Kniff gegen Presse: Erdogan entzieht Akkreditierungen

Im Visier der türkischen Regierung: "Cumhuriyet"
"Straftat Journalismus": Allein im Jahr 2016 wurden rund 900 Journalisten-Akkreditierungen in der Türkei entzogen.

In der Türkei gelten nur Personen offiziell als Journalisten, die eine offizielle Akkreditierung haben. Diese wurde im vergangenen Jahr rund 900 Mal entzogen. Damit wird nicht nur begründet, warum so viele Medienschaffende im Gefängnis sind, sondern auch die Arbeit der Journalisten erschwert.

Die Anzahl der Inhaftierten Journalisten in der Türkei ist strittig: Berufsverbände beziffern die Zahl der Inhaftierten Kollegen auf 156, der Justizminister Abdülhamit Gül behauptet, keine belastbaren Informationen über den Beruf der im Gefängnis sitzenden Personen zu haben, während sein Vorgänger Bekir Bozdag noch wusste, dass 30 Journalisten hinter schwedischen Gardinen sitzen.

"Die meisten sind gar keine Journalisten, sondern Terroristen"

Die geringste Schätzung hingegen lieferte im Juli der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ab, als er behauptete, lediglich zwei Journalisten seien in türkischer Haft. Auf dem UN-Gipfel in New York Ende September legte er noch nach: "Die meisten sind gar keine Journalisten, sondern Terroristen. Die meisten haben Bomben geworfen oder Diebstahl begangen", so der türkische Präsident.

Zwar kann man sich gut vorstellen, dass es nicht einfach ist, den Überblick über die ständig wachsende Zahl von Gefängnisinsassen in der Türkei zu behalten. Immerhin ist die Zahl seit 31. Dezember 2002, also in den rund 15 Jahren Regierungszeit der AKP bis heute, um 275 Prozent gestiegen. 59.429 Personen waren im Jahr 2002 in Haft, am 15. Juli 2017 waren es nach offiziellen Angaben bereits 223.451.

Was es mit der Pressekarte auf sich hat

Doch der Grund für die so stark divergierenden Angaben ist ein schlichter Kniff, den sich die türkische Regierung erlaubt: Sie erkennt den inhaftierten Journalisten ihren Beruf ab. In der Türkei wird nämlich eine offizielle Pressekarte verteilt. Mit ihr kann man nicht nur kostenlos den öffentlichen Nahverkehr nutzen und sich bei staatlichen Anlässen akkreditieren lassen, sie ist auch gleichzeitig - anders als beispielsweise in Europa - eine Art "Genehmigungskarte" zur Ausübung des Berufs.

Erdogan erklärte dazu ebenfalls in New York: "Man wird ja nicht Journalist, indem man sagt, dass man Journalist ist." Stattdessen muss man sich also einer Prüfung auf Herz und Nieren von staatlicher Seite unterziehen.

Einer parlamentarischen Nachfrage zufolge, die von Ömer Fethi Gürer, einem Abgeordneten der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP an Ministerpräsident Binali Yildirim gestellt worden war, wurden in der Türkei im Jahr 2016 die Pressekarten von 889 Journalisten aberkannt. Laut Justizminister Gül lagen verschiedene Gründe vor, weswegen die begehrten Karten eingezogen wurden. Neben Tod, Arbeitsverlust oder Missbrauch der Karte beispielsweise auch die "Schließung des Medienunternehmens" oder "die Politik der Nationalen Sicherheit", was immer letzteres bedeuten mag.

Erdogan hat über 100 Medien verboten

110 Medienunternehmen sind innerhalb des ersten Jahres nach dem Putsch verboten worden, für 2.500 Journalisten bedeutete das den Weg in die Arbeitslosigkeit. Sie haben in der Türkei nicht nur ihre Arbeit verloren, sondern auch ihren Beruf.

Nicht weniger dramatisch ist die Situation übrigens für ausländische Journalisten. Ihre Aufenthaltsgenehmigung ist nämlich an die vom türkischen Amt für Presse und Information zu vergebenen Pressekarten gebunden. Jedes Jahr müssen sich die Anwärter neu bewerben, kritischen Journalisten wird die Karte nicht selten verwehrt.

Beispiel Haznain Kazim

Prominentestes Beispiel dürfte der ehemalige Korrespondent des deutschen Wochenmagazins "Spiegel", Haznain Kazim, sein, der aufgrund dessen nach Wien umgezogen ist und eine neuerliche Einreise in die Türkei vermeidet. Auch der seit Februar inhaftierte Korrespondent der deutschen Tageszeitung "Die Welt" hat vergeblich auf seine Pressekarte gewartet. Da er gleichzeitig türkischer Staatsbürger ist, konnte er sich auch ohne sie im Land aufhalten.

Ausländische Journalisten, die versuchen, ohne offizielle Presseakkreditierung in der Türkei zu arbeiten, ereilt seit einigen Jahren ein böses Schicksal. So beispielsweise den französischen Journalisten Mathias Depardon, der jahrelang in der Türkei gelebt und gearbeitet hatte. Während er an einer Fotostrecke für "National Geographic" arbeitete, wurde er festgenommen und Wochen später im Juni dieses Jahres abgeschoben. Seine Pressekarte, die er wie jedes Jahr Monate zuvor beantragt hatte, war noch nicht erteilt worden.

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