Merkel: Vor Oktober kein Verhandlungs-Aus mit Türkei

TV-Duell in Deutschland: EU-Beitritsverhandlungen als Thema
Trotz Einigkeit bei Merkel und Schulz will EU-Kommission noch nicht von einem Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei sprechen. Einer der beiden kürzlich in der Türkei festgenommenen Deutschen ist offenbar wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Die EU-Kommission hat zurückhaltend darauf reagiert, dass Angela Merkel auf EU-Ebene über ein Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei reden will. Die deutsche Bundeskanzlerin und SPD-Chef Martin Schulz hatten sich am Sonntag bei ihrem TV-Duell für ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen ausgesprochen.

Die Kanzlerin sagte, sie wolle mit ihren EU-Kollegen "noch einmal reden, ob wir zu einer gemeinsamen Position kommen können und diese Beitrittsverhandlungen auch beenden können". Schulz erklärte, das Verhalten der Türkei lasse keine andere Wahl. "Hier sind alle roten Linien überschritten. Der Punkt ist beendet."

Zur Sprache will Merkel das Thema beim EU-Gipfel im Oktober bringen und dort mit den anderen Staats- und Regierungschefs über einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beraten.

Schulz hatte am Sonntagabend angekündigt, bei einem Wahlsieg das Ende der seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen beantragen zu wollen.

Besorgnis bei Juncker

Eine Sprecherin der EU-Kommission bekräftigte am Montag lediglich, dass auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Entwicklungen in der Türkei mit großer Besorgnis verfolge.

Er habe erst in der vergangenen Woche gesagt, dass sich die Türkei seiner Meinung nach "in Riesenschritten" von Europa entferne. Juncker hat sich bisher gegen einen einseitigen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen. Er vermute, dass der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan die EU zu einem solchen Schritt drängen wolle, um ihr dann im eigenen Land die Verantwortung dafür geben zu können, sagte Juncker ebenfalls in der vergangenen Woche. Er sei deswegen für eine Politik, die der türkischen Bevölkerung zeige, dass das "System Erdogan" einen Beitritt der Türkei zur EU unmöglich mache.

Juncker ergänzte, dass die Frage eines Abbruchs der Beitrittsgespräche für ihn ohnehin eine rein theoretische sei. "Es gibt derzeit keine Verhandlungen", sagte er.

Keine Entscheidung vor Bundestagswahl

Vor der Bundestagswahl am 24. September wird nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert aber keine Entscheidung über den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche fallen. Derzeit ruhten die Verhandlungen ohnehin, und vor der Bundestagswahl gebe es keinen europäischen Rat mehr, sagte Seibert. "Also steht das Thema überhaupt erst nach der Bundestagswahl zur Debatte." Ein Abbruch der Verhandlungen muss von den 28 Mitgliedern der Europäischen Union einstimmig beschlossen werden. Der nächste EU-Gipfel findet am 19. und 20. Oktober in Brüssel statt. Dort werde man dann beraten, ob man auch die Beitrittsverhandlungen beenden sollte.

Der Umgang mit der Türkei ist auch ein Streitthema in der Großen Koalition und der SPD. Merkel sagte am Sonntag, dass sie sich in einem Gespräch mit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Freitag noch einig gewesen sei, die Beitrittsverhandlungen nicht abzubrechen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte am Montag dagegen: "Der Außenminister teilt die Position von Herrn Schulz." Merkels Sprecher sagte daraufhin, wenn die Sozialdemokraten ihre Position nun verändert hätten, werde dies zu weiteren Gesprächen führen.

Scharfe Kritik aus der Türkei

Der türkische Europa-Minister Ömer Celik hat die Äußerungen führender deutscher Politiker über eine Beendigung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei scharf kritisiert. Dies sei ein Angriff auf die Gründungsprinzipien der EU, sagte Celik am Montag. "Sie bauen eine Berliner Mauer mit den Steinen des Populismus."

Die Türkei werde erhobenen Hauptes als ein europäisches Land und eine europäische Demokratie ihren Weg weitergehen.

Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sind seit mittlerweile mehr als einem Jahr extrem angespannt. In Reaktion auf die Ereignisse nach dem Putschversuch in der Türkei hatten die EU-Staaten bereits im vergangenen Dezember beschlossen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land bis auf weiteres nicht auszuweiten. Damit soll unter anderem das Vorgehen der türkischen Behörden gegen Journalisten und Oppositionspolitiker sanktioniert werden.

Festgenommener Deutscher wieder frei

Einer der beiden in der Türkei zuletzt festgenommenen Deutschen ist nach Angaben des Auswärtigen Amtes wieder auf freiem Fuß. Dies habe der Anwalt der Person der Bundesregierung mitgeteilt, sagte ein Ministeriumssprecher am Montag in Berlin. Das Auswärtige Amt werde die Informationen nun prüfen. Die zweite Person befindet sich demnach noch in türkischer Haft.

Zu ihr hätten deutsche Diplomaten weiterhin keinen Zugang. Die beiden deutschen Staatsbürger waren am vergangenen Donnerstag in Antalya festgenommen worden.

Die Türkei hat seit dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 Zehntausende Personen unter dem Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung inhaftiert. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes vom Freitag befinden sich derzeit 55 deutsche Staatsangehörige in der Türkei in Haft, davon zwölf aus politischen Gründen.

Keine Änderung bei Deal mit Türkei

Trotz jüngst leicht gestiegener Migrantenzahlen aus der Türkei nach Griechenland sieht die EU-Kommission keine Änderung in der Haltung Ankaras zum Flüchtlingsdeal. Eine Sprecherin verwies am Montag in Brüssel darauf, dass seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals die Zahl der Flüchtlinge um 97 Prozent gesunken sei.

Zu Berichten, wonach 500 Migranten zuletzt aus der Türkei an die griechischen Küsten gekommen seien, hieß es, dies sei nicht als Indiz für eine Änderung der Haltung Ankaras zu sehen. Insgesamt habe es im Sommer eine leichte Abnahme gegeben.

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