Madrid setzt auf Härte, Katalonien auf Eskalation

Auf der Straße schwächer, in Umfragen die Mehrheit: Die Unabhängigkeits-Gegner
Morgen findet das Unabhängigkeitsvotum in Katalonien statt. Hintergründe eines gefährlichen Konflikts.

Die Wende in Katalonien kam im Jahr 2010. Bis dahin war die Region kein Ort nationalistischer Agitation. Die rund sieben Millionen Einwohner, darunter ein hoher Anteil an Zuwanderern, wurden von einer rechts-liberalen Regierung geführt, die sich auf das Autonomiestatut von 1979 mit zahlreichen Kompetenzen stützte. Die Regionalregierung unter dem allmächtigen Landesvater Jordi Pujol hatte sich nach Spaniens Rückkehr zur Demokratie mit Madrid arrangiert.

Immer wenn Spaniens Ministerpräsident, gleichgültig welcher Couleur, Unterstützer im Parlament benötigte, standen die katalanischen Abgeordneten bereit – und nannten ihren Preis: Transferzahlungen, Investitionen, mehr Autonomie.

Vor sieben Jahren sind in Katalonien zwei Ereignisse zeitlich zusammengetroffen, die den bis dahin marginalen Separatismus befeuerten und den Ruf nach Unabhängigkeit laut werden ließen.

Harter Sparkurs

Die Wirtschaftskrise hatte die Industrieregion ("Seat") besonders stark getroffen. Die bürgerliche Regierung unter Pujol-Nachfolger Artur Mas musste den Sparstift ansetzen: das Gesundheitswesen wurde krank gespart, die Beamtengehälter eingefroren, Schulen und Universitäten nagen seither am Hungertuch.

Wütende Proteste ließen nicht auf sich warten. Zu allem Überdruss machte Spaniens Verfassungsgericht die ehrgeizige Novelle des Autonomiestatuts zunichte. Die Präambel, wonach Katalonien eine "Nation" sei, fiel dem Spruch der Madrider Richter zum Opfer.

Regionalpräsident Mas entwarf einen Masterplan, um die Rückschläge zu kompensieren.

Ein "äußerer Feind"

Er zückte die nationalistische Karte und erklärte die Madrider Zentralregierung zum Urheber aller Übel. Leitspruch der Bewegung: "Spanien bestiehlt uns."

Die Unabhängigkeitsbewegung wuchs an und weiß heute knapp die Hälfte der Bevölkerung hinter sich. In einem Referendum über die Zukunft selbst bestimmen zu können, das wünschen sich zwei Drittel der Katalanen.

Artur Mas musste wegen eines 2014 durchgeführten Referendums auf die Anklagebank. Sein Gegenspieler in Madrid ist ebenfalls wegen des Sparprogramms und nicht enden wollender Korruptionsaffären seiner regierenden Partido Popular in der Zwickmühle.

Mariano Rajoy, der den Spitznamen "der Zögerliche" trägt, fand Gefallen an der Idee, mit einem "äußeren Feind" von den eigenen Problemen abzulenken. Er schaltete auf hart, lehnte Verhandlungen mit Katalonien ab und setzte die Justiz- und Polizeimaschinerie in Gang.

Büros der Regionalverwaltung wurden durchsucht, hohe Beamte vorübergehend festgenommen, Millionen bereits gedruckter Stimmzettel und Wahlurnen beschlagnahmt.

Ausländische Kamerateams vermitteln das Bild eines Polizeistaats, in dem aufgebrachte Demonstranten Dienstfahrzeuge schrottreif hämmern und Journalisten aus Madrid als "Lügner" beschimpft werden.

Rajoy erkannte zu spät, dass er mit der juristischen Begründung des Polizeieinsatzes (" Kein Politiker steht über dem Grundgesetz") nicht überzeugen konnte. Statt eine Sympathieoffensive zu starten, bestätigte er nur das Vorurteil vom dumpfen, repressiven Spanien.

Der Nervenkrieg zwischen Madrid und Katalonien ist nicht vorbei. Die Separatisten werden abstimmen, und sei es mit selbstgedruckten Zetteln und in Urnen aus Karton. Niemand kann vorhersagen, ob die nach Katalonien beorderten Polizeikräfte am Sonntag zum Einsatz gegen die Bürger abkommandiert werden.

Der modernste Wasserwerfer der spanischen Polizei steht jedenfalls in Barcelona bereit.

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