Kairo: "Die Jungs gehen durch die Hölle"

Kairo: "Die Jungs gehen durch die Hölle"
Knapp vor der Parlamentswahl eskaliert die Gewalt auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Der Militärrat setzt auf brutale Härte.

Allahu Akbar" (Gott ist groß) und "Nieder mit Tantawi" - die jungen Aktivisten auf dem zum Symbol der Freiheit gewordenen Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo geben nicht auf. Auch nach der jüngsten Gewalteskalation mit mehr als 30 Toten und 2000 teils schwer Verwundeten harren sie aus und fordern den Rücktritt des Militärrates unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, 76. Die am Montag erfolgte Demission der Regierung ist ihnen zu wenig. Für Dienstagnachmittag riefen Dutzende Oppositionsgruppen zum "Millionen-Marsch" in der ägyptischen Hauptstadt auf. Schon zuvor war wieder Blut geflossen.

"Die Jungs hier gehen durch die Hölle", sagt Amr zu Spiegel Online. Der 28-Jährige versorgt die zahllosen Verletzten, Arzt ist er nicht, aber immerhin hat er fünf Semester Medizin studiert. "Eben hatten wir einen Mann, dem sie die Augen zerschossen haben." Auch in einem Dutzend anderer Städte kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen.

Vom Freund zum Feind

Seit Freitag dauern die Proteste an. Die Sicherheitskräfte setzen Tränengas, Gummigeschoße und auch scharfe Munition ein. Die Demonstranten sehen sich ihrer Revolution beraubt, mit der sie zu Jahresbeginn in kurzer Zeit Langzeit-Herrscher Hosni Mubarak aushebelten. Damals war das Militär der Verbündete, Panzer wurden mit Blumen geschmückt. Heute ist es der Feind - vor allem, weil es auch nach einer neuen Verfassung zentrale Befugnisse nicht abgeben will und völlig undemokratisch agiere.

Unter dem Druck der Proteste sah sich Tantawi am Dienstag veranlasst, vor die Kameras zu treten, um sich und die Militärführung zu verteidigen. Die Proteste nannte er ungerechtfertigt, den Kurs Ägyptens in Richtung Demokratie unumkehrbar. Die Proteste zielten nur darauf ab, dem Land zu schaden. Die Wahlen werden nicht verschoben, die für Ende 2012, Anfang 2013 angesetzte Präsidentenwahl soll kommenden Juli stattfinden.

Die Militärführung muss sich zugleich von internationalen Beobachtern schwere Vorwürfe gefallen lassen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) berichtete, dass in den vergangenen Monaten 12.000 Zivilisten unfaire Prozesse gemacht worden seien. Folter stehe auf der Tagesordnung, die Meinungsfreiheit werde massiv eingeschränkt. Ein AI-Sprecher: "Die neuen Machthaber haben die Tradition der Unterdrückung aus der Mubarak-Ära fortgesetzt. In einigen Fällen ist die Lage sogar schlechter als früher."

Parlamentswahlen

In diesem Klima der Gewalt, der Repression und der Unsicherheit soll nun am Montag die erste Runde der Parlamentswahlen über die Bühne gehen. Klarer Favorit dabei ist die Partei der Muslimbruderschaft. Diese Gruppierung, die den besten Organisationsgrad aufweist und für die 35 bis 40 Prozent votieren könnten, hat sich dem Protestaufruf für Dienstag nicht angeschlossen. Sie fürchtet, dass das Militär eine weitere Eskalation als Vorwand benützen könnte, den Urnengang zu verschieben. Für die Radikal-Muslime, die Salafisten, könnten laut Umfragen neun Prozent stimmen. Damit kämen die islamischen Parteien fast auf eine absolute Mehrheit.

Unter den säkularen Kräften wird lediglich die liberale al-Wafd-Partei eine relevante Größe erreichen (Prognose: 26 Prozent). Die zersplitterten Aktivistengrüppchen haben zwar Facebook und Twitter, aber kein Programm.

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