UNO

Keine Euphorie im Westjordanland

Keine Euphorie im Westjordanland
Die Palästinenser sehen der Abstimmung über ihren Beobachterstatus bei der UNO ohne große Anspannung entgegen.

Einen Tag vor der Abstimmung der UNO über die Anerkennung Palästinas als „Be­obachterstaat“ ist die Stimmung in Ramallah nicht besonders angespannt. Was daran liegen mag, dass die Aufwertung in der Generalversammlung nur noch eine Formsache ist. Mehr als 130 der 193 Mitgliedsstaaten erkennen Palästina bereits an. Die Anerkennung auch einer wachsenden Zahl EU-Staaten ist ein zusätzlicher Erfolg. Doch was kann der im Alltag schon bringen?

Widerstand

„Mehr als 60 Jahre lang hat unsere alte Politik mit Intifada, Oslo-Abkommen und auch Raketen nichts wirklich Greifbares gebracht“, meint George Giacaman, Politologe an der palästinensischen Universität in Bir Zait. „Eines muss daher klar sein: Eine neue Politik muss her.“ Der Professor sieht dabei den Schritt von Präsident Mahmud Abbas nicht im Widerspruch zum bewaffneten Widerstand der Hamas in Gaza, sondern als „diplomatischen Widerstand“.

Den kennt der 19-jährige Rahim Siraf aus dem Flüchtlingslager Al-Arub gar nicht. „Der Präsident kann tun und lassen, was er will, wichtig ist nur unser Widerstand. Wie der in Gaza noch letzte Woche.“ Die Hamas-Regierung im Gazastreifen tritt seit den letzten Kämpfen politisch selbstsicherer auf. Den Schritt zur UNO lehnt sie nicht mehr glatt ab, wie noch im Vorjahr. Hamas-Chef Khaled Mashaal bestätigte das in einem Telefonat mit Abbas. Dabei hatte Hamas-Gründungsmitglied Mahmud al-Sahar noch am Samstag im UN-Antrag „einen offiziellen Verzicht auf das Palästina von 1948“ gesehen.

Viele Palästinenser erwarten sich durch die Anerkennung keine großen Änderungen. „Wir sind das Opfer, was uns für die Welt unwichtig macht“, findet Mussag Taadne aus Hebron. Für den 62-Jährigen schadet der UN-Schritt nicht. Internationale Aufwertung bringe aber auch nichts. Doch wie Professor G­iacaman hofft auch er, der unerwarteten Gemeinsamkeit zwischen Abbas und Mashaal werde eine Annäherung dieser bisher unversöhnlichen Gegner folgen.

Shauki Tayssir aus Eyn Y­abrud bei Ramallah sieht hingegen spürbare Folgen: „Dadurch steht uns der Weg an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag offen. Das kann uns wirklich helfen.“ Einige Rechtsexperten sehen den Weg nicht ganz so offen. Letztlich wird wohl jede Eingabe von der Haager Staatsanwaltschaft abhängig sein.

Recht auf Klage

„Es ist nicht so, dass wir am Tag nach der Abstimmung sofort nach Den Haag laufen“, erklärte PLO-Führungsmitglied Hanan Ashrawi am Mittwoch auf einer Pressekonferenz. Das Recht auf Klage stehe aber nicht der Regierung allein zu. Jeder Palästinenser wäre letztlich dazu berechtigt. Und für die Regierung bekräftigte Ashrawi: „Wir haben trotz starken internationalen Drucks nicht einfach auf dieses Recht verzichtet.“

In den beiden letzten Waffengängen zwischen Palästinensern und Israel spielten Autonomie-Chef Abbas und seine Fatah-Bewegung keine Rolle mehr. Auch an der diplomatischen Front bewegt sich für ihn nichts. Abbas wird zur politischen Null-Figur und damit droht der gesamten palästinensischen Autonomie-Behörde das Aus.Was die Welt, zu der auch die USA und die EU gehören, verhindern will.
Die USA werden gegen die Aufwertung Palästinas stimmen, lassen aber ihren Verbündeten weitgehend freie Hand. Auch aus Jerusalem sind einen Tag vor der Abstimmung keine wüsten Drohungen mehr zu hören. „Wir machen unsere Gegenmaßnahmen von der Politik abhängig, die Abbas danach einschlagen wird.“

„Für eine Regierung, die von den Vereinten Nationen Sanktionen gegen Iran erwartet“, meint die Tageszeitung Haaretz, „ist die UNO vielleicht doch nicht ganz so unwichtig, wie sie vorgibt.“

Ahmad Muhayer, ein palästinensischer Händler auf dem Straßenmarkt in Ramallah, freut sich allein deshalb: „Ich bin für den Schritt unseres Präsidenten, allein schon, weil die Israelis nichts dagegen tun können.“

Pünktlich zum jährlichen „Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ will es Mahmud Abbas am Donnerstag genau wissen: Allen Interventionsversuchen und Drohungen der USA und Israels zum Trotz hat der politisch angeschlagene Palästinenser-Präsident vor der UNO-Vollversammlung den Antrag auf Zuerkennung des Status als „beobachtender Nicht-Mitgliedstaat“ gestellt. Die dafür nötige Mehrheit unter den 193 UN-Mitgliedern ist ihm so gut wie sicher. Auch Österreich, Frankreich und andere europäische Staaten wollen diese Aufwertung Palästinas unterstützen. Für sie ist es ein eher symbolischer Schritt.

Israels Regierung hingegen wertet die Initiative als Abkehr vom vereinbarten Verhandlungsweg. Damit würde Abbas alle bisherigen Nahost-Abkommen infrage stellen. Der Autonomiebehörde könnte der Geldhahn zugedreht werden.

Israel fürchtet vor allem die erweiterten politischen Möglichkeiten der Palästinenser. Als Nicht-Mitgliedstaat könnten sie
internationalen Verträgen beitreten, etwa dem Internationalen Strafgerichtshof. Dann müsste Israel mit Klagen wegen seiner Siedlungspolitik und der jahrelangen Inhaftierung von Palästinensern ohne Gerichtsverfahren rechnen.

Der 77-jährige Abbas musste zuletzt erleben, wie ihm die kämpferische Hamas im Gazastreifen den Rang ablief und sich die Unterstützung vieler arabischer Staaten sicherte. Ein Erfolg vor der UNO soll ihm neue Autorität als Führer aller Palästinenser verschaffen.

Kommentare