Mehr als 90 Tote in Venezuela: Maduro-Gegnerin droht Absetzung

Erneut ein Mann bei Protesten getötet. Generalstaatsanwältin: Ermittlungen gegen 4.658 Personen.

Bei Protesten gegen die Regierung in Venezuela ist erneut ein Mann getötet worden. Der 25-Jährige sei bei Zusammenstößen während einer Straßenblockade in Tariba im Westen des Landes ums Leben gekommen, so die Staatsanwaltschaft am Dienstag. Die genauen Todesumstände seien noch unklar. Gut drei Monate nach Beginn der Protestwelle gegen Präsident Nicolas Maduro stieg die Zahl Toten somit auf 91.

Wie Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Diaz am Dienstag (Ortszeit) mitteilte, werde inzwischen gegen 4.658 Personen wegen der Todesfälle, Verletzungen und Sachbeschädigungen ermittelt. Sie kritisierte eine Einschränkung der Arbeit ihrer Behörde, weil viele Fälle an eine Sonderjustiz des Militärs abgegeben werden mussten, die Demonstranten in Schnellverfahren aburteilen will. Ortega bezeichnete diese Militärtribunale als "ein Mysterium".

Mehr als 90 Tote in Venezuela: Maduro-Gegnerin droht Absetzung
Venezuela's President Nicolas Maduro holds a copy of the country's constitution as he speaks during a meeting with governors in Caracas, Venezuela July 4, 2017. Miraflores Palace/Handout via REUTERS ATTENTION EDITORS - THIS PICTURE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY.

Die Proteste hatten sich Anfang April an der zeitweisen Entmachtung des von der konservativen Opposition dominierten Parlaments durch den Obersten Gerichtshof entzündet. Für eine Vielzahl der Opfer werden Sicherheitskräfte, vor allem die militarisierte Polizei (Guardia Nacional), verantwortlich gemacht. Die Sozialistin Ortega Diaz ist zur Gegenspielerin von Maduro geworden und kritisiert das Vorgehen gegen die Demonstranten, die Maduro Misswirtschaft und die Umwandlung des Landes mit den größten Ölreserven in eine Diktatur vorwerfen.

Entscheidung binnen fünf Tagen

Der von Maduro-Getreuen dominierte Oberste Gerichtshof will in den nächsten fünf Tagen über die Absetzung von Ortega entscheiden, die Verfahren gegen die Chefs der Guardia Nacional und des Geheimdienstes (Sebin) eingeleitet hat. Sie wirft Maduro einen Bruch mit Prinzipien seines 2013 verstorbenen Vorgängers Hugo Chavez vor. Ihre Absetzung könnte die Lage endgültig eskalieren lassen, viele fürchten einen Bürgerkrieg. Auch im Lager der Sozialisten gibt es zunehmende Risse, Verteidigungsminister Vladimir Padrino bestreitet Spaltungstendenzen im Militär.

Heute ist Venezuela ein Land fragwürdiger Superlative: Caracas eine der gefährlichsten Städte der Welt, die höchste Inflation der Welt - aber auch die billigsten Benzinpreise. Auch wegen der milliardenschweren Subventionen für das Benzin - das mangels eigener Raffineriekapazitäten trotz riesiger Ölreserven zum Teil importiert werden muss - fehlen Devisen, um ausreichend Lebensmittel und Medikamente einzuführen. Die Kindersterblichkeit ist dramatisch gestiegen. Maduro setzt vor allem auf einen steigenden Ölpreis, um die dramatische Versorgungskrise zu überwinden - und droht zur Verteidigung des sozialistischen Projekts mit Waffengewalt.

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