Theresa May: "Wir verlassen die EU, nicht Europa"

Theresa May verkündet Brexit-Pläne
Großbritannien solle wahrhaft global sein und bester Freund und Nachbar seiner europäischen Partner, sagt die britische Premierministerin. Das Land will eine "klare Trennung" von der Europäischen Union.

Theresa Mays Brexit-Plan:

  • Großbritannien scheidet aus dem EU-Binnenmarkt & der Zollunion aus.
  • Großbritannien scheidet aus dem Europäischen Gerichtshof aus.
  • Großbritannien kontrolliert die Einwanderung.
  • Großbritannien und die EU sollen ein Freihandelsabkommen vereinbaren.
  • Parlament soll über Ergebnisse der Brexit-Verhandlungen abstimmen.

"Es ist nicht mein Job, täglich über Neuigkeiten zu informieren. Mein Job ist, das Beste für Großbritannien herauszuholen", sagte die britische Premierministerin Theresa May am Dienstag in London, wo sie ihre Pläne zum Brexit präsentierte. Sie betonte, dass Großbritannien gestärkt aus dem Brexit hervorgehen solle. Das Land solle wahrhaft global sein und bester Freund und Nachbar seiner europäischen Partner. Allerdings, verkündete May, sei sie für eine klare Trennung von der Europäischen Union. "Kein Deal für Großbritannien ist noch immer besser als ein schlechter Deal", warnte die Regierungschefin.

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Großbritannien wolle keine Teil-Mitgliedschaft oder assoziierte Mitgliedschaft in der EU "oder irgendetwas, das uns halb drin, halb draußen lässt", sagte May, die ein Modell, das andere Länder schon genießen, ablehnt. Norwegen zum Beispiel ist kein EU-Mitglied, hat aber vollen Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Im Gegenzug muss es zum EU-Budget beitragen, EU-Bürgern erlauben, in Norwegen zu leben und zu arbeiten, und einen großen Teil der EU-Gesetzgebung übernehmen.

Theresa May: "Wir verlassen die EU, nicht Europa"
An employee changes the channels of televisions, on display in a store for sale in Liverpool, north-west England, on January 17, 2017, as they show a live speech by British Prime Minister Theresa May on the government's plans for Brexit. In a highly-anticipated speech, May is likely to give further signals that Britain is heading to what analysts call a "hard" Brexit. / AFP PHOTO / Paul ELLIS

May betonte: "Wir streben nicht danach, an Häppchen der Mitgliedschaft festzuhalten, wenn wir gehen." Bevor der Brexit überhaupt stattfindet, will die Premierministerin das Parlament darüber abstimmen lassen. Die Austrittsverhandlungen mit der EU will May in beiden Kammern zur Abstimmung stellen.

Spekulationen bewahrheiten sich

Die Premierministerin will Ende März in Brüssel offiziell das Austrittsgesuch Großbritanniens einreichen, es bleiben dann zwei Jahre für die Austrittsverhandlungen. In britischen Medien wurde am Dienstag unterschiedlich interpretiert, ob May ernsthaft mit einem Ausstieg aus dem europäischen Binnenmarkt droht, oder der Alleingang beschlossene Sache ist. Es scheint aber fix zu sein. "Wir streben keine Mitgliedschaft im Binnenmarkt an", sagte May. Auch das Ausscheiden aus der Zollunion strebt sie an.

Die Entscheidung für den Brexit sei nicht darauf gerichtet, der EU zu schaden. Die Europäer würden auch künftig in Großbritannien willkommen sein, die Briten hoffentlich auch in der EU. "Wir verlassen die EU, nicht Europa", stellte die konservative Regierungschefin nochmals klar.

Der von der britischen Premierministerin Theresa May ankündigte harte Bruch mit der EU wäre nach Ansicht der schottischen Regierung für das Königreich eine "wirtschaftliche Katastrophe". Schottland habe nicht für den Kurs gestimmt, den May nun vorgegeben habe, beklagte Regierungschefin Nicola Sturgeon am Dienstag.

Die Regierung in London dürfe Schottland nicht aus der EU oder dem Binnenmarkt reißen, ohne dass die Schotten über eine andere Zukunft entscheiden könnten. Die Stimme Schottlands werde bisher aber nicht gehört.

Sturgeon hatte wegen des Brexit-Votums bereits ein neues Referendum zur Loslösung Schottlands vom Vereinigten Königreich ins Gespräch gebracht. May hatte am Dienstag erklärt, Großbritannien solle aus dem Binnenmarkt und der Zollunion austreten und stattdessen ein Freihandelsabkommen mit der EU vereinbaren. Die Schotten hatten beim EU-Referendum im vergangenen Juni anders als die Engländer und Waliser mit einer klaren Mehrheit für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt.

Juncker will mit May telefonieren

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei in regelmäßigem Kontakt, für den heutigen Dienstag sei später noch ein Telefonat mit May geplant. Juncker sei über Mays Rede von seinem Team "mit Interesse" gebrieft worden, sagte der Sprecher.

EU-Kommissionssprecher Margaritis Schinas sagte, die Position der EU-Kommission und der 27 EU-Staaten sei sehr klar. Auf spezifische Fragen Großbritanniens werde die EU erst reagieren, nachdem das EU-Austrittsverfahren nach Artikel 50 des EU-Vertrags formal eingeleitet wurde.

Mahnung aus Deutschland

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat zur baldigen Formalisierung des Austrittswunsches Großbritanniens aus der Europäischen Union gemahnt. "Nunmehr sind seit dem Referendum über den Austritt aus der Europäischen Union fast sieben Monate vergangen", erklärte Steinmeier am Dienstag in Berlin.

"Unsere Linie ist und bleibt: Die Verhandlungen beginnen erst, wenn Großbritannien seinen Austrittswunsch auch offiziell mitgeteilt hat."

Binnenmarkt klingt sperrig - aber der gemeinsame Wirtschaftsraum bietet den EU-Mitgliedern seit Jahrzehnten große Vorteile. Nun hat Großbritannien den Austritt verkündet.

Großbritannien will den Brexit - und nimmt dabei einen Abschied aus dem europäischen Binnenmarkt in Kauf. So hat es Premierministerin Theresa May in ihrer Grundsatzrede am Dienstag deutlich gemacht. Wie die Wirtschaftsbeziehungen künftig aussehen, wird der zentrale Punkt der Verhandlungen zwischen London und Brüssel vor dem für 2019 anvisierten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Gemeinschaft. Ein Bruch wäre so, als müsste man aus einem Wollpullover einen einzelnen Faden herausdröseln und dann das Ganze neu stricken - eine komplizierte Aufgabe voller Unwägbarkeiten.

Was ist der EU-Binnenmarkt?

Er gilt als das Herzstück der Europäischen Union seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 und der Europäischen Zollunion 1968. Großbritannien trat 1973 bei. Vollendet wurde der Binnenmarkt mit dem Vertrag von Maastricht 1992. Als Eckpfeiler gelten die "vier Freiheiten": Freiheit des Warenverkehrs, der Arbeitskräfte, der Dienstleistungen und des Kapital- und Zahlungsverkehrs. Das heißt, die gut 500 Millionen EU-Bürger können in den 28 EU-Staaten kaufen, arbeiten und investieren, wo sie wollen.

Wie funktioniert der Binnenmarkt?

Die EU-Länder erkennen gegenseitig ihre Regeln an und alle gemeinsam die EU-Richtlinien und Verordnungen. Die EU-Kommission ist die Überwachungsinstanz. Sie maßregelt Länder, die den Wettbewerb verzerren, ob nun mit Subventionen oder unfairen Steuervorteilen. Auch Kartelle nimmt Brüssel regelmäßig ins Visier. Üblich sind millionenschwere Bußgelder. Die EU-Gerichte bieten einen Rechtsweg.

Was bringt der Binnenmarkt den EU-Mitgliedern?

Die 28 EU-Staaten machen dank gemeinsamer Regeln und Zollfreiheit untereinander weit mehr Geschäfte als mit Partnern außerhalb der Gemeinschaft. So hatte allein der Warenverkehr untereinander 2015 laut der Statistikbehörde Eurostat ein Volumen von 3,07 Billionen Euro. Deutschland hat einen Anteil von gut einem Fünftel: 22,6 Prozent aller Warensendungen innerhalb der EU kommen aus Deutschland, 20,9 Prozent aller in der EU verschifften Güter enden dort.

Welche Rolle spielt Großbritannien?

Der Handel in der EU ist für Großbritannien weniger wichtig als für Deutschland. Sein Anteil an den innerhalb der EU versendeten Güter lag laut Eurostat 2015 bei 10,2 Prozent. Es ist auch das einzige Mitgliedsland, das innerhalb der EU weniger Handel treibt als mit Drittstaaten - gemessen jeweils an Aus- und Einfuhren zusammen.

Welche Vorteile haben die Briten dann?

Großbritannien bezieht trotzdem rund die Hälfte seiner importierten Waren aus der EU und liefert auch etwa die Hälfte seiner Exporte dorthin, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) 2015 analysierte. Noch bedeutender sind britische Dienstleistungen: Hier erwirtschaftete das Königreich 2014 laut IW in der EU einen Überschuss von 19,1 Milliarden Euro, vor allem mit Finanzdienstleistungen. Eng verwoben sind beide Seiten auch in Wertschöpfungsketten. Es werden eben nicht nur fertige Produkte gehandelt, sondern auch Teile und sogenannte Vorleistungen. Hier könnte sich ein Austritt Großbritanniens aus dem Binnenmarkt besonders negativ auswirken, schließt das IW.

Warum geben die Briten das auf?

Die britische Regierung sieht die wirtschaftlichen Vorteile und würde sie gerne weiter nutzen. Eine der vier Freiheiten macht ihr jedoch politisch zu schaffen: die Zuwanderung von Arbeitskräften aus anderen EU-Ländern. Allein aus Polen kamen insgesamt 870.000 Menschen. Die Brexit-Befürworter beklagen den Druck auf Arbeits- und Wohnungsmarkt und wollen die Freizügigkeit stoppen. Die übrigen EU-Länder geben sich aber hart: Zugang zum Binnenmarkt gebe es nur mit allen vier Freiheiten, "Rosinenpicken" komme nicht in Frage.

Was bedeutet ein Abschied der Briten aus Binnenmarkt und Zollunion?

Großbritannien ginge der ungehinderte Zugang zu einem Markt mit knapp 450 Millionen Menschen verloren. London hätte dafür bei Subventionen und Steuervorteilen freie Hand und könnte Kapital anlocken. Bei einem Ausscheiden aus der Zollunion wären wieder Zölle zwischen Großbritannien und dem Kontinent denkbar. Das Königreich könnte auch mit eigenen Handelsbündnissen, etwa mit den USA, der EU eins auswischen. Wahrscheinlich ist jedoch eine Verhandlungslösung. Premierministerin May sagte am Dienstag, sie wolle den weiteren Zugang zum Binnenmarkt mit einem "umfassenden Handelsabkommen" sichern. Ein Zollabkommen wolle sie ebenfalls. IW-Brexit-Experte Jürgen Matthes erwartet ein Geben und Nehmen, das heißt, je mehr EU-Einfluss Großbritannien zulässt, desto mehr Marktzugang kann es erwarten. Kommen beide Seiten nicht überein, wären sie immerhin noch über die Welthandelsorganisation WTO verbunden.

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