Martin Schulz und sein Glücksbringer

Das Ehepaar Inge und Martin Schulz ist wahlkampferprobt
Er hat ein lockeres Mundwerk und brennt für die Politik. Das will der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments jetzt als Kanzlerkandidat der SPD nützen.

Einen Glücksbringer hat Martin Schulz immer dabei. "Happy Hippo", wie er das Geschenk seiner Tochter nennt, steckt immer im Sakko. Manchmal zieht er das blaue Nilpferd heraus, so ein Plastik-Ding aus dem Überraschungsei. Er weiß, ein bisschen Glück wird er künftig brauchen, um als SPD-Spitzenkandidat seine Partei wieder nach oben zu führen.

Zur Politik ist Martin Schulz über sein großkoalitionäres Elternhaus gekommen. "Bei uns wurde über nichts anderes geredet als nur über Politik", erinnert er sich. Die Mutter – sie hatte im Hause die Hosen an – war eine engagierte CDU-Kommunalpolitikerin, der Vater Polizist und Sozialdemokrat. Früh hat Martin Schulz also gelernt, sich verbal durchzusetzen, auch gegenüber seinen vier älteren Geschwistern. Er hinterfragte alles und argumentierte scharf. Seine Mutter sagte häufig: "Den Bub muss ich zwei Mal zu Bett bringen, einmal sein Mundwerk, dann ihn selbst."

Jesuiten-Schule

Die Eltern schickten ihren aufmüpfigen Sohn auf ein privates Jesuiten-Gymnasium. Geschichte, Literatur und Sprachen interessierten ihn, vernarrt war er aber in Fußball. Er träumte von einer Kicker-Karriere, zwei Knieverletzungen setzten dem Wunsch ein Ende. In der elften Klasse flog er mit dem Abschluss der Mittleren Reife aus der Schule. Für den 18-Jährigen brach eine Welt zusammen. Der Superior des Kloster verhalf Martin Schulz zu einer Lehre als Buchhändler. Glücklich war er nicht.

Schon als Schüler schloss er sich den Jungen Sozialdemokraten an und machte Wahlkampf für sein großes Vorbild Willy Brandt. Seine Juso-Freunde halfen ihm über Krisen hinweg, vom Alkohol brachten sie ihn aber nicht ab. Mit allerletzter Kraft und der Hilfe seines Bruders, der Arzt ist, zog sich Martin Schulz mit 24 Jahren selbst "aus der Gosse", wie er heute offen über seine Sucht spricht. Am 26. Juni 1980 – er weiß es noch ganz genau – fasste er nach einer durchzechten Nacht den Entschluss, aufzuhören. Seither hat er keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken.

Mit einem Kredit eröffnete er in der Innenstadt von Würselen eine Buchhandlung. Hier kamen alle Jusos der Region zusammen und erfanden die Welt neu. Politkarrieren wurden geschmiedet, für Martin Schulz ging es steil nach oben, er wurde Bürgermeister von Würselen, einer 40.000 Seelen-Gemeinde in der Nähe von Aachen. Mit 31 Jahren war er damals der jüngste Bürgermeister Deutschlands.

Hilfe für Arbeitslose

Einfach war die Ausgangslage als Kommunalpolitiker nicht: Die Kohlengruben sperrten zu, die Arbeitslosigkeit stieg. Mit viel Geschick holte Schulz neue Unternehmen der IT- und Chemie-Branche nach Würselen, ein moderner Industriepark entstand. Er organisierte Umschulungen für arbeitslose Bergknappen, joblose Jugendliche steckte er in Projekte, in denen sie wieder Fuß fassen konnten. Sein Modell machte in ganz Deutschland Schule.

1994 schaffte Schulz mit vielen Vorzugsstimmen den Einzug ins Europäische Parlament, auch in Brüssel ging es für ihn Stufe für Stufe nach oben.

International bekannt wurde er 2003 durch eine Auseinandersetzung mit Silvio Berlusconi. In einer Debatte warf er dem damaligen italienischen Premier vor, "vom Virus der Interessenskonflikte infiziert zu sein" und einen Regierungspartner zu haben (Lega-Nord-Chef Umberto Bossi, Anm.), der damals schon verlangte "mit Kanonen auf Flüchtlingsboote zu schießen". Berlusconi legte Schulz daraufhin die Filmrolle eines KZ-Aufsehers nahe.

In diesem Rededuell punktete der Parlamentarier mit seinem lockeren Mundwerk. Manche kritisieren seine verbale Schlagfertigkeit. Die Christdemokraten hatten zuletzt ein Problem mit Schulz, weil er als Präsident des Europäischen Parlaments viel mehr aus dem ursprünglich rein repräsentativen Amt gemacht hat als alle seine Vorgänger. Und damit nicht nur die Wahrnehmung des Parlaments erhöhte, sondern vor allem auch seine eigene. "Martin Schulz ist die größte Ich-AG, die ich kenne", wetterte die schwäbische CDU-Abgeordnete Inge Gräßle. Für den Sozialdemokraten sind solche Vorwürfe nicht neu: "Ich bin eben nicht dieser typische abgezockte Politprofi." Dennoch: Gegen Kritik war auch der starke und unbequeme Parlamentspräsident nicht gefeit: "Wenn mich einer kritisiert, dann bin ich erst einmal sauer, aber nach 24 Stunden sage ich dann: Er oder sie hatte recht."

Gegen Ungleichheit

Einstecken wird Martin Schulz künftig viel müssen. Jedermanns Liebling ist er keinesfalls, eher einer der in der politischen Diskussion polarisiert.

Von einem Grundsatz ist er in seiner ganzen Laufbahn nicht abgewichen: Ungleichheit im System anzuprangern. "Resultate liefern heißt auf soziale Gerechtigkeit zu achten. Menschen wollen Arbeit, von der sie leben können", sagte er zum KURIER. Das wird auch eine seiner Maximen im Wahlkampf sein. Dafür wird er neben einem überzeugenden Programm auch Glück brauchen. Dafür hat er immer sein "Happy Hippo" dabei. Es brachte ihm bis heute Fortune.

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