Schicksalstag für Europa: Italien-Referendum könnte Euro in Gefahr bringen

Bangen bei Premier Matteo Renzi
Reformen, ja oder nein? Italien muss sich am Sonntag entscheiden. Schwarzseher sehen gar den Euro in Gefahr.

Zittern ist angesagt: Sonntag, der 4. Dezember, könnte der Euro-Schuldenkrise, die fast schon in Vergessenheit geraten war, ein neues Kapitel hinzufügen. Nicht wegen der Endlos-Präsidentenwahl in Österreich – die kratzt an den Finanzmärkten niemanden. Dafür geht es in Italien um mehr, womöglich sogar um die Zukunft der Eurozone.

Die drittgrößte Volkswirtschaft des Währungsraums lässt ihre Bürger über eine neue Verfassung abstimmen (unten), die den Polit-Spielraum für Reformen erweitern soll. Weil Premier Matteo Renzi das Referendum aber mit seiner Zukunft verknüpft hat, könnte ein "Nein" Italien in die Polit- und Wirtschaftskrise stürzen.

Die Krisen-Fieberkurve schlägt schon aus – die Zinsen auf Staatsschuldpapiere haben in den vergangenen Wochen angezogen. Zwar auf niedrigem Niveau, aber spürbar. Könnte die Krise tatsächlich den Euro gefährden?

Drückende Schulden

Das größte Problem sind Italiens exorbitante Staatsschulden. 2170 Milliarden Euro, das sind 132 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, der dritthöchste Wert hinter Griechenland und Japan. Dieser Schuldenberg muss laufend umgewälzt werden. Sollten die Investoren Italien das Vertrauen entziehen und keine frischen Kredite mehr gewähren, wäre das Land vom Geldhahn abgetrennt – so wie Griechenland. Italiens Größe würde den Euro-Rettungsschirm ESM wohl überfordern. Oder zumindest die europäische Solidarität auf eine schwere Probe stellen.

Schlechte Bonität

Italien hat nur wenig Spielraum. Die Kreditwürdigkeit steht bei der Ratingagentur S&P nur eine einzige Stufe über Ramschniveau. Eine Abstufung wäre ein schwerer Schlag für die Finanzierbarkeit der Schulden.

Die gute Nachricht: Das zeichnet sich derzeit nicht ab. Die S&P-Analysten beruhigen, dass ein Nein zur Verfassung die Bonität nicht automatisch beeinträchtigen würde. Eine Abkehr vom Reformkurs allerdings schon. Aber wer weiß schon, wie nervöse Investoren reagieren? "Wir werden an den Finanzmärkten maximal eine Schrecksekunde, dann wieder ein Durchatmen erleben", glaubt Hans-Jörg Naumer, Chefstratege bei Allianz Global Investors. Ein Scheitern des Referendums sei ohnehin wahrscheinlich – und deshalb von den Märkten schon vorweggenommen.

Niedrige Zinsen helfen

Der Landsmann an der EZB-Spitze, Mario Draghi, ist auch kein Schaden: Dank der Niedrigzinsen erspart sich Italien seit 2012 jährlich 15 Milliarden Euro an Zinszahlungen. Ebenfalls auf der Habenseite: Die Familie ist ein Hort beträchtlicher Vermögen. Und zwar nicht nur die Mafia, sondern vor allem die Privathaushalte, die auf 8700 Milliarden Euro sitzen – das Vierfache der Staatsschulden. Ebenso positiv: Gegenüber dem Ausland häuft Italien keine zusätzlichen Schulden an. Die Leistungsbilanz hat (auch dank Tourismus-Boom) solide Überschüsse.

Banken

Wackelkandidaten sind die Banken: Sie sind besonders schwachbrüstig und brauchen viel Eigenkapital. Bei der Bank-Austria-Mutter UniCredit etwa ist von bis zu 13 Milliarden Euro die Rede. Bei einem negativen Referendum könnte das Kapitalproblem mancher Geldhäuser lebensbedrohlich werden. Denn wer soll in einem Land, dem womöglich die Regierung abhanden kommt, Bankaktien kaufen? Die Wertpapiere verloren am Montag an der Mailänder Börse erneut kräftig an Wert.

Reformen wirken

Italien leidet seit Jahrzehnten unter mickrigen Wachstumsraten. Zuletzt gab es aber zarte positive Signale, sagt Gudrun Hager, Österreichs Wirtschaftsdelegierte in Mailand. Renzis Arbeitsmarktreformen haben dazu beigetragen: "Da sind einige Initialzündungen passiert." Ein Nein wäre eine Zurückweisung dieses Kurses – mit unsicheren Folgen für die Regierung und das Land.

Der Countdown für die Volksabstimmung über die Verfassungsreform am 4. Dezember läuft. Vom Ausgang des Referendums hängt die politische Zukunft von Italiens Premier Matteo Renzi ab. Seit zwei Jahren arbeitet die Mitte-links-Regierung an der umfassenden Reform, die eine starke Einschränkung des Senats vorsieht. Es ist die erste Reform des italienischen Grundgesetzes seit 70 Jahren. Dabei soll die Zahl der Senatoren von 315 auf 100 reduziert werden. Die Kosten des Verwaltungsapparats sollen deutlich reduziert werden. Die Provinzen – mit Ausnahme von Südtirol und Trient – sollen abgeschafft werden.

Das Land scheint gespalten. Laut einer aktuellen Umfrage lehnt eine Mehrheit die Reform ab. Groß ist allerdings auch die Anzahl der Unentschlossenen. Hinzu kommen rund 1,2 Millionen Auslandsitaliener (fünf Prozent der Stimmberechtigten), die das Rennen entscheiden könnten.

Grillo ante portas

"Wenn ich das Referendum verliere, dann trete ich zurück", erklärte Renzi. Auch wenn es der frühere Bürgermeister von Florenz mittlerweile bereut hat, die Verfassungsreform mit seinem Amtsverbleib verknüpft zu haben, gibt es kein Zurück mehr. In einem Interview mit CBS sagte er zuletzt, ein "Sieg des Nein wäre ein Problem für die Zukunft des Landes, nicht für mich." Er werde nicht an seinem Sessel kleben.

Die "Nein-Front" hofft auf Renzis Sturz. Dazu zählen der populistische Fünf-Sterne-Leader Grillo, der ausländerfeindliche Lega Nord-Chef Salvini und auch Ex-Premier Berlusconi. Selbst in der eigenen Demokratischen Partei (PD) regt sich Widerstand. Zu Renzis Gegnern zählen jene, die ihm nicht verzeihen, dass er 2014 Regierungschef Enrico Letta stürzte und die Macht an sich riss. Zu seinen Feinden gehört auch der ehemalige Premier und Außenminister D’Alema.

Schicksalstag für Europa: Italien-Referendum könnte Euro in Gefahr bringen
Beppe Grillo, the founder of the anti-establishment 5-Star Movement, arrives to attend a march in support of the 'No' vote in the upcoming constitutional reform referendum in Rome, Italy November 26, 2016. REUTERS/Alessandro Bianchi
Wie es im Falle eines Sturzes von Renzi weitergeht, ist offen. Die Entscheidung liegt dann bei Präsident Mattarella, der die Reform unterstützt. Beobachter fürchten im Falle von Neuwahlen einen Rechtsruck, von dem die Lega Nord und Fünf Sterne profitieren könnten. Italien würde wieder ins politische Chaos stürzen.

Wirtschaftlich würde Italien in eine noch ungewissere Zukunft als bisher steuern. Ein "Nein" würde sich negativ auf Finanzmärkte und Investoren auswirken (oben). Es gibt bereits Appelle an Renzi: "Auch bei einem Sieg des ,Nein‘ sollte diese Regierung, die viel geleistet hat, weitermachen", so Innenminister Alfano.

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