Katalonien-Referendum: 90 Prozent für Unabhängigkeit

Nach Wahlschluss versammelten sich Demonstranten am Plaza Catalunya in Barcelona
Die Regionalregierung sieht das Recht auf Unabhängigkeit verdient. Regierungschef Rajoy verteidigt sein gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten.

Bei dem umstrittenen Referendum über die Unabhängigkeit in der spanischen Region Katalonien haben die Unabhängigkeitsbefürworter am Sonntag mit rund 90 Prozent der Stimmen gewonnen. Das teilte die katalanische Regionalregierung in der Nacht auf Montag in Barcelona mit. Zuvor hatte Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont bereits die Loslösung der Region von Spanien eingefordert.

Nach Angaben des Regierungssprechers Jordi Turull gaben aber nur knapp mehr als die Hälfte der 5,3 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen ab: Insgesamt seien 2,26 Millionen Stimmzettel gezählt worden, die Zahl der Ja-Stimmen habe bei 2,02 Millionen gelegen. 6,8 Prozent stimmten der katalanischen Zeitung Vanguardia zufolge gegen die Abspaltung.

Katalanischer Regierungschef: "Verbindlich"

Katalonien-Referendum: 90 Prozent für Unabhängigkeit
Catalan president Carles Puigdemont gives a press conference in Barcelona, on October 2, 2017. Catalonia's leader Carles Puigdemont said the region had won the right to break away from Spain after 90 percent of voters taking part in a banned referendum voted for independence, defying a sometimes violent police crackdown and fierce opposition from Madrid. / AFP PHOTO / LLUIS GENE
Am Tag danach hat Puigdemont die Gültigkeit des Separatisten-Sieges bekräftigt: Das Ergebnis der Abstimmung vom Sonntag sei "verbindlich". Der katalanische Regierungschef bedauerte, dass es keinen Dialog mit Madrid gebe, und erklärte: "Es ist klar, dass eine Vermittlung nötig ist."

Gewalt gegen Wähler

Die Regionalregierung in Barcelona hatte das Referendum trotz eines gerichtlichen Verbotes und gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid durchgezogen. Die Madrid unterstehende Polizei war mit einem Großaufgebot gegen das Referendum vorgegangen. Polizisten schlossen Wahllokale, beschlagnahmten Abstimmungsunterlagen und hinderten Menschen mitunter mit Schlagstöcken und Gummigeschoßen an der Stimmabgabe. Nach amtlichen Angaben wurden 844 Menschen verletzt, darunter einige schwer.

Der Sprecher der katalanischen Regionalregierung sprach von "Unterdrückung durch den spanischen Staat" und einer "Schande Europas" und kündigte juristische Schritte gegen die Zentralregierung in Madrid an. Diese werde sich vor internationalen Gerichten wegen der Gewalt verantworten müssen.

Ausrufung der Unabhängigkeit steht bevor

"Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben", erklärte Puigdemont am Sonntagabend in Barcelona, noch vor der Bekanntgabe der Resultate. Nach einem vom katalanischen Parlament verabschiedeten "Abspaltungsgesetz" soll die Unabhängigkeit bei einem Sieg des "Ja"-Lagers innerhalb von 48 Stunden ausgerufen werden.

"Wir werden diesen Weg gemeinsam und friedlich beschreiten", sagte Puigdemont. Auf dem Platz Placa de Catalunya im Zentrum Barcelonas brachen Zehntausende von Menschen bei diesen Worten in Jubel aus. Sie sangen auch die katalanische Nationalhymne Els Segadors.

Rajoy verteidigt Gewalt

Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy verteidigte das Vorgehen der Polizei am Abend in einer Fernsehansprache als Abwehr eines Angriffs auf den Rechtsstaat. Die Abstimmung bezeichnete Rajoy als Inszenierung, welcher er jede Gültigkeit absprach. Es habe kein Unabhängigkeitsreferendum gegeben, sagte der spanische Regierungschef. Er hoffe, dass die katalanische Führung den Weg verlassen, der nirgends hinführe.

Die katalanische Regionalregierung habe "Grundrechte verletzt" und gegen die Legalität und das demokratische Zusammenleben verstoßen, sagte Rajoy in Madrid. Die Katalanen seien dazu verleitet worden, an einer gesetzeswidrigen Abstimmung teilzunehmen. Der konservative Politiker gab der Regionalregierung in Barcelona die Schuld an den Unruhen. Die Verantwortlichen seien die, "die das Gesetz gebrochen haben". "Wir haben nur unsere Pflicht erfüllt und das Gesetz befolgt."

Rajoy will Treffen

Rajoy kündigte an, ein Treffen aller politischen Parteien ansetzen, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken. Er selbst werde sich keiner Gelegenheit zum Dialog verschließen, aber man müsse sich im Rahmen des Gesetzes bewegen.

Die stärkste Oppositionskraft in Madrid, die sozialistische Partei (PSOE), sprach von "Schande und Traurigkeit". Die Sorge um die Gewalt in einem der wichtigsten Länder der EU erreichte auch andere Länder Europas. "Die Eskalation in Spanien ist besorgniserregend", schrieb der SPD-Chef und langjährige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Madrid und Barcelona müssten "sofort deeskalieren und den Dialog suchen". Der belgische Premierminister Charles Michel erklärte: "Gewalt kann nie eine Antwort sein." Der Ruf nach einer Vermittlung der EU wurde lauter. Puigdemont selbst forderte die EU auf, nicht mehr wegzuschauen, sondern einzugreifen.

Rupel: "Unabhängigkeit nicht aufzuhalten"

Der slowenische Ex-Außenminister Dimitrij Rupel hat der internationalen Staatengemeinschaft vorgeworfen, beim Konflikt um die Unabhängigkeit Kataloniens wegzuschauen. In einem Gespräch mit dem slowenischen Fernsehsender sagte Rupel, der eine internationale Beobachtungsmission beim Referendum anführte, dass der Unabhängigkeitsprozess "nicht aufzuhalten" sei.

"Am besorgniserregendsten ist, dass die internationale Öffentlichkeit etwas abgestumpft beziehungsweise taub ist", sagte Rupel. Die Gewalt der spanischen Polizei habe die Überzeugung der Katalanen noch zusätzlich gefestigt. "Die Sache ist irreversibel, die Katalanen werden sich nicht mehr beruhigen, und man wird in der Zukunft akzeptable Lösungen finden."

Rupel war zum Zeitpunkt der slowenischen Unabhängigwerdung Anfang der 1990er Jahre Außenminister der damaligen jugoslawischen Teilrepublik, die sich einseitig von Belgrad losgesagt hatte. Damals kämpfte er zunächst in aussichtsloser Position um die Anerkennung Sloweniens durch die internationale Staatengemeinschaft.

Katalanischer Vertreter in Wien: "Wir appellieren an die EU"

Adam Casals, Gesandter und Leiter der Delegation der katalanischen Regierung in Österreich, hat von der EU gefordert, nach dem gewalttätigen Vorgehen der spanischen Polizei in Katalonien mit einem Grundrechteverfahren gegen Madrid vorzugehen. "Wir appellieren an die EU, wir appellieren auch an die Grundrechteagentur in Wien", sagte Casals am Montag im "Ö1"-Morgenjournal.

Nach Artikel 7 der EU-Charta solle ein Verfahren gegen Spanien eingeleitet werden, und "eventuell Spanien aus der EU rausgeschmissen werden", so der Vertreter der katalanischen Regierung in Wien. Mehrere Grundrechte der Bürger in Katalonien seien verletzt worden, kritisierte Casals. Die Repression dauere bereits seit zwei Wochen an. "Wir fragen uns, ob das heute im 21. Jahrhundert in der Europäischen Union möglich sein darf", so der katalanische Gesandte.

Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy werde in die Geschichtsbücher eingehen, weil er für die mehr als 800 Verletzten beim Unabhängigkeitsreferendum verantwortlich sei. Da 400.000 Wahlzettel beschlagnahmt und 700.000 Menschen an der Stimmabgabe gehindert worden seien, ergebe sich eine Gesamtwahlbeteiligung von 57 Prozent. "Katalonien hat sich dadurch das Recht erworben als unabhängiges Land dazustehen", so Casals.

Lunacek "schockiert"

In Österreich meldeten sich am Sonntag Grüne und FPÖ zu Wort. Die Grüne Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl, Ulrike Lunacek, ließ wissen: "So wie alle Demokraten in Europa bin ich von der gewalttätigen Zuspitzung der Situation in Katalonien auf das Tiefste schockiert". Lunacek verurteilte den Einsatz von Gummigeschoßen gegen Demonstranten auf das Schärfste. Harald Vilimsky, freiheitlicher Delegationsleiter im Europaparlament und FPÖ-Generalsekretär, erklärte, angesichts der Gewalteskalation seien "jetzt die EU-Spitzen gefordert", die Spanische Zentralregierung in Madrid zur Ordnung und Mäßigung zu rufen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte am Samstag in der Ö1-Interviewreihe "Im Journal zu Gast" erklärt, er beobachte die Entwicklungen mit "Bauchweh und Sorge".

Adam Casals, Gesandter und Leiter der Delegation der katalanischen Regierung in Österreich, hat von der EU gefordert, nach dem gewalttätigen Vorgehen der spanischen Polizei in Katalonien mit einem Grundrechteverfahren gegen Madrid vorzugehen. "Wir appellieren an die EU, wir appellieren auch an die Grundrechteagentur in Wien", sagte Casals am Montag im Ö1-Morgenjournal.

Nach Artikel 7 der EU-Charta solle ein Verfahren gegen Spanien eingeleitet werden, und "eventuell Spanien aus der EU rausgeschmissen werden", so der Vertreter der katalanischen Regierung in Wien. Mehrere Grundrechte der Bürger in Katalonien seien verletzt worden, kritisierte Casals. Die Repression dauere bereits seit zwei Wochen an. "Wir fragen uns, ob das heute im 21. Jahrhundert in der Europäischen Union möglich sein darf", so der katalanische Gesandte.

Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy werde in die Geschichtsbücher eingehen, weil er für die mehr als 800 Verletzten beim Unabhängigkeitsreferendum verantwortlich sei. Da 400.000 Wahlzettel beschlagnahmt und 700.000 Menschen an der Stimmabgabe gehindert worden seien, ergebe sich eine Gesamtwahlbeteiligung von 57 Prozent. "Katalonien hat sich dadurch das Recht erworben als unabhängiges Land dazustehen", so Casals.

Der slowenische Ex-Außenminister Dimitrij Rupel hat der internationalen Staatengemeinschaft vorgeworfen, beim Konflikt um die Unabhängigkeit Kataloniens wegzuschauen. In einem Gespräch mit dem slowenischen Fernsehsender sagte Rupel, der eine internationale Beobachtungsmission beim Referendum anführte, dass der Unabhängigkeitsprozess "nicht aufzuhalten" sei.

"Am besorgniserregendsten ist, dass die internationale Öffentlichkeit etwas abgestumpft beziehungsweise taub ist", sagte Rupel. Die Gewalt der spanischen Polizei habe die Überzeugung der Katalanen noch zusätzlich gefestigt. "Die Sache ist irreversibel, die Katalanen werden sich nicht mehr beruhigen, und man wird in der Zukunft akzeptable Lösungen finden."

Rupel war zum Zeitpunkt der slowenischen Unabhängigwerdung Anfang der 1990er Jahre Außenminister der damaligen jugoslawischen Teilrepublik, die sich einseitig von Belgrad losgesagt hatte. Damals kämpfte er zunächst in aussichtsloser Position um die Anerkennung Sloweniens durch die internationale Staatengemeinschaft.

Die Vorgänge in Katalonien erinnern viele Slowenen an ihren eigenen Unabhängigkeitskampf. Staatspräsident Borut Pahor sagte am Sonntag, dass in Slowenien "viele, viele Herzen" für die Katalanen schlagen. Vor der spanischen Botschaft in Ljubljana kam es zu einer Protestkundgebung.

Der Europaabgeordnete Lojze Peterle, der Slowenien als Regierungschef in die Unabhängigkeit führte, twitterte am Sonntag: "Das Selbstbestimmungsrecht ist stärker als die Geschichte." Oppositionsführer Janez Jansa, der als Verteidigungsminister den Kampf gegen die jugoslawische Volksarmee im Jahr 1991 anführte, schrieb: "Jedes Volk hat grundsätzlich das Recht auf Selbstbestimmung, auch die Basken, Schotten, usw. Was man für sich verlangt, muss man auch anderen zugestehen."

Vaclav Klaus übt scharfe Kritik an Madrid

Nach dem gewaltsamen Vorgehen der spanischen Sicherheitskräfte gegen das katalanische Unabhängigkeitsreferendum gibt es auch Kritik aus Tschechien. Ex-Präsident Vaclav Klaus wertete das Vorgehen als "inakzeptabel" und forderte die EU-Kommission auf, die Gewalt zu verurteilen. Der Pressesprecher von Staatspräsident Milos Zeman, Jiri Ovcacek, sprach vom "Ende des europäischen Traums".

"Der europäische Traum ist am 1. Oktober 2017 mit einem harten Erwachen beendet worden", schrieb Ovcacek auf Twitter. Der konservative Ex-Präsident Klaus wertete es als "unannehmbar", dass eine Regierung die Streitkräfte, Gewalt und Repression "zur Unterdrückung jener missbraucht, die ihre Meinung frei zum Ausdruck bringen wollen".

Lega Nord verurteilt Gewalt

Auch Italiens föderalistisch orientierte Oppositionspartei Lega Nord hat die Gewaltszenen beim Katalonien-Referendum verurteilt. "Eine Regierung, die mit Knüppelschläge auf Pensionisten losgeht, ist ein Wahnsinn", so Lega Nord-Chef Matteo Salvini.

"Man kann zwar mit dem Referendum nicht einverstanden sein, das einberufen worden ist, ohne die Regeln zu respektieren, man darf jedoch keine Gewalt anwenden", so Salvini. Er verwies auf die Autonomie-Referenden, zu denen am 22. Oktober die Wähler in den norditalienischen Regionen Lombardei und Venetien aufgerufen sind. "Diese Volksbefragungen sind vollkommen legal. Wir haben den friedlichen Weg bevorzugt. Wir respektieren die Regeln, wollen aber mehr Kompetenzen für unsere Regionen erlangen", so Salvini.

Bei dem Referendum in der Lombardei und in Venetien sollen sich die Wähler zur Frage äußern, ob der Region "zusätzliche Formen der Autonomie" gewährt werden sollen. Das Ergebnis der Befragung ist nicht verbindlich. Ziel der beiden von der Lega Nord regierten Regionen ist, nach dem Referendum Verhandlungen mit der Regierung in Rom aufzunehmen, um die regionalen Kompetenzen auszudehnen.

Gewählt wird am 22. Oktober mit einem elektronischen System. Sollte eine große Mehrheit der Wählerschaft "Ja" zum Referendum sagen, will die Lega Nord Druck auf Rom machen, damit mindestens 50 Prozent der Steuergelder, die die Lombardei und Venedig nach Rom entsendet, in der Region bleiben. Die Demokratische Partei (PD) um Ex-Premier Matteo Renzi kritisierte die Volksbefragung, die nicht verbindlich sei und den öffentlichen Kassen teuer zu stehen komme.

Zahlreiche internationale Medien beschäftigen sich am Montag mit dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum in der nordspanischen autonomen Region Katalonien, das von der spanischen Zentralregierung abgelehnt wird:

De Volkskrant (Amsterdam):

"Die Nationalisten haben es verstanden, die Volksstimmung in ein Kräftemessen mit Madrid umzuformen, bei dem es nicht mehr in erster Linie um die Unabhängigkeit, sondern um das Recht der Katalanen ging, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. Das hat funktioniert. Umso mehr, als die spanischen Behörden begannen, katalanische Funktionäre zu inhaftieren und Wahlurnen zu beschlagnahmen. 'Votarem' wurde zum Slogan: 'Wir werden abstimmen!'

Es ist zu hoffen, dass die katalanischen Anführer einsehen, dass dieses Referendum eine zu wackelige Basis ist, um die Unabhängigkeit auszurufen. Das wäre unverantwortlich angesichts der noch nicht so fernen Vergangenheit: der Bürgerkrieg, das Franco-Regime und der Terror der baskischen Separatistenbewegung ETA. Aber auch Madrid muss angesichts dessen zu der Einsicht gelangen, dass es Zeit wird, die verfassungsrechtliche Zwangsjacke zu lockern und gemeinsam mit Barcelona an die Arbeit zu gehen, um eine neue Regelung zu finden."

Tages-Anzeiger (Zürich):

"Inzwischen ist die Lust auf einen eigenen Staat in Katalonien gewachsen, selbst bei jenen, die mit den fanatischen Regionalisten lange nichts zu tun haben wollten. Denn Madrid hat unter der Führung des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy seither dermaßen ungeschickt und rigide agiert, dass ausgerechnet die Gegner der Unabhängigkeit der Bewegung ständig neuen Auftrieb gaben. Madrid bestätigte unter konservativer Führung das Bild eines autoritären Staates, der unfähig ist, auf die Anliegen einer regionalen Minderheit einzugehen, der null Fingerspitzengefühl zeigt im Umgang mit einer anderen Kultur und der keine Vorstellung davon hat, wie sich politische Konflikte anders lösen lassen als mit Gerichten und Polizei. (...) International hat Spanien das gestrige, gänzlich unverhältnismäßige Vorgehen gegen die Äußerung eines Volkswillens keine Sympathie eingebracht. Die Vermummten und Scheibenzerstörer waren diesmal aufseiten der Polizei, die Besonnenheit und Ruhe aufseiten der vermeintlich fanatischen Nationalisten."

El Pais (Madrid):

"Die Welt schaute auf uns, und es hat ihr nicht gefallen, was sie sah. Die Bilanz für das Image der Regierung und damit auch für Spanien könnte schlechter nicht sein. Zwar hat Rajoy das Referendum über die Selbstbestimmung blockiert, aber der Preis, den er dafür bezahlt hat, ist ein schwerer Schaden für das demokratische Prestige Spaniens. (...) Ein politischer Führer ist vor allem jemand, der mit den Bürgern zu kommunizieren weiß, der es versteht zu erklären, was er macht, und selbst seine schwierigsten Entscheidungen zu erklären vermag. Das ist bei Rajoy nicht der Fall, der - wenn er von einem so schwierigen Tag wie gestern Bericht erstatten muss - von einem vorhersehbaren und belanglosen Skript abliest, ohne jede Fähigkeit, eine Verbindung mit den Menschen herzustellen."

L'Alsace (Paris):

"Spanien hat gestern einen der schlimmsten Tage seiner Geschichte erlebt. Das ist das Ergebnis der gemeinsamen Verantwortungslosigkeit der Regierung von Mariano Rajoy und der katalanischen Separatisten (...). Der Premierminister (...) hat in der Art, wie er mit dem Projekt des katalanischen Referendums umgegangen ist, versagt. (...) Als ob er vergessen hätte, dass er Regierungschef eines demokratischen EU-Mitgliedsstaates ist. (...) Die gewaltsame Niederschlagung (...) hat nur die Position der Befürworter der Unabhängigkeit gestärkt, die bis dato keine Mehrheit der Bürger hinter sich zu haben schienen. Es ist weniger das Ergebnis der Abstimmung als die Art und Weise, wie die Zentralregierung mit der Situation umgegangen ist, die aus den Separatisten, die nun als Opfer dastehen, Sieger macht."

Times (London):

"Es wird kaum internationalen Druck auf (Spaniens Ministerpräsidenten Mariano) Rajoy geben, das Ergebnis des Referendums als bindend zu betrachten. Die Abstimmung ist eher eine Mahnung, den Katalanen aufmerksamer zuzuhören, ihnen den Respekt zu zeigen, den sie sich wünschen, Wege zur Erweiterung der Autonomie für die Region zu finden und vielleicht auch, die EU für die Vermittlung einer Vereinbarung einzuspannen. Brüssel fürchtet zweifellos eine Abspaltung Kataloniens als Vorspiel der Atomisierung Europas, als Schwächung des europäischen Projekts. Die Basken in Spanien, die Schotten im Vereinigten Königreich und die Lega Nord in Italien haben die Katalanen aufmerksam beobachtet. Ihnen wird dabei auch aufgefallen sein, dass viele jener Menschen, die weggeblieben sind oder mit Nein gestimmt haben, besorgt waren wegen der Unsicherheiten hinsichtlich der künftigen EU-Mitgliedschaft."

Magyar Idök (Budapest):

"Die ungarische Regierung hat die Abhaltung der katalanischen Volksabstimmung unterstützt, und zwar deshalb, weil nicht wir bestimmen werden, wie Katalonien leben wird und wie Madrid darauf antworten wird. Wir können nur so viel sagen, dass die Menschen ein Recht darauf haben, ihre Meinung auszudrücken, auch wenn das bestimmten Kreisen wehtut. Das gilt aber nicht nur für Katalonien, sondern für jedes Gebiet in Europa. Ungarn ist nicht verantwortlich für den FC-Barcelona-Star Gerard Pique, wohl aber für den (ethnisch ungarischen) Studenten Peter Horvath in (der rumänischen Stadt) Cluj-Napoca. Den Worten von (Ministerpräsident) Viktor Orban zufolge ist Ungarn inzwischen seelisch und physisch stark genug, um die Verantwortung für die (ethnischen) Ungarn in Siebenbürgen zu übernehmen."

Verdens Gang (Oslo):

"Es sollte europäischen Politikern in mehreren Ländern Sorgen machen, dass der Separatismus zunimmt. Das passiert gleichzeitig mit einer neuen Welle des Nationalismus und Anti-Globalismus. Die heutigen europäischen Regierungen müssen ihren Bürgern deutlich machen, dass sowohl ihnen als auch der Welt am besten damit gedient ist, zusammenzuhalten, im Rahmen von Nationalstaaten und auch der EU. Das tut man nicht, indem man Polizei gegen die Menschen einsetzt, die eine Volksabstimmung abhalten wollen. Da hat man in den Augen Vieler verloren."

Kommersant (Moskau):

"Es ist egal, ob die Abstimmung für ungültig erklärt wird; es ist auch so alles klar. Auch die reinen Zahlen sind unwichtig, wie viele Menschen ihre Stimme abgegeben haben, wie viele für die Unabhängigkeit waren. Wichtig ist etwas anderes: Der Rubikon ist überschritten, es gibt kein Zurück mehr, die Emotionen kochen hoch, die Einwohner Kataloniens (selbst diejenigen, die bisher nicht für die Unabhängigkeit waren) fühlen sich beleidigt durch die Arroganz in Madrid. Denn die spanische Staatsmacht, die regierende Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy, hat in der ganzen Sache bisher nur Arroganz und einen Mangel an Flexibilität gezeigt."

Adevarul (Bukarest):

"Es ist zu befürchten, dass dies nur der Anfang einer Zentrifugalbewegung ist, die (...) sehr genau geplant und kraftvoll unterstützt wird, mit dem Ziel, die Einheit Europas zu zerstückeln. Mit vielen winzigen Staaten, die kaum oder gar nicht wirtschaftlich relevant sind, könnte man zu derselben Mosaik-Situation kommen, die es auf unserem Kontinent vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat. Die leicht auszunutzen ist von verantwortungslosen Politikern und letztlich mit denselben voraussehbaren Konsequenzen wie damals."

Rossijskaja Gaseta (Moskau):

"Umfragen zufolge gab es bisher weniger Anhänger einer Abspaltung von Spanien als Verfechter des Status Quo - etwa 40 Prozent. Doch seit die Emotionen wegen der Abstimmung hochgekocht sind, geht es den Menschen darum, überhaupt ihre Meinung äußern zu dürfen. Madrid spricht ihnen das Recht darauf ab und verweist auf die Gesetze des Landes. Doch mehr als 80 Prozent der Katalanen geht es genau darum. 'Ja zur Demokratie' war die häufigste Losung auf Transparenten, auf Stickern, an Balkonen und anderswo."

Iswestija (Moskau):

"Die Freiheitspläne der Katalanen sind in Europa kühl aufgenommen worden. Moralische Unterstützung kam aus Schottland und der belgischen Region Flandern, wo nationalistische Stimmungen und die Hoffnungen auf eine eigene Unabhängigkeit stark sind, aber der Europäischen Union insgesamt gefiel das Vorhaben der Katalanen nicht. Der Regierungschef der Autonomie, Carles Puigdemont, sagte dieser Tage, Brüssel zeige Katalonien die kalte Schulter. Und die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, rief die Europäische Kommission zur Vermittlung zwischen Madrid und der autonomen Region auf."

Sme (Bratislava):

"Erwarten wir nicht allzu viel an lauten Protesten aus dem Rest der Welt, dem bisher noch nicht wirklich klar geworden ist, warum sich die Katalanen dem beunruhigenden Trend zu Teilung und Auseinanderbrechen anschließen wollen. Dass nur wenige Spanier und noch weniger Katalanen oder Basken der Madrider Regierung vertrauen, heißt noch nicht, dass Franzosen oder Finnen ihnen zustimmen müssen - oder den Zerfall eines EU-Mitgliedslandes unterstützen wollen."

Rzeczpospolita (Warschau):

"Man darf nicht vergessen, dass das Referendum, das ohne offizielles Wählerverzeichnis und Kontrolle über die Ausgabe von Stimmzetteln stattfand, nicht Grundlage für die Anerkennung der Unabhängigkeit Kataloniens sein kann. Insbesondere, da viele spanientreue Katalanen nicht an der Abstimmung teilnehmen wollten, die das Verfassungsgericht für unrechtmäßig befunden hatte. (...) Die in diesen Tagen getroffenen Entscheidungen können jahre- oder sogar generationenlange Konsequenzen haben (...)

Wenn die Abstimmung auch nur von einem Land des vereinigten Europas anerkannt wird, fällt nicht nur die spanische Demokratie, sondern die EU selbst, die ohne die gegenseitige Loyalität ihrer Mitgliedstaaten nicht existieren kann. Es kommen Erinnerungen an die tragischen Ereignisse auf, die 1936 zum Spanischen Bürgerkrieg geführt haben. (...) Rajoy muss auf schnellsten Weg den Frieden wiederherstellen und den Dialog mit den katalanischen Regierenden aufnehmen."

Hospodarske noviny (Prag):

"Bis zu diesem Punkt konnte niemand mit Sicherheit sagen, ob die Katalanen sich für Unsicherheit in Form der Unabhängigkeit entscheiden würden. Jetzt kann es daran kaum noch Zweifel geben, ungeachtet dessen, wie viele Menschen tatsächlich ihre Stimme abgeben konnten. Denn die Palette der Argumente für ein unabhängiges Katalonien ist nun um einen Aspekt reicher - den Zorn.

Bis jetzt wäre es völlig überzogen gewesen, Parallelen zwischen dem heutigen demokratischen, prosperierenden und an der europäischen Integration teilhabenden Spanien mit der Franco-Diktatur zu ziehen. Doch nun wird es für die Katalanen zumindest auf der emotionalen Ebene einfach sein, die Gummigeschosse vom Sonntag mit den Knüppeln und der militärischen Unterdrückung General Francos zu vergleichen. Mit diesem Tag hat Spanien seinen Kampf um Katalonien verloren."

24 Tschassa (Sofia):

"Es liegt auf der Hand, dass falls sich Katalonien von Spanien abspalten sollte, ähnliche Forderungen in ganz Europa als ungewollte Kettenreaktion kursieren werden. Alle Forderungen der Katalanen hätten aber auf den Tisch gelegt werden sollen, und man hätte im Dialog zwischen Barcelona und Madrid konstruktive Lösungen suchen müssen. Stattdessen starrt ganz Europa darauf, wie Polizisten mit Hämmern, Äxten, Schlagstöcken und Gummipatronen versuchen, die Abstimmung auf Anordnung der Regierung in Spanien zu vereiteln."

La Repubblica (Rom):

"Jetzt, wo die Urnen geschlossen oder beschlagnahmt sind, jetzt, wo sich die Rauchbomben auflösen und das Blut der Hunderten Verletzten auf den Gehsteigen Barcelonas trocknet, stehen Katalonien und Spanien exakt dort, wo sie auch ohne den Gewaltausbruch gestanden wären. Die Stimmen auszuzählen, ist vollkommen unnütz. Die Unabhängigkeitsbefürworter werden den Sieg erklären und den Prozess zur Loslösung einleiten. Die Regierung in Madrid erklärt das Referendum für null und nichtig. Es muss zwischen beiden Parteien nun zum Dialog kommen, den sie beide aus bloßem politischen Kalkül bisher verweigert haben. Aber die Wunde ist tiefer geworden. Und sie hat sich entzündet: Durch das, was die Spanier als sezessionistischen Putsch definieren. Und durch das, was die Katalanen eine ungerechtfertigte Unterdrückung ihrer Grundrechte sehen."

Kommentare