Merkel spricht Klartext: Weiterhin gegen Obergrenze

Die deutsche Kanzlerin bleibt in der Flüchtlingspolitik auf ihrem Kurs und nimmt wenig Rücksicht auf die Schwesternpartei CSU. Weiters verteidigt sie die Ortswahl für den G-20-Gipfel, stellt sich hinter den Hamburger Bürgermeister Scholz und wischt SPD-Kritik weg.

Selbstbewusst und siegessicher präsentierte sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im traditionellen ARD-Sommerinterview am Sonntag in Berlin. Sie stehe als Kanzlerin vier weitere Jahre zur Verfügung, das habe sie immer "deutlich gemacht". Merkel unterstrich das in dem Fernsehinterview mit klaren Aussagen zu unterschiedlichsten Wahlkampfthemen.

Da wäre einmal das Streitthema Nummer eins mit der Schwesternpartei CSU: Eine Obergenze für Flüchtlinge. Merkel bleibt hart: "Meine Haltung ist klar, ich werde sie nicht akzeptieren." Das gemeinsame Ziel einer Steuerung und Ordnung in der Flüchtlingspolitik lasse sich auch mit anderen beschlossenen Maßnahmen erreichen, sagte Merkel.

Auf Konfrontationskurs

Im Februar hatte CSU-Chef Horst Seehofer die Obergrenze als Bedingung für einen Koalitionsvertrag ausgerufen. Anfang Juli hieß es dann nur noch, seine Partei wolle die Forderung in ihren "Bayernplan" schreiben. Eine ausdrückliche Koalitionsbedingung sprach er da nicht mehr aus. Am Montag nach Merkels Interview sagte Seehofer vor den abschließenden Beratungen zum Bayernplan: "Die Obergrenze ist und bleibt ein Ziel der CSU."

Merkel spricht Klartext: Weiterhin gegen Obergrenze
German Chancellor Angela Merkel arrives for a TV interview by ARD public broadcaster in Berlin, Germany July 16, 2017. REUTERS/Hannibal Hanschke
Merkel sprach sich im Interview auch entschieden gegen die CSU-Forderung nach Volksentscheiden auf Bundesebene aus. Sie wolle diese "unter keinen Umständen". Ohne die von der CSU ebenfalls geforderte erneute Anhebung der Mütterrente zu erwähnen, wies sie zudem darauf hin, dass CDU und CSU im gemeinsamen Wahlprogramm bereits erhebliche Zusagen für Steuerentlastungen und Hilfen für Familien gemacht hätten.

Die Forderung nach einer Gleichstellung von Müttern von vor 1992 geborenen Kindern mit den Müttern jüngerer Kinder bei der Mütterrente will Seehofer aber ebenso in seinen Bayernplan aufnehmen.

Merkel sieht G-20-Ergebnisse positiv

Merkel wischte in dem Interview für die Sendung "Bericht aus Berlin" auch die SPD-Kritik am G-20 Gipfel weg. Außenminister Sigmar Gabriel hatte der Kanzlerin Selbstinszenierung kurz vor der Bundestagswahl vorgeworfen. "Ich habe mich nicht geärgert, aber gewundert, weil er ja bei der Vorbereitung des Gipfels mitgeholfen hat", sagte Merkel.

Den Gipfel selbst bilanzierte sie positiv und sprach von "wichtigen Resultaten". Er habe in einer Zeit stattgefunden, "wo an vielen Stellen Sprachlosigkeit drohte". Daher habe man viele Dinge gemeinsam besprochen. "Da, wo kein gemeinsames Ziel zu erreichen war, haben wir den Dissens ganz offen ausgesprochen. Insofern war ich mit dem Verlauf des Gipfels sehr zufrieden", sagte Merkel.

Auch die Auswahl von Hamburg als Austragungsort verteidigte sie. "Es war klar, es muss in einem Ballungsgebiet stattfinden", sagte Merkel. Die Entscheidung, auch von ihr, sei auf Hamburg gefallen, und "ich habe mich gefreut, dass Olaf Scholz Ja gesagt hat".

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Merkel verteidigt SPD-Bürgermeister

"Wir haben das gemeinsam gestaltet", sagte Merkel weiter mit Blick auf den sozialdemokratischen Hamburger Bürgermeister. "Es sind dann Dinge passiert, die absolut nicht akzeptabel sind, und dafür habe ich genauso die Verantwortung wie Olaf Scholz und drücke mich auch nicht davor", fügte die Kanzlerin mit Blick auf die Krawalle während des Gipfels hinzu. Diese Gewalt sei auf jeden Fall zu verurteilen. Merkel dankte erneut den Einsatzkräften, die während des Spitzentreffens im Dienst waren.

Auf Abstand ging Merkel zur Haltung der Hamburger CDU, aus deren Reihen nach dem Gipfel wegen der Krawalle der Rücktritt von Scholz gefordert worden war. Sie habe auch den Hamburger Parteifreunden gesagt, "dass ich das für falsch halte". Dies sehe auch mit Ausnahme Hamburgs das gesamte CDU-Präsidium so. Die deutsche Bundesregierung sei Gastgeberin des Gipfels gewesen, Scholz habe der Ausrichtung in seiner Stadt zugestimmt und "sich da jetzt hinterher auseinanderdividieren zu lassen, wäre aus meiner Sicht abenteuerlich".

Während des Gipfels vor gut einer Woche war es zu schweren Ausschreitungen gekommen. Dabei waren auch zahlreiche Polizisten und Demonstranten verletzt worden.

Anstrengungen für Klimaziele

Deutlich machte Merkel auch, dass für das Erreichen der deutschen Klimaziele bereits für 2020 zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind. Zugleich bekannte sie sich zu dem Versprechen, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent zu verringern. Über die dafür weiteren Anstrengungen müsse in den nächsten Jahren gesprochen werden.
"Da haben wir alle Hände voll zu tun, das zu erreichen", räumte Merkel ein. Derzeitigen Prognosen zufolge würde Deutschland ohne zusätzliche Maßnahmen das 40-Prozent-Ziel klar verfehlen. Die Kanzlerin bekräftigte auch die längerfristigen Ziele, die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu verringern.
Dazu sieht der Klimaschutzplan der deutschen Bundesregierung auch Zwischenziele für die Jahre 2030 von 55 Prozent und für 2040 von 70 Prozent Reduktion vor. In diesem Zusammenhang müsse auch die Frage gestellt werden, "wie werden wir mit der Braunkohleförderung umgehen", sagte Merkel weiter. Diese trägt in besonders hohem Maße zum CO2-Ausstoß bei. Die Kanzlerin kündigte dazu Gespräche mit den betroffenen Regionen an, um "Alternativen für die Beschäftigung" zu erreichen.

Merkel spricht Klartext: Weiterhin gegen Obergrenze
German Chancellor Angela Merkel (L) sits with with journalists Tina Hassel (C) and Thomas Baumann (R) before the recording of the traditional summer interview with public broadcaster TV station ARD in Berlin on July 16, 2017. / AFP PHOTO / John MACDOUGALL

Der derzeitige Koalitionspartner SPD forderte auch mehr und verpflichtende Investitionen im Bereich Digitalisierung, Verkehr und Kindergärten. Merkel erklärte, die finanziellen Mittel dafür seien durchaus da, schränkte aber ein: "Wir können das Geld, das wir haben, zurzeit nicht ausgeben. Wir müssen unbedingt die Planungsverfahren beschleunigen".

"Methode Merkel"

Angesprochen wurde auch die "Methode Merkel", also die Neigung der Kanzlerin, kontroversen Debatten diplomatisch aus dem Weg zu gehen. Worauf Merkel sagt: "Frau Merkel sagt, dass sie auf die Fragen, die ihr gestellt werden, auch antwortet." Im Speziellen ging es um das kontroverse Thema "Ehe für alle", bei dem Merkel in einer Fernsehdiskussion von einem grundsätzlichen Nein abwich und somit die Entscheidung für die CDU-Abgeordneten als "Gewissenseintscheidung" freigab. "Ich glaube, dass das ein Beitrag zur Befriedung einer Diskussion war", sagt Merkel.

Die Neue Zürcher Zeitung schrieb über Merkels Auftritt in der ARD: "Sie wirkte so souverän, als gäbe es die Zweifel und Anfeindungen seit der Flüchtlingskrise nicht, und musste mit ihrem Auftritt die SPD zur Weißglut gebracht haben."

Merkel geht als selbstbewusst in den Kampf um vier weitere Jahre Kanzlerschaft. Wobei ein Quäntchen Vorsicht doch mitschwingt: Man habe "nur bedingte Verfügungsgewalt über das eigene Leben", sagt die Kanzlerin.

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