Justizorgane in der Ukraine im Clinch

Symbolbild
Es handelt sich um eine Konfrontation zwischen alteingesessener und neuer Strafverfolgungsbehörde, die nun eskaliert ist.

Mit einem Handgemenge, angeblich verletzten Staatsanwälten sowie einer "Entführung" von Ermittlern hat der Konflikt zwischen der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft und dem Nationalen Antikorruptionsbüro Ende vergangener Woche einen neuen Höhepunkt erreicht. Reformpolitiker erwarten weitere Attacken gegen die 2015 geschaffene Antikorruptionsbehörde.

Im Hintergrund des aktuellen Vorfalls, der fast an eine Auseinandersetzung zweier Verbrecherbanden erinnert, steht eine Konfrontation zwischen der Generalstaatsanwaltschaft (HPU) und des - auch auf Druck der westlichen Staatengemeinschaft installierten - Antikorruptionsbüros (NABU). Ermittlungen der NABU gegen hochrangige Politiker sorgten in vergangenen Monaten für Aufmerksamkeit.

Mitarbeiter werden beschattet

Gleichzeitig gilt die neue Behörde, die im Tandem mit einer Sonderkorruptionsstaatsanwaltschaft agiert, für politisch deutlich unabhängiger als die Generalstaatsanwaltschaft. Letztere hat sich strukturell seit dem ukrainischen Machtwechsel von 2014 vom pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zur aktuellen, pro-westlichen Regierung kaum verändert.

Am Freitag bemerkten Mitarbeiter der Sonderabteilung für Wirtschaftsverbrechen der Generalstaatsanwaltschaft, dass sie von einer Wohnung in der Kiewer Symon-Petljura-Straße aus beschattet wurden. Die Staatsanwälte gingen zum Gegenangriff über. In der verdächtigen Wohnung saßen jedoch Angehörige des Antikorruptionsbüros, die ihrerseits zur Verstärkung ein schwer bewaffnetes Sondereinsatzkommando zur Hilfe riefen. Bevor diese Verstärkung eintraf und ein Handgemenge zugunsten der NABU ausging, hatten Staatsanwälte mit Polizeiunterstützung aber schon zwei Korruptionsbekämpfer mitgenommen. Elf Stunden lang hielten sie sie in einem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft fest.

Korruptionsbekämpfer rechtfertigen Aktion

Ein zur Befreiung der NABU-Mitarbeiter geplanter Sturm des Gebäudes durch ein Sondereinsatzkommando des Antikorruptionsbüros habe nur durch direkte Verhandlungen zwischen NABU-Direktor Artem Sytnyk und Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko abgewendet werden können, schrieb am Sonntag das gewöhnlich gut informierte Kiewer Internetmedium censor.net.

Die Korruptionsbekämpfer selbst veröffentlichten Anfang der Woche eine detaillierte Erklärung, in dem sie die Rechtmäßigkeit ihrer verdeckten Ermittlungen betonten. Gleichzeitig erhoben sie gegen Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft die Vorwürfe des Entführung, der Folter, des Raubes und weiterer Delikte. NABU-Direktor Sytnyk gab sich auf einer Pressekonferenz am Montag aber diplomatisch und betonte, dass es keinen Krieg zwischen seiner Behörde und der Generalstaatsanwaltschaft gebe. "Ich will Jurij Luzenko helfen, die Staatsanwaltschaft von Menschen zu säubern, die derartige Handlungen setzen", sagte Sytnyk.

Keine offizielle Stellungnahme der Staatsanwaltschaft

Die Generalstaatsanwaltschaft selbst verzichtete bisher auf eine offizielle Stellungnahme. Behördenleiter Luzenko befand sich in den vergangenen Tagen auf Dienstreise in Israel. Anonyme Sympathisanten der Sonderabteilung für Wirtschaftsverbrechen veröffentlichten jedoch ein Video auf Youtube, in dem Überwachungsvideos gezeigt werden und Korruptionsbekämpfern der illegale Einsatz von körperlicher Gewalt vorgeworfen und sie auch für Verletzungen verantwortlich gemacht werden.

Einer der involvierten Staatsanwälte von der Sonderabteilung für Wirtschaftsverbrechen, Dmytro Sus, erklärte in Fernsehinterviews die Aktionen gegen ihn und seine Abteilung seien aus Rache für eine Hausdurchsuchung vorgenommen worden, die er Anfang August wegen des Verdachts auf einen illegalen Lauschangriff im Antikorruptionsbüro durchgeführt habe. Sus galt zuletzt als berüchtigter Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft, als "Mann fürs Grobe", der sich mit Ermittlungen gegen reformorientierte Bürokraten und NGOs einen Namen machte. In Reaktion auf die "Entführung und Folter" haben seine Gegner für Mittwochvormittag zu einer Demonstration in Kiew aufgerufen, wo sie die Liquidierung von Sus' Sonderabteilung fordern wollen.

"Künstlich generierter Konflikt"

Führende Vertreter des liberalen Reformlagers glauben indes, dass der Behördenkonflikt noch keinesfalls ausgestanden sein dürfte. In den letzten Tagen wurden etwa Korruptionsermittlungen des Geheimdiensts SBU gegen eine NABU-Mitarbeiterin bekannt, die von der SPD-nahen, deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung Trainerhonorare bezog.

"Wenn ich das richtig verstehe, bereiten die Generalstaatsanwaltschaft und der Geheimdienst SBU eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der Antikorruptionsbehörde vor", erklärte am Dienstag der Parlamentsabgeordnete Mustafa Najem via Facebook. Er rechne mit einer Attacke auf die NABU an allen Fronten. Dies sei ein Krieg der abtretenden Eliten für einen auf Diebstahl basierenden Status quo, schrieb Najem, der formal noch der Fraktion von Präsident Petro Poroschenko angehört, de facto jedoch als Oppositioneller agiert.

Kalmierungsversuche

Najems Fraktionskollege Wolodymyr Arjew, eines der wichtigsten Sprachrohre der Präsidentenfraktion, versuchte unterdessen zu beruhigen. Arjew sprach in einem Fernsehauftritt am Dienstag von einem "künstlich generierten Konflikt". Er hoffe, dass der Generalstaatsanwalt und der NABU-Chef den Konflikt beilegen und aufhören, auf jene politischen Provokateure zu hören, die versuchten, sie auf Konfrontationskurs zu bringen, erklärte der Poroschenko-nahe Politiker.

Kommentare