Leichen-Konvois verlassen Todesinsel

Leichen-Konvois verlassen Todesinsel
Lokalaugenschein: Tiefe Trauer am Ort des Massakers. Die Polizei sucht mit einem U-Boot nach weiteren Toten.

Die Insel Utøya liegt in einem der malerischsten Fjorde Norwegens. Die Uferlandschaft hat trotz der Nähe zum Meer fast alpinen Charakter. Doch Kolonnen von Leichenautos auf der Uferstraße sind ein unübersehbares Zeichen, dass es mit dieser Idylle vorbei ist. Ein Hotel in der kleinen Ortschaft Sundvollen ist von der Polizei abgeriegelt. Dort waren zuerst die Überlebenden des Massakers aufgenommen und von Ärzten, Psychologen und Priestern betreut worden. Jetzt versammeln sich auf dem Vorplatz Eltern und Regierungsvertreter zu einem Gottesdienst.

Vor dem Absperrband stehen zwei Mädchen und ein junger Bursche mit Blumen und noch originalverpackten Kerzen. Die Mädchen heißen Kari und Marit. Der Bursch will seinen Namen nicht sagen, er weint nur. Nein, sie waren nicht auf der Insel, sie haben keine Freunde verloren. Sie stammen hier aus dem Ort. Aber die Kerzen und die Blumen wollen sie den Eltern der toten Kinder ins Hotel bringen.

Ein paar Kilometer weiter fährt fast zur gleichen Zeit der erste Konvoi Leichenautos los. Sieben schwarze Mercedes mit weißen Kreuzen auf den Dächern rollen von der Anlegestelle los. Aus der Gegenrichtung kommen ständig weitere Leichenwagen. Es ist ein trauriger Shuttle-Dienst, den hier die Bestattungsunternehmen organisieren mussten. Die Transporte gehen über die E 16 und die E 18 nach Oslo. Es ist dieselbe Strecke, die der Attentäter genommen hat.

Suche nach Leichen

Wie viele Opfer noch auf diese Weise abtransportiert werden müssen, ist noch nicht ganz klar. Der Uferbereich gegenüber der Insel ist über mehrere Kilometer abgesperrt, die Suche mit Polizeibooten ist noch voll im Gange. Es ist für die Beamten ein Knochenjob, der von zeitweise heftigen Regenstürmen erschwert wird.Auf der Insel sieht man Polizeiautos an der Anlegestelle.

DieEntfernung zur Insel beträgt etwa 500 Meter. Eine Strecke, die bei den vorherrschenden Temperaturen für ungeübte Schwimmer kaum zu bewältigen ist. In der Mitte schwimmt ein Ponton mit Tauchern drauf. Dort würde man noch vier Vermisste vermuten, erzählt ein Polizist. Diese wolle man nun mit einem Mini-U-Boot aufspüren, das vom Ponton aus gesteuert werde. Der Mann vermutet, dass die Opferbilanz auf mehr als 100 Tote steigen könnte.

Mit ein Grund für die große Opferzahl: Als ein Polizeiboot während des Massakers zur Insel übersetzen wollte, drohte es wegen der schweren Ausrüstung der Sicherheitskräfte unterzugehen. Man musste auf eine Anti-Terror-Truppe aus Oslo warten. Und diese musste auf dem Landweg anreisen, es stand kein Helikopter zur Verfügung. Bei seiner Festnahme hatte B. laut Polizei noch jede Menge Munition.

Vom nahe gelegenen Utvika-Campingplatz ziehen indes immer mehr Urlauber ab. Es sei nicht die Zeit zum Campen, sondern zum Trauern, meint ein abreisender Norweger. Die Verkäuferin am Platz-Kiosk kann ein wenig Ruhe inzwischen gebrauchen. Sie entschuldigt sich für unübersehbare Konzentrationsschwächen. Sie habe die Schüsse gehört und sei seither nicht mehr zur Ruhe gekommen. Es kamen immer mehr Leute, die etwas kaufen wollten: Zivilisten, Polizisten, Journalisten. Zeit, das Erlebte zu verarbeiten, hatte die junge Frau noch nicht.

Militär sichert Oslo

Leichen-Konvois verlassen Todesinsel

Schauplatzwechsel: In Oslo liegt tiefe Trauer über der Stadt. Manchmal unterbrechen Sirenen von Polizei-Fahrzeugen die ungewöhnliche Stille. Fallweise sind auch martialisch grün lackierte Fahrzeuge mit Blaulicht dabei. Denn auch die Armee ist im Einsatz.

Niemand scherzt, niemand lacht. Bei der Domkirche stößt man auf eine größere Menschenansammlung. Es sind einige Hundert. Sie haben mit Kerzen, Blumen und kleinen Fähnchen am Vorplatz eine Lichterinsel errichtet. Surreale Szenen ein paar Hundert Meter weiter beim Parlament: In einem Biergarten sitzen Menschen. Es sind nicht viele, nicht einmal ein Zehntel der Plätze ist hier besetzt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen Soldaten in voller Kampfmontur, sie schützen das Parlament. Das Land ist immer noch im Ausnahmezustand.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

  • Reportage

  • Hintergrund

  • Interview

Kommentare