Am Sondergipfel werden wir die Lage neu bewerten. Der Vorschlag, welchen Weg die Griechen jetzt einschlagen wollen, muss aber von ihnen selbst kommen“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann zum KURIER. „Damit das leidgeprüfte griechische Volk in keine noch größere humanitäre Katastrophe schlittert, werden wir auch über humanitäre Hilfe sprechen müssen.“ Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel warnte, „die endgültige Zahlungsunfähigkeit scheint unmittelbar bevorzustehen“.

Dass die Banken in Griechenland, die seit einer Woche geschlossen sind, auch Dienstag und Mittwoch geschlossen bleiben, kommt wenig überraschend. Denn die Europäische Zentralbank hat gestern wie erwartet beschlossen, die Notfall-Hilfen für griechische Banken (ca. 89 Milliarden Euro) einzufrieren. Sie wartet den Euro-Gipfel ab, bevor sie den Rahmen der Notkredite erweitert – falls sie das überhaupt tun wird.

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