Krise zwischen Berlin und Ankara: "Neuer Tiefpunkt"

Krise zwischen Berlin und Ankara: "Neuer Tiefpunkt"
Scharfe Geplänkel zwischen deutschen und europäischen Politikern. Kern sieht "neuerlichen Tiefpunkt". Kurz warnt vor Einmischung in die Nationalratswahl. Gabriel will harten Türkei-Kurs fortsetzen.

"Respektlos und unverschämt" empfand man in Deutschland schon den Aufruf Recep Tayyip Erdogans an "seine Bürger" in Deutschland, bei den kommenden Wahlen im September keine der "Türkeifeinde" zu wählen - gemeint waren CDU, SPD oder Grüne.

Dass nach einem Antrag aus Ankara der - inzwischen wieder unter Auflagen freigekommene - türkischstämmige deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli in Spanien festgenommen wurde, war am Samstag dann der nächste Affront. Der Protest aus Berlin folgte auf dem Fuße. Am Sonntag schalteten sich auch Bundeskanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz in den Konflikt ein.

"Skandalöser Vorgang"

Es sei "schon inakzeptabel, dass Erdogan in der Türkei Menschenrechtsaktivisten und Journalisten verfolgt. Das jetzt auch im europäischen Ausland zu versuchen, ist ein neuerlicher Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei", verurteilte Kern die jüngsten Entwicklungen. Die Festnahme des türkisch-schwedischen Journalisten Hamza Yalzin und Akhanlis auf Basis einer internationalen Polizeikooperation in Spanien sei ein "skandalöser" Vorgang. Den Versuchen Erdogans, seine Macht ins Ausland auszudehnen, sei entschieden entgegenzutreten.

Auch Kurz kritisierte die Einmischung Erdogans in den deutschen Wahlkampf und in die inneren Angelegenheiten von EU-Ländern und baute schon einmal vor: Sollten Erdogan oder seine Minister bei der Nationalratswahl in Österreich im Oktober Ähnliches planen, "so möchte ich schon jetzt festhalten, dass wir diese Einmischung keinesfalls akzeptieren würden", sagte Kurz zur Welt am Sonntag. Erdogan versuche, die "türkeistämmigen Communities" zu instrumentalisieren, insbesondere in Deutschland und Österreich. Er polarisiere und trage Konflikte aus der Türkei in die EU hinein.

Rundumschlag Erdogans

Allein, der Adressat dieser Botschaften, zeigte sich wieder einmal gänzlich unbeeindruckt. In einem verbalen Rundumschlag nahm der türkische Staatschef auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Visier. Er habe "der Dame an der Spitze Deutschlands" eine Liste mit 4.500 von der Türkei gesuchten Terroristen gegeben, doch sei diese nicht angenommen worden. Allerdings habe Merkel von ihm gefordert, in der Türkei inhaftierte Deutsche freizulassen. "Es tut mir leid, wenn sie eine Justiz haben, so haben wir hier auch eine", sagte Erdogan.

Noch schärfer wurde Erdogan gegenüber Außenminister Sigmar Gabriel, der "Wer sind Sie, dass Sie mit dem Präsidenten der Türkei reden? Beachten Sie Ihre Grenzen!" Des weiteren kritisierte der türkische Präsident, dass Gabriel versuche, "uns eine Lektion zu erteilen". Wiederum an den deutschen Außenminister gerichtet fügte Erdogan hinzu: "Wie lange sind Sie eigentlich in der Politik? Wie alt sind Sie?"

Gabriel will harten Kurs fortsetzen

Gabriel hatte die "Wahlempfehlung" Erdogans an die in Deutschland lebenden Türken - ähnlich wie Merkel - als "einmaligen Eingriff in die Souveränität unseres Landes" bezeichnet. Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatten sich zuvor bereits jede Einmischung der Türkei in den Bundestagswahlkampf verbeten. "Wir werden uns von niemandem, auch nicht von Präsident Erdogan, da hineinreden lassen, dass unsere deutschen Staatsbürger, egal welcher Abstammung sie sind, (...) ein freies Wahlrecht haben", sagte Merkel am Freitagabend in Herford. "Und wir verbitten uns jede Art von Einmischung in die Meinungsbildung."

Gegenüber der Deutschen Presse Agentur kündigte Gabriel am Sonntag an, die härtere Gangart Deutschlands gegenüber der Türkei langfristig fortsetzen zu wollen. "Ich glaube, dass wir auf eine längere Strecke diese neue Politik fortführen müssen und nicht glauben dürfen, in ein paar Wochen ist das erledigt", sagte Gabriel.

Nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner in der Türkei hatte sich die deutsche Regierung entschieden, ihren moderaten Kurs gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufzugeben. Gabriel ließ unter anderem die Reisehinweise verschärfen und warnte deutsche Unternehmen vor Investitionen. "Die erste und wirksamste Reaktion war, dass sie die Liste mit 680 deutschen Unternehmen unter Terrorverdacht zurückgenommen haben", sagte Gabriel.

"Ihr gehört zu uns"

Schulz sagte in Düsseldorf mit Blick auf Erdogan: "Was nimmt dieser Mann sich eigentlich raus? Es ist nicht die Aufgabe eines türkischen Staatspräsidenten, Anweisungen für die Bundestagswahl zu geben." An die Adresse der türkischstämmigen wahlberechtigten Bundesbürger sagte er: "Ihr gehört zu uns. Wir lassen nicht zu, dass in unserem Land zwei Bevölkerungsgruppen gespalten werden."

Der türkische Vize-Ministerpräsident Bekir Bozdag wies die deutschen Reaktionen auf den Wahlaufruf Erdogans scharf zurück. "Es sind respektlose, sehr unverschämte Äußerungen, die die Grenzen des Anstands überschreiten", zitierte ihn die Nachrichtenagentur Anadolu. Bozdag machte deutlich, dass Ankara Erdogans Aufruf nicht als illegitime Einmischung in die deutsche Wahl betrachtet: Erdogan habe sich lediglich an die wahlberechtigten türkischen Staatsbürger in Deutschland gewandt, nicht an die anderen Bürger Deutschlands.

"Union wählen, Erdogan ärgern"

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) zeigte sich überzeugt, dass Erdogans Aufruf keine große Wirkung haben werde. "Unsere türkischstämmigen Mitbürger sind klüger als Erdogans Beeinflussungen", sagte er der "Bild"-Zeitung (Samstagausgabe).

Die Union reagierte auf Erdogan, indem sie den Spieß umdrehte: "Eine einzigartige Chance: Union wählen und Erdogan ärgern!", twitterte Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer.

Hamza Yalcin lebt in Schweden und schreibt für ein der Regierung in Ankara kritisch gegenüberstehendes Online-Magazin. Er besitzt sowohl die schwedische als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Nach Angaben der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu wird ihm vorgeworfen, Erdogan beleidigt und "Propaganda" für eine "terroristische Vereinigung" betrieben zu haben.

Dogan Akhanli war am Samstag auf Betreiben der Türkei an seinem spanischen Urlaubsort festgenommen worden. Sein Anwalt hält das türkische Festnahmegesuch für politisch motiviert. Akhanli stammt aus der Osttürkei, ist aber deutscher Staatsbürger. Akhanli war nach dem türkischen Militärputsch von 1980 jahrelang inhaftiert. Er floh 1991 nach Deutschland und nahm 2001 die deutsche Staatsbürgerschaft an. Er steht der jetzigen türkischen Regierung kritisch gegenüber. Auch Deutschland will die Auslieferung Akhanlis verhindern.

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