Hahn stellt der Türkei die Rute ins Fenster

Interview mit Johannes Hahn am 06.05.2013 in Wien
Der EU-Erweiterungskommissar hält die derzeitige Situation für "nicht nachhaltig" und schlägt "neues Format der Zusammenarbeit" vor.

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn ist für ein "neues Format der Zusammenarbeit" mit der Türkei. Es sei an der Zeit, darüber zu reden, sagte Hahn am Montag vor Journalisten in Brüssel. "Die derzeitige Situation ist nicht nachhaltig, weder für sie (Türkei, Anm.), noch für uns." Hahn will darüber beim Treffen der EU-Außenminister in Malta am Freitag reden.

Als Möglichkeit nannte Hahn ein Upgrade der Zollunion oder eine Änderung der Assoziierungsvereinbarung. Nach dem türkischen Verfassungsreferendum sei es "wirklich an der Zeit für eine Neubewertung der Beziehungen". Hahn sagte, die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei bleibe zwar "eine Option", dafür müssten aber Bedingungen erfüllt sein. Er persönlich bevorzuge, die Türen offen zu halten. Die EU-Außenminister hätten klar ausgedrückt, dass derzeit keine neuen Kapitel mit der Türkei eröffnet werden könnten.

Realismus

Er hoffe, dass nach den Beratungen der EU-Außenminister am Freitag klarer werde, was die nächsten Schritte sein werden, sagte Hahn. Sein Ziel sei es, die Unterstützung der EU-Staaten für "einen realistischen Schritt nach vorne" zu bekommen.

Hahn räumte ein, dass davon auszugehen sei, dass die Zahl der Türkei-Hardliner innerhalb der EU nicht größer geworden sei. Im Dezember hatte Österreich als einziger EU-Staat auf einer Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen bestanden, so wie das auch das Europaparlament gefordert hatte. Derzeit sind 17 der 35 Verhandlungsbereiche blockiert, acht davon wegen der Weigerung Ankaras, das Zollprotokoll mit der EU auch auf Zypern anzuwenden.

"Lasst uns sehen, was die neue Art der Zusammenarbeit sein könnte", sagte der EU-Kommissar. "Ich suche nach einem rationaleren Ansatz in unserer Kooperation mit der Türkei, aber dafür brauchen wir auch die Türkei." Die Zusammenarbeit sollte auf den Interessen beider Seiten aufbauen. "Wenn (der türkische Präsident Recep Tayyip) Erdogan sagt, dass er nicht der Europäischen Union beitreten will, und viele in Europa derselben Ansicht sind, ist das okay. Warum sollten wir Zeit verlieren? Ich erwarte auch von Erdogan eine klare Aussage dazu, und dass er damit nicht spielt." Die EU und die Türkei würden "eine solide Zusammenarbeit" brauchen, die wieder Vertrauen herstelle.

Orientierung

In Malta werde es nur eine Orientierungsdebatte geben, erwartet Hahn. Doch könne das Treffen einen zuverlässigen Indikator geben, wie es weiter gehen sollte. "Nach dem (türkischen) Referendum sollte alles klar sein für eine tiefgehende Überprüfung." In EU-Kommissionskreisen hieß es ergänzend, dass sich die EU-Kommission insbesondere die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien durch die Türkei anschauen könnte.

Hahn verwies auch auf den kritischen Bericht der Venedig-Kommission des Europarates, die "gravierende Bedenken sowohl hinsichtlich des Verfahrens als auch der Inhalte dieser Verfassungsreform" in der Türkei geäußert hatte. Die EU respektiere souveräne Entscheidungen der Türkei. "Und wir müssen darauf reagieren: Wenn das eure Entscheidung ist, könnte es sein, dass sie für uns nicht akzeptabel in Hinblick auf die Achtung der Grundrechte ist."

Standards

Ein EU-Kandidatenland müsse verstehen, dass die EU die höchsten möglichen Standards verlange, sagte Hahn. "Wir können nicht über Grundrechte verhandeln." Diskutieren könne man nur über technische Fragen, nicht aber über Grundsätzliches. So könne die EU die Festnahmen von Journalisten und Wissenschaftern in der Türkei nicht einfach ignorieren.

Der EU-Kommission betonte, die Türkei sollte im eigenen Interesse gute Beziehungen zur EU haben, auch vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Wirtschaftslage in der Türkei. Derzeit komme es dort zu einem Verfall der Immobilienpreise, und Investoren seien immer weniger gewillt, sich finanziell in der Türkei zu engagieren.

Hahn sieht Frankreich-Ergebnis positiv

Das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich begrüßt. Man müsse zwar noch die zweite Runde abwarten. "Aber es ist vielversprechend, dass jemand, der sehr positiv zur Europäischen Union steht, Erster wurde", sagte Hahn.

Nach den Wahlen in den Niederlanden, wo die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) hinter den Erwartungen geblieben war, sei das Ergebnis in Frankreich "ein weiteres positives Signal". Es zeige, dass man auch mit einer klar pro-europäischen Agenda Erster werden könne. "Das sollte eine positive Inspiration für uns sein."

Der europafreundliche Politjungstar Emmanuel Macron hat die erste Runde der Wahlen am Sonntag gewonnen. Er muss nun mit der Zweitplatzierten Rechtspopulistin Marine Le Pen in eine Stichwahl gehen.

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