Ein erster Anlauf zu Jamaika

Koalitionsgespräche: In Berlin kommt zusammen, was scheinbar nicht zusammengehört.

Horst Seehofer hat es gewagt. Noch bevor die ersten Gespräche zu Koalitionsverhandlungen starteten, inspizierte der CSU-Chef und oberste Bayer bis dato fremdes Gebiet: die Parteizentrale der Grünen in Berlin.

Es war ein erstes Kennenlernen von Menschen, die nun im selben Boot sitzen. Ob dies Kurs auf "Jamaika" nimmt, also ein Bündnis zwischen Grüne, Union und FDP entsteht, oder einer das Ruder umreißt und alle kentern, wird sich in den nächsten Monaten entscheiden.

Zum Start der Gespräche zeigte Kanzlerin Angela Merkel zumindest kleidungstechnisch guten Willen. Oder sollte der grüne Blazer beruhigend auf die erhitzten Gemüter wirken? Denn der Ton war in den vergangenen Tagen deutlich rauer. Die FDP forderte die CDU auf, das Finanzministerium rauszurücken, die bayerische CSU träumte laut vom ÖVP-Kurs, was die Grünen alarmierte.

Hinter verschlossenen Türen wird es harmonischer werden, rechnet der Politologe Stefan Wurster von der TU München. Viele der Beteiligten auf Bundesebene kennen einander und können teils gut miteinander, etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter – fürs persönliche Klima ein Vorteil. Auch weil bei den Bayern die Nervosität besonders groß ist. Sie müssen 2018 eine Wahl gewinnen, und die Konkurrenz ist gewachsen: "AfD, FDP und auch die Grünen fischen in ihrem Teich. Sie müssen sich abgrenzen und am Ende muss sichtbar werden, dass sie sich durchgesetzt haben", sagt Wurster. Unter Druck steht auch Horst Seehofer. Er wird viel daran setzen, dass die Gespräche klappen. Nur so kann er die Personaldebatte gegen seinen Rivalen Markus Söder gewinnen.

Die Spezialisten

Angela Merkel ist auf die Herausforderung mit einer großen Delegation und vielfältigen Persönlichkeiten gerüstet, um sich abzusichern – die anderen Parteien haben ihre Mannschaft ebenfalls vergrößert. "Das macht es nicht einfacher, denn je mehr Spezialisten dabei sind, die ihre Prinzipien haben, umso länger wird es dauern, bis man sich einigt", erklärt Wurster. Während der Realo-Flügel der Grünen in puncto Flüchtlinge kompromissfähig ist, pocht der linke Teil auf den Familiennachzug. Für Bundesvorsitzende Simone Peter und andere gilt: Mitregieren ja, aber nicht um jeden Preis. So hielt es Jürgen Trittin 2013, damals scheiterte ein Bündnis mit der Union. Jetzt könnte der ehemalige Fraktionschef dafür sorgen, dass es die Grünen schaffen, dazu muss er Stimmung machen. Denn ob die Ökos reif sind für die Insel, entscheidet sich in einer Befragung der Mitglieder – die stehen skeptisch zu Jamaika, sagt Experte Wurster. "Die Basis zu überzeugen ist schwieriger, als mit den Delegierten zu verhandeln."

Ein Scheitern der Pläne und Neuwahlen als Folge wäre jedenfalls für alle verheerend, meint Wurster. "Ziel sollte es sein, ein Projekt zu finden, wo alle ihre Positionen einbringen können, etwa: Zusammenhalt der Gesellschaft." Dass auch jetzt jene miteinander reden, die scheinbar nichts eint, könnten auch ein positives Signal an die Wähler sein. Ebenso dass selbst Seehofer seinen Besuch bei den Grünen überstand und mit grinsendem Gesicht rauskam.

Kommentare