Die Stadt der Vertriebenen
Zwischen seinen Wellblechcontainern hat Abu Rafat ein paar Quadratmeter Estrich betoniert. Besuchern, die barfuß darauf treten, verbrennt es die Fußsohlen. Abu Rafat aber spürt längst nichts mehr.
Der 50-jährige Syrer, der aussieht, als wäre er 70, hat sich gewöhnt an die sengende Wüstensonne, die auf seine Flüchtlingsunterkunft herunterbrennt. An den Sand, der durch alle Ritzen seiner behelfsmäßigen Bleibe kriecht. An die Armut, den Hunger und die quälende Enge, in der er und seine Frau, seine Kinder, deren Ehepartner und Enkelkinder leben müssen. Nur an die Trostlosigkeit ihres endlos scheinenden Ausharrens hier im jordanischen Camp Zaatari, dem größten Flüchtlingslager der arabischen Welt, daran hat sich Abu Rafat auch nach fast drei Jahren noch nicht gewöhnt.
Keine festen Häuser
Das von der UNO verwaltete zweitgrößtes Flüchtlingslager der Welt (nach Camp Dadaab in Kenia) soll ein Provisorium bleiben. Deshalb dürfen keine festen Häuser gebaut werden. Nur für Container und Zelte gibt es Genehmigungen. So will es Jordaniens Regierung, die alle bisher rund 700.000 registrierten syrischen Flüchtlinge nach einem Kriegsende so bald wie möglich wieder außer Landes sehen will.
Und so wollen es auch Zaataris Bewohner. "Viel zu lange sind wir schon hier", brummt Abu Rafat, und "viel zu lange" werde es noch dauern, bis er wieder heim könne, befürchtet der hagere Familienvater. Sein Bruder harrt in Syrien aus. Von ihm weiß er: Abu Rafats Haus ist von Bomben zerstört, in seiner Stadt wird weitergekämpft, in ganz Syrien ist kein Ende des Krieges absehbar. Rückkehr vorerst ausgeschlossen.
Das Allernötigste zum Überleben ist da. Vier Schulen gibt es mittlerweile im Megalager, vier Feldspitäler und eine Einkaufstraße: Die "Champs Élysées", wie sie die Flüchtlinge nennen. Ein kleiner Laden der Geflüchteten reiht sich neben den nächsten. Nichts, was es nicht zu kaufen gäbe. Obst, Teppiche, Schuhe, Kleider, Shisha-Pfeifen, Kühlschränke. Für Tausende Lagerbewohner ist es der einzige Zeitvertreib, die 1,5 Kilometer lange "Champs Élysées" auf und ab zu spazieren.
Tödliche Langeweile
Einkaufen aber können nur die wenigsten. Umgerechnet 24 Euro in Form von Gutscheinen erhält jeder Flüchtling pro Monat von der UNO. Für die meisten Bewohner in Zaatari zu wenig, um jeden Tag satt zu werden.
Arbeiten dürfen die Flüchtlinge außerhalb des Lagers nicht. Tödliche Langeweile, Frust und Aussichtslosigkeit haben sich deshalb schon mehrmals in Aggressionen gegenüber den Helfern entladen.
"Die große Frage ist", sagt UNHCR-Sprecherin Aofie McDonnell in Jordaniens Hauptstadt Amman, "wie hält man die Menschen aufrecht, damit sie nicht total zusammenbrechen?" Das Schlimmste, den Krieg und die oft tagelang Flucht durch die Wüste, hätten sie in Zaatari hinter sich. "Aber dann ist man hier, im Lager, und sieht den nächsten Schritt nach vorne nicht."
Einige Flüchtlinge sehen ihn im Weiterziehen nach Europa. Auf der verzweifelten Suche nach Arbeit, nach einer Perspektive, nach besserem Überleben. "Nur die Stärksten und besser Ausgebildeten gehen", sagt die UN-Sprecherin. "Von der syrischen Landbevölkerung, die hierher nach Jordanien geflohen ist, wagt den Weg nach Europa niemand." Rund 700.000 syrische Flüchtlinge hat Jordanien bisher aufgenommen.
Ein einziger Grenzübergang zwischen Syrien und Jordanien ist derzeit offen. Dort lässt die jordanische Armee nur noch gezählte 45 Syrer pro Tag ins Land. Direkt hinter der Grenze aber warten über 3000 verzweifelte Menschen. Ohne Dach über den Kopf, mitten in der Wüste. Jeden Tag liefert die UNO Wasser und Lebensmittel dorthin, um sie am Leben zu erhalten.
20 Geburten am Tag
Einen Aufnahmestopp hat die UNO mittlerweile auch für Camp Zaatari verhängt, ein zweites riesiges Flüchtlingslager wird gerade errichtet. Dennoch wächst Camp Zaatari unentwegt. Jeden Tag werden hier 20 Babys geboren.
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