"Angriff Nordkoreas sehr unwahrscheinlich"

Nordkorea-Experte Rüdiger Frank über Hintergründe des jüngsten Raketentests.

Die Reaktion aus Washington fiel diesmal moderat aus. Nachdem Präsident Trump beim letzten Raketenstart vor wenigen Wochen mit "Feuer und Wut" gedroht hatte, kanzelte er das Regime in Pjöngjang diesmal nur ab, sprach von "Verachtung für Mindeststandards an Verhalten", was "nur die Isolation Nordkoreas erhöhen" würde – und fügte zuletzt einen leidlich bekannten Stehsatz hinzu: "Alle Optionen sind auf dem Tisch."

"Angriff Nordkoreas sehr unwahrscheinlich"
Nordkorea Experte Rüdiger Frank, 2017
Wie schon viele seiner Vorgänger im Weißen Haus wirkt Trump im Umgang mit dem Kim-Regime zunehmend ratlos. Zwar hat man China erfolgreich zu härteren Sanktionen gegen den Nachbarn gedrängt und spart ebenfalls nicht mit militärischen Drohgebärden (zur Zeit finden Militärmanöver der USA und Südkoreas vor der Küste Nordkoreas statt), doch die Wirkung bleibt offensichtlich aus. Diesmal überflog eine Langstreckenrakete Japan – das erste Mal seit 2009 – und das ohne jede Vorwarnung aus Nordkorea. Chinas Regierung jedenfalls sieht einen "Wendepunkt" in dem Konflikt erreicht: Druck und Sanktionen hätten nicht geholfen, man müsse an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Was aber ist tatsächlich das Ziel von Kim Jong-un? Der KURIER sprach dazu mit dem international renommierten Nordkorea-Experten Rüdiger Frank von der Universität Wien.

KURIER: Was bezweckt Nordkoreas mit dem Raketenstart? Rüdiger Frank: Kurzfristig geht es um eine Reaktion auf die Militärmanöver der USA und Südkoreas. Langfristig will Nordkorea einsatzfähige Atomwaffen entwickeln, um eine glaubhafte Abschreckung gegen ein Eingreifen des Westens zu haben. In Pjöngjang denkt man, dass man erst nach einer solchen Sicherung eine stabile Wirtschaftsentwicklung erreichen kann. Irgendwann will Kim Jong-un dann auch die koreanische Wiedervereinigung – und zwar nach den eigenen Regeln, zumindest aber nicht im Sinne einer feindlichen Übernahme durch den Süden.

Wie hoch bewerten Sie die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Aggression Nordkoreas gegen ein Nachbarland?

Solange Nordkorea nicht angegriffen wird, halte ich eine militärische Aggression Nordkoreas für sehr unwahrscheinlich. Weder das Regime noch das Land würden den Gegenschlag überleben, und das wissen sie auch.

In letzter Zeit gab es Berichte über Nahrungsmittelknappheit und eine neue Hungersnot in Nordkorea. Wie ist die Versorgungslage?

Das Leben in Nordkorea ist für viele sehr hart. Mangelernährung ist ein bekanntes Problem, Hunger allerdings seit Jahren nicht mehr. Aus Sicht der Regierung besonders problematisch ist die in den letzten Jahren gewachsene und im Alltag deutlich sichtbare Ungleichheit; dem neuen Mittelstand, das sind drei bis vier Millionen Menschen, geht es ziemlich gut.

China hat kürzlich seine wirtschaftlichen Sanktionen gegen Nordkorea verschärft. Wie schmerzhaft sind diese?

Sie sind schmerzhaft, da sie nicht nur Waffen, sondern den gesamten Handel betreffen. Andererseits traut Nordkorea den Chinesen nicht und hat seit Jahrzehnten versucht, eine möglichst unabhängige Wirtschaft aufzubauen. Das ist nicht vollständig gelungen, aber die Sanktionen wirken trotzdem nicht so, wie sich der Westen das wünscht. Und schließlich hat China zum jetzigen Zeitpunkt kein Interesse an einem Kollaps Nordkoreas. Das Resultat wäre eine Ausweitung des US-Einflusses in der Region, und gerade den versucht China ja gerade einzudämmen. Pjöngjang weiß das sehr genau.

Wie bewerten Sie die derzeitige politische Strategie des Regimes, innen- und außenpolitisch? Wie stabil ist es?

Kim Jong-un hat den vorsichtigen Reformkurs seines Vaters fortgesetzt, ihn aber nicht wesentlich beschleunigt. Er betont, dass man die Wirtschaft und die Atomwaffen parallel entwickeln will. De facto will Kim aber zuerst militärische Sicherheit, bevor er weiter mit dem Markt experimentiert. Innenpolitisch ist das Regime unter Druck, da die Menschen unter den Sanktionen und den hohen Militärausgaben leiden.

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