KURIER-Korrespondentin in Istanbul: "Wir sind ausgeliefert"

Teilnehmerinnen einer Pro-Erdogan-Demo in Istanbul
Fassungslosigkeit, Druck, Angst: Die KURIER-Mitarbeiterin in Istanbul schildert, wie es ist, in einem Land zu arbeiten, in dem Journalisten reihenweise im Gefängnis landen.

Früher hatte meine Familie wegen der Terroranschläge und Attentate in der Türkei Angst um mich. Heute wegen meines Berufs.

KURIER-Korrespondentin in Istanbul: "Wir sind ausgeliefert"
Veronika Hartmann Korrespondentin
141 Journalisten sitzen in der Türkei hinter Schwedischen Gardinen. Kein anderes Land produziert so viele politische Gefangene. Im Südosten des Landes, den vornehmlich kurdisch besiedelten Gebieten, war regierungskritische Berichterstattung immer schon gefährlich und wurde mit oft jahrelangen Haftstrafen bestraft. Doch diese Gefahr kriecht jetzt gen Westen und erfasst auch Mitarbeiter von Redaktionen, die sich an die Mitte der türkischen Gesellschaft wenden.

"Terroristen"

Prominentes Beispiel sind die Mitarbeiter der Tageszeitung Zaman, einst auflagenstärkstes Blatt der Türkei mit vornehmlich konservativ-religiöser Beleg- und Leserschaft. Jetzt sitzen 38 Mitarbeiter hinter Gittern. Nach offizieller Lesart der Regierung nicht als Journalisten, sondern als Terroristen – so wie vor ihnen die kurdischen Kollegen.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagt, dass es für ihn keinen Unterschied zwischen Terroristen mit Waffen und solchen mit Stift in der Hand gäbe. Selbst die Gerichte beugen sich dieser Definition und sperren Journalisten für ihre Texte oft für Jahre weg. Unter den türkischen Kollegen grassiert schon lange Angst. Neben der Furcht vor Verhaftung stehen sie seitens der Arbeitgeber unter Druck: Mehr als 5000 Medienschaffende sind aus vorauseilendem Gehorsam gekündigt worden, bevor kritische Berichte die Zeitung oder den Sender zur Zielscheibe werden lassen konnten.

Propaganda-Vorwurf

Seit der Verhaftung des Kollegen Deniz Yücel von der deutschen Die Welt vergangene Woche ist klar, dass auch wir ausländischen Korrespondenten nicht mehr unantastbar sind. Yücel hat türkische Wurzeln, aber er ist deutscher Journalist, und seine Texte richteten sich an deutschsprachige Leser. Soweit bekannt, basieren die Vorwürfe gegen ihn auf Artikeln, die in der Welt erschienen sind. Dennoch ist der Istanbuler Haftrichter davon ausgegangen, dass ausgerechnet die konservative Welt sich als Propagandablatt der PKK missbrauchen lässt.

"Auftragskiller der PKK" titelte das inoffizielle Regierungssprachrohr Star über Yücel. Das ist kein vorauseilender Gehorsam mehr, sondern Rufmord. Das Massenblatt Sabah legte mit der Behauptung nach, Yücel sei nicht Journalist, sondern Agent.

Fassungslos haben wir bisher über das Schicksal der Kollegen berichtet, doch stets aus der sicheren Position heraus, dass uns außer Schikane bei der Vergabe der Pressekarten nicht viel passieren kann. Das ist jetzt anders. Die türkische Regierung versucht uns als Trumpf bei Verhandlungen mit unseren Heimatländern zu nutzen.

In WhatsApp-Gruppen, über Mailinglisten und am Kaffeehaustisch sucht man die Nähe zu internationalen Kollegen. Aber es gibt keine Antworten auf die Fragen, die unter den Nägel brennen: Wo verläuft die rote Linie? Wie kann man sich schützen? Wer ist in Gefahr? Wem droht Knast, wer muss eine Ausweisung fürchten?

Jeder, der schon länger aus der Türkei berichtet, hat Kontakte zu Menschen, die jetzt als mutmaßliche Terroristen in Haft sitzen. Ihre Nummern gespeichert im Handy, ihre Bücher signiert im Regal und ihre Zitate eingebaut in Artikel. In der "Neuen Türkei", der Türkei nach den Vorstellungen der derzeitigen Regierung, gilt das als Sympathiebekundung und würde für eine U-Haft bereits reichen.

Jederzeit Haftgefahr

Die Bedrohung, der einige Korrespondenten ausgesetzt sind, reichen von einer möglichen Ausweisung über eine Anklage bis hin zu Gewaltdrohungen. Aber davon hört man nur, wenn man Verschwiegenheit verspricht. Eine Kollegin überlegt, eine Tasche zu packen: Damit nichts fehlt, wenn sie im Morgengrauen abgeholt oder beim nächsten Verhandlungstag verhaftet wird.

Die Bedrohung ist konkret, sie richtet sich direkt gegen meinen Berufsstand, und ausgeübt wird sie vom Staat. Den Verhaftungen liegen keine rechtsstaatlichen Prinzipien zugrunde, sie basieren nicht auf geltendem türkischen Recht, sondern scheinen eine Art Imagefrage zu sein. Wer das falsche Image hat, hat Pech gehabt. Deswegen kann man nicht "vorsichtig" sein, wie Freunde und Familie es sich wünschen. Wir sind ausgeliefert.

Als ich vor fast zwanzig Jahren in die Türkei kam, habe ich in erster Linie über Tourismus geschrieben, später über die boomende Wirtschaft und die Beitrittsverhandlungen mit der EU. Damals wurden Tabus gelockert und sensationelle Schritte für mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie unternommen. Es hat Spaß gemacht!

Die verkrusteten Strukturen sind aufgebrochen worden, und nicht nur wir Journalisten, die gesamte Gesellschaft freute sich auf das, was darunter zum Vorschein kommen würde. Aber wir haben uns getäuscht. Unter der Kruste, welche die AKP-Regierung damals weggebrochen hat, befindet sich für diejenigen unter uns, die an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit glauben, nur der harte Beton der Gefängnismauern.

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