Mit Taxi und Thermoskanne unterwegs in den Kapitalismus

Im löchrig gewordenen Sozialismus auf der Karibikinsel versuchen sich Hunderttausende als Klein- und Kleinstunternehmer, steuern unter dem scharfen Kontrollblick der Behörden zwischen mühsamem Überlebenskampf und schnellem Reichtum.

Ihres, das sei mit Sicherheit das kleinste Kaffeehaus von Havanna, wenn nicht gleich der ganzen Welt. Zumindest Conchi legt sich da großzügig fest und lässt den fremden Gast, der das nicht gleich glauben will, gerne unter ihrer aufklappbaren Bar durchschlüpfen. Viel außer einem Hocker, einer Gasflamme und einem Topf mit heißem Wasser ist da wirklich nicht. Viel mehr hat, zusammen mit Conchis Mama, die für das Kaffeemachen zuständig ist, auch nicht Platz in dem winzigen Raum.

Kaffee ist trotzdem immer genug da, für die morgendlichen Gäste, die mit ihrem Kaffee und einem Stück Signorita, der beliebtesten Mehlspeise in Havanna, an der Hausmauer lehnen. Mehlspeisen gehen sich bei Conchi schon allein platzmäßig nicht aus. Doch die gibt’s ein paar Hauseingänge weiter. Dort ist die Konditorei – und die ist nicht viel größer.

Kaum eine Gasse in der Altstadt von Havanna, in der nicht zumindest ein Fenster oder ein Hauseingang die Nahversorgung mit Kaffee, Süßigkeiten oder Sandwiches sichert. Dazwischen gibt’s hausgemachtes Eis im Schnellverkauf, solange bis sich der Rest im Karton unter der karibischen Hitze in Schokosauce verwandelt, aber auch Popcorn oder Schuhreparaturen.

"Pyjama-Geld" will keiner mehr

Die Preise hier sind für einen Fremden nicht nur unglaublich niedrig, man zahlt auch in einer Währung, die in der Welt der Touristen auf Kuba längst verschwunden ist: Kubanische Pesos. "Pyjama-Geld" nennen es die Kubaner selbst verächtlich, weil der Wert dieser meist übel zugerichteten Scheine die Wirtschaftsentwicklung und damit die Preissteigerungen im Land völlig verschlafen hat. Alles, was an Touristen verkauft wird, aber auch alles, was für einen Kubaner ein bisschen Luxus bedeutet, vom Mikrowellenherd bis zur Importzigarette, gibt es fast ausnahmslos nur für sogenannte "konvertierbare Pesos". Die haben einen Wert irgendwo zwischen Dollar und Euro, und sind damit für ein Land, in dem westliche Devisen Mangelware sind, begehrte Objekte.

Wer an solche "Pesos convertibles" (kurz CUC) herankommen will, hat nur wenige Möglichkeiten. Die eine: Er tauscht sein Pyjama-Geld offiziell um. Das aber ergibt für ein durchschnittliches kubanisches Monatsgehalt gerade einmal 30 Euro. Die andere, er muss selbst an CUC kommen, und das geht am besten durch Geschäfte mit Touristen.

Dafür gab es über Jahrzehnte einen von den sonst omnipräsenten Behörden großzügig übersehenen Schwarzmarkt. Inzwischen aber hat Kubas wirtschaftlich angeschlagene sozialistische Führung einen legalen Weg auf den freien Markt geöffnet. Auf diesen Weg schickte man gleich einmal eine halbe Million Arbeiter aus staatlichen Betrieben, die ohnehin die Produktion längst eingestellt hatten. Und all diese Menschen drängen inzwischen auf den freien Markt – und dieses Drängen beginnt vor der Tür einer der Behörden, die die Lizenzen für die "Quentapropistas", also die neuen Selbstständigen, ausgeben. Wenn an einem Montagmorgen wieder einmal neue Lizenzen da sind, wächst die Schlange vor der Tür schon ab acht Uhr früh unaufhörlich. Wer sich hier umhört, bekommt rasch einen Überblick, mit welchen Ideen sich die Kubaner in die Geschäftswelt vorwagen – und da denken einige inzwischen schon viel weiter als bis zur Konditorei im Hauseingang.

Private Restaurants als Luxustempel

Private Restaurants, sogenannte "paladares" sind der neue Trend, überall in Kuba. Die bescheidenen Neueinsteiger, die gerade einmal zwei Zimmer im ersten Stock freigeräumt haben, müssen noch bis spätnachts auf der Straße Gäste keilen. Die etablierten paladares dagegen sind inzwischen regelrechte Luxustempel, gefeiert in internationalen Reiseführern und oft über Wochen ausgebucht.

"Fast täglich sperrt irgendwo ein Geschäft oder ein Restaurant auf, wo früher nichts als verschlossene Türen waren", schildert Verena Hattinger, Kuba-Expertin aus Österreich, die Entwicklung, die sie selbst in Havanna seit Jahren miterlebt: "Da wacht auf einmal der Unternehmergeist in den Kubanern auf. Das heißt, wenn er nicht ohnehin schon lange da war, meistens aber auf dem Schwarzmarkt." Die Österreicherin, die sich mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung auf Kuba auch wissenschaftlich auseinandergesetzt hat, sieht auch, wie diese Entwicklung die Kluft in der Gesellschaft immer größer werden lässt. Denn der freie Markt, auf dem die einen mit Kaffee und Kuchen irgendwie über die Runden zu kommen versuchen, macht andere inzwischen regelrecht reich.

Reich mit Altstadthäusern

Auf dem Immobilienmarkt etwa, auf dem nun Häuser und Wohnungen weitgehend frei gehandelt werden dürfen, sind beachtliche Gewinne zu machen. Auch dieses Geschäft wird weitgehend vom Tourismus befeuert. In Havanna und anderen Touristenzielen wie Trinidad, wo die staatlich kontrollierten Hotelketten zu wenig Betten bieten können, schließen die Anbieter von Privatzimmern die Lücke. Das ist für einzelne Hausbesitzer, die gerade einmal zwei Zimmer freiräumen und renovieren können, ein guter Nebenverdienst, für andere aber ein unaufhaltsam wachsender Markt. Oft ist es ausländisches Geld, das aus verfallenen Altstadthäusern wieder elegante Häuser im spanischen Kolonialstil macht. Mit Hilfe von kubanischen Strohmännern sind dann gleich ein paar dieser Villen in einer Hand – und damit beachtliche Umsätze.

Mit dem Sozialismus, den der inzwischen seit vielen Monaten unsichtbare Comandante Fidel Castro einst auf der Zuckerinsel geschaffen hat, hat das nicht mehr viel zu tun. Für die Regierung aber, inzwischen von Fidels pragmatischem Bruder Raul geführt, bedeutet jeder kleine und große Unternehmer Steuereinnahmen. Denn ob man auf Kuba ein Zimmer mietet oder sich die Haare schneiden lässt, amtliches Formular oder Quittung sind sofort bei der Hand. Würde eben alles sehr genau kontrolliert, und manchmal sogar ohne Vorankündigung, erklärt ein Zimmervermieter, der als erstes den Pass an sich nimmt.

Der Tourismus boomt und mit den Amerikanern, die sich jetzt, nach ersten Reiseerleichterungen, immer deutlicher auf Kuba bemerkbar machen, hoffen alle, die mit den Touristen ihr Geld verdienen, auf noch mehr: Die Taxifahrer, die schon jetzt keinen Kubaner mehr einsteigen lassen, wenn ein Tourist das Zehnfache des üblichen Tarifs bezahlt, die Zimmervermieter und auch die Kaffeeverkäufer wie Conchi. Noch sieht sie die Touristen an ihrer Gassenbar nur vorbeigehen. Einer ihrer Gäste hat da schon größere Hoffnungen. Er hat eine Schachtel Zigarren zu verkaufen, "Überproduktion aus der Fabrik", erklärt er schnippisch, wie die teuren, streng lizenzierten Riesendinger in seine Tasche gekommen sind. Ein gutes Stück von Kubas neuer Marktwirtschaft läuft immer noch ganz ohne Lizenz.

Verfallen, schmutzig und überladen mit Menschen sind einige der Stadtviertel in Havanna, in die er seinen Krimihelden Mario Conde schickt. Leonardo Padura, Krimiautor und Star der kubanischen Literatur, zeigt in seinen Büchern ein ungeschöntes Bild der alltäglichen Realität. Doch darin steckt trotzdem viel Sympathie für seine Landsleute, für ihre Lebensfreude, aber auch für die Revolution Fidel Castros.

"Natürlich ändert sich dieses Land, aber es gibt ein Lebensgefühl auf Kuba, das auch dadurch nicht verloren geht", gibt er sich beim Interview mit dem KURIER in Havanna gelassen optimistisch. Padura ist in den Jahren nach der Revolution groß geworden, "in einer anderen Epoche", wie er heute sagt. "Die Realität in diesem Land, wie sie die jungen Leute heute erleben, ist völlig anders."

Wie viele Kubaner hält sich auch Paduro bei seiner Kritik am sozialistischen System zurück. Wie Fidel Castro selbst sieht auch er den Ursprung aller Probleme in den Jahren nach dem Ende der Sowjetunion. Die sogenannte "Spezialperiode", in der Kuba auf einmal ohne sowjetische Öllieferungen dastand, habe das Land nachhaltig verändert.

"Nach mühseliger Erholung konnte das Land nicht wieder zu dem werden, was es einmal hatte sein wollen", so formuliert er sein Bild von der Krise und ihren Folgen in seinem jüngsten Roman "Ketzer". Im Interview beschreibt er die Situation nüchterner: "Wir haben in den vergangenen 25 Jahren eine schwere wirtschaftliche Krise durchgemacht. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die jeder hatte, haben sich drastisch verringert." So sieht der heute 60-Jährige auch die jüngste Annäherung an die USA weniger als politische denn als wirtschaftliche Veränderung: "Vielleicht kann die Entwicklung, die wir jetzt gerade erleben, vielen Menschen wirtschaftlich neue Chancen bieten."

Dass der neue freie Markt, die Ströme von Geld und Touristen aus den USA, auch Gefahren für sein Land und sein politisches System birgt, ist dem Autor bewusst: Natürlich ist diese Veränderung auch ein großes Risiko für die Kubaner und ihre Art zu leben. Viele werden ihr Denken, ihre Einstellung rasch ändern, viele aber werden sich an dem festhalten, an das sie bisher geglaubt haben."

Den Überlebensgeist, mit dem er seinen inzwischen Ex-Polizisten Mario Conde in allen Lebenslagen zwischen Detektivarbeit und versoffenen Nächten in Havanna ausstattet, traut Padura den meisten seiner Landsleute zu. Doch gerade deshalb könne auch einiges, was auch für ihn Kuba ausmacht, verloren gehen: "Die Menschen haben andere Erwartungen, wenn sie mit anderen umgehen. Viele sind egoistischer geworden."

Etwas fehlt den Jungen

Seinen Landsleuten, meint er, "fehlt es natürlich an vielen alltäglichen Dingen: Kleidung, Ersatzteile fürs Auto. Aber es prägt sie auch dieses Gefühl, dass ihnen etwas fehlt. Gerade Junge, die sich nach Trends aus dem Ausland richten, reagieren damit auch auf die kubanischen Verhältnisse, auf dieses Gefühl etwas verloren zu haben."

Für seine Generation und damit für ihn und seinen ebenfalls in die Jahre gekommen Romanpolizisten lässt sich Kuba auch in Zeiten großer Umbrüche nicht so einfach auf den Kopf stellen, dafür steckt es zu tief in ihnen drinnen: "Mein Mario Conde, der atmet, isst, der pisst sogar wie ein Kubaner. Das wird man nicht so einfach los."

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