Bilanz nach dem „annus horribilis“

Was Premier Mario Monti im vergangenen Jahr erreicht und verabsäumt hat.

Ich weiß nicht, wie lange ich meine zwei Arbeiter noch beschäftigen kann“, ist Paolo P. besorgt. So wie dem 55-jährigen Römer, der eine kleine Baufirma betreibt, geht es einem Großteil der Bevölkerung. Die Angst um den Arbeitsplatz ist groß. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf drei Millionen gestiegen. Zuletzt wurden laut einer Studie des Industriellenverbands Confindustria 200.000 Jobs gestrichen. Die Jugendarbeitslosigkeit hat eine neue Rekordquote von 35 Prozent erreicht. Angesichts der Massenarbeitslosigkeit sprach der Gewerkschaftsbund CGIL von 2012 als „annus horribilis“. CGIL-Chefin Susanna Camusso appelliert an alle Parteien, sich dringend für Beschäftigung und Wirtschaftswachstum einzusetzen und spricht von „miserablen Zuständen“ und „Resignation“.

Angst vor schwacher Regierung

Mit Sorge blicken nicht nur Finanzmärkte und Ökonomen auf den Ausgang der Parlamentswahlen am 24. und 25. Februar. Das Szenario einer zersplitterten, schwachen Mehrheit wäre für das in einer tiefen Rezession steckende Land ungünstig. Durch Neuwahlen, so fürchten Politologen, würde man nur Zeit verlieren und das Wirtschaftswachstum blockieren. Bewahrheiten sich hingegen die letzten Wahlprognosen, wonach eine stabile Mitte-links-Koalition das Rennen macht, könnte Montis Reformkurs in einer sozial verträglicheren Version fortgesetzt werden.

Gianluca Spina, Präsident der Mailänder Business School MIP, zieht gegenüber dem KURIER eine gemischte Bilanz über die Technokaten-Regierung. Die Pensionsreform, mit einer Anhebung des Antrittsalters und der Beitragsjahre, habe gute Resultate erzielt. „Für negativ halte ich hingegen die Arbeitsmarktreform“, resümiert Spina. Gewerkschaften stiegen gegen die Lockerungen des Kündigungsschutzes und Kürzungen bei Abfindungen und Arbeitslosengeld auf die Barrikaden. Die versprochene Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, um wirtschaftsfördernde Investitionen anzuziehen, kam nicht. Das Gegenteil trat ein. „Italienische Unternehmen haben seit Längerem einen kompletten Aufnahmestopp verhängt“, kritisiert Spina.

Drastische Steuererhöhungen, wie etwa die umstrittene Immobiliensteuer, wurden allein auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen. Die verschwenderische „casta“, wie die Politikerriege verächtlich genannt wird, wurde verschont. Viele Sparmaßnahmen, die Technokrat Monti begonnen hatte, wurden nicht zu Ende gebracht. Dazu zählen Kürzungen in den Verwaltungsausgaben der Regionen und Provinzen. „Damit hätte man eine Milliarde Euro einsparen können“, erklärt Spina. Das groß angekündigte Sparpaket zur Sanierung der Staatsschulden wurde ebenfalls nicht zu Ende gebracht. „Natürlich kann das nicht alles an einem Tag passieren. Das brauche Zeit, die Monti nicht hatte. Erste Ergebnisse sieht man frühestens nach fünf Jahren“, so Spina. Dazu brauche es eine stabile Regierung, die eine gesamte Legislaturperiode von fünf Jahren im Amt bleibt.

Unbestritten hingegen ist, dass Monti Italiens Image auf dem internationalen Parkett aufpoliert hat. „Ich denke, dass er sich vor allem auf Drängen aus dem Ausland, allen voran aus Deutschland und USA, zu einer Wiederkandidatur hinreißen ließ“, vermutet RAI-Journalistin Lucia Annunziata. Das gestiegene internationale Vertrauen hat laut Statistikamt Istat das Exportgeschäft in den vergangenen 24 Monaten um elf Prozent angekurbelt.

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