Kairo: "Wir bleiben bis die Militärs weg sind"

Zehntausende demonstrierten nach den Freitagsgebeten auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Ein KURIER-Reporter war dabei.

Das ist die zweite Revolution - und es wird unsere letzte sein!" Boulis lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit. Mit seiner gelben Rettungsweste steht er ruhig am Rand des Tahrir-Platzes, während rund um ihn das Gewühl von Minute zu Minute dichter wird. Der junge koptische Christ ist Teil einer medizinischen Rettungstruppe. Er hat hier in den vergangenen Tagen Verletzte versorgt, vom Tränengas blinde Augen ausgewaschen. Nur die Schusswunden hat er den Ärzten überlassen, die gemeinsam mit ihm in einem improvisierten Lazarett rund um die Uhr Dienst machen. Und mit den Menschenmassen wächst an diesem Freitag auch die Anspannung. Das Militär sei in den umliegenden Straßen bereits angerückt, macht ein Gerücht hektisch die Runde, riesige Polizeieinheiten seien unterwegs. Auch Boulis weiß, dass "das hier ohne Gewalt nicht zu Ende gehen wird. Aber egal wie und wie lange, wir bleiben hier, solange es nötig ist, solange, bis die Militärs weg sind. Wir sind bereit dafür zu sterben."

Vertrauen

Manchmal, in den friedlicheren Stunden, kommt unter den Zehntausenden fast fröhliche Stimmung auf. Man hilft einander, egal ob es darum geht, ein neues Zelt aufzustellen, den Müll wegzuräumen oder Essen und Wasser weiterzureichen. Und man vertraut einander, egal, ob man nun Christ wie Boulis, orthodoxer Muslim oder Liberaler ist. Wie Moaaz etwa, der gerade ein riesiges Plakat mit dem Bild von Mohammed ElBaradei, dem Ex-Chef der UN-Atombehörde, entfaltet. "Er wird uns mit der Welt verbinden, mit den Demokratien in Europa", sagt er dem KURIER-Reporter, um sich dann in eine wilde politische Debatte mit einer Gruppe von Linken zu stürzen, die ganz andere Politiker auf ihren Plakaten mit sich herumtragen.

Böse Scherze

Es wird viel politisiert auf dem Tahrir-Platz, aber auch gelacht. Denn die Ägypter lieben böse Scherze über ihre Obrigkeit. Der neue, erst Donnerstagnacht ernannte Premier Ganzouri ist da keine Ausnahme. Der habe doch auch schon mit Mubarak heimlich Whiskey getrunken: "Kommen doch alle aus demselben Irrenhaus." Ein solches Irrenhaus steht direkt am Tahrir-Platz, die Mogamma. Der riesige, düstere Gebäudeklotz war einst ein Geschenk Stalins an Ägypten und sieht aus, als wäre er direkt aus dem sozialistischen Moskau eingeflogen worden. Heute beherbergt er Innenministerium, Polizei und Behörden und steht, so Moaaz, für "die Macht, mit der sie uns erdrücken wollten". Wie viel Angst fast allen hier diese Macht eingejagt hat, merkt man in jedem Gespräch. Da werden die Tränengasgranaten, die das Militär verschossen hat, weitergereicht, man berichtet von Freunden, die blutend auf dem Boden lagen.

Parolen

Und dann tauchen im Gewirr der Transparente und Parolen auf dem Tahrir-Platz immer wieder die gleichen Worte auf - und es sind die, die in Sekundenschnelle zum Chor anschwellen. Manchmal ist es "Freiheit", manchmal "Geht weg!", an die Adresse der Militärs gerichtet, und manchmal: "Wir sind eins." Und das tönt so laut, als ob sich alle, die mitschreien, noch einmal selbst in diesem Wir-Gefühl bestärken wollten. Zu oft war in den letzten Tagen die Rede von den Islamisten, die jetzt den Tahrir-Platz übernehmen würden, von Konflikten und Streit unter den politischen Gruppen. Die Islamisten haben sich offiziell zurückgezogen, ihre politischen Vertreter, die Muslimbruderschaft und die radikaleren Salafisten, haben sich distanziert, wollen auf die Wahlen am kommenden Montag setzen.

"Wer jetzt hier bei uns ist, ist da, weil er das will - und nicht, weil ihn irgendeine Partei schickt", meint der Kopte Boulis stolz. Und wie zum Beweis fängt er einen vorbeilaufenden orthodoxen Muslim mit langem Bart ab, umarmt ihn, küsst ihn: "Das ist mein bester Freund", stellt er den älteren Herrn vor, dem bei so viel vertrauter Freundlichkeit auch ein breites Lächeln auskommt: "Der war auch schon bei der ersten Revolution dabei und jetzt ist er wieder da. Wir sind wieder da, gemeinsam."

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