Londoner haben nicht mehr Angst als sonst

London am Tag danach: Strenge Polizeikontrollen in allen U-Bahnstationen.
Klagen über "aufgeblasene Medienberichterstattung" über Attentat.

Am Tag nach dem Anschlag von Westminster blieb zwar der Parliament Square für den Verkehr gesperrt, doch über die Westminster Bridge, Schauplatz der tödlichen Amokfahrt, wälzte sich schon am Nachmittag wieder der Verkehr. Die britischen Medien waren voll des Lobes über die stoische Reaktion der Bevölkerung. Auch Bürgermeister Sadiq Khan wurde nicht müde zu betonen, dass "die großartigste Stadt der Welt" sich vom Terrorismus nicht einschüchtern lasse. Das alte britische Klischee der steifen Oberlippe bietet in solch schwierigen Situationen ein nützliches Ideal. Doch dies scheint keine angeborene Eigenschaft zu sein, denn auch unter Londons Auslandsösterreichern war keine Spur von Panik oder Hysterie zu merken.

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Stille Pendler

"Man hat sich eh gedacht, man muss damit rechnen", meint Andrea Huber, die bei einer NGO als Menschenrechtsexpertin arbeitet. "Die Frage war weniger, ob es einen Anschlag geben wird, als wann bzw. wie er aussehen wird." Auf ihrem Weg zur Arbeit seien die Pendler im Overground-Zug zwar recht still gewesen, "aber das sind sie immer. Wenn überhaupt, hatte ich eher das Gefühl, die Leute waren extra freundlich."

Während des Polizeieinsatzes hörte der Musiker Guido Spannocchi von seiner Wohnung in Vauxhall aus die Hubschrauber über dem nahe liegenden Westminster kreisen. Verunsichert fühlt er sich durch das Attentat allerdings nicht: "Sadiq Khan hat ja gesagt, dass es mehr Polizei auf den Straßen geben wird, und wir nichts zu befürchten haben", sagt Spannocchi mit unzweifelhaft ironischem Unterton. Es habe keinen Sinn, sich "von diesem Terror-Phantom fertig machen zu lassen. Was passiert ist, ist schrecklich. Sollte ich das Pech haben, dass ich oder Leute, die mir nahe sind, verwickelt werden, wäre das schade, aber das ist das Risiko, mit dem wir leben."

Auch Stephanie Altmann, Mitarbeiterin des Austrian Cultural Forum, verspürte auf ihrer täglichen Route von Südwest-London nach Knightsbridge in und um sich nicht mehr Angst als sonst. Sie bemerkte wohl die Polizeipräsenz im West End, "aber das war die vergangenen Jahre schon fast immer so".Was sie abgesehen von ihrer Unerschrockenheit mit Huber und Spannocchi noch teilt, ist die Empörung über die alles andere als stoische Berichterstattung der britischen Medien: "Das wurde viel zu sehr aufgeblasen. Ich finde nicht, dass man das so ausschlachten sollte, weil man damit diesen Wahnsinnigen nur in die Hände spielt."

Blutrünstige Medien

"Ich war wirklich zornig", sagt auch Andrea Huber. "Es kam einem so vor, als freuten sich diese blutrünstigen Medien, dass endlich auch in London was passiert ist." Zum Zeitpunkt unseres Interviews hat sie vor, mit Freunden am selben Abend an der von Bürgermeister Khan angekündigten Mahnwache am Trafalgar Square teilzunehmen.

Ein heikles Thema ist der für Samstag geplante pro-europäische "Unite for Europe"-Marsch vom Hyde Park zu den Houses of Parliament.Guido Spannocchi glaubt nicht, dass die Demo als mangelnder Respekt für die Opfer ausgelegt werden könnte. "Im Gegenteil, für mich steht Europa für ein Miteinander, und man kann auf diesen Marsch gehen, um zu zeigen, dass man sich nicht unterkriegen lässt. Und dass diese Gesellschaft stark genug ist, einen offenen Diskurs zu führen."

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