Jerusalem: Jüdischer Aktivist niedergeschossen

Yehuda Glick: Zustand kritisch
Atmosphäre zum Zerreißen gespannt, Racheakte werden befürchtet. Abbas spricht von "Kriegserklärung".

Ein mutmaßlicher radikaler Palästinenser hat in Jerusalem einen bekannten jüdischen Tempelberg-Aktivisten niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Wie Polizeisprecher Micky Rosenfeld sagte, eröffnete ein unbekannter Motorradfahrer am Mittwochabend das Feuer auf Yehuda Glick. Die Ermittler errichteten in der Stadt Straßensperren und fahndeten nach dem Täter; dieser dürfte am Donnerstag bei einem Schusswechsel mit israelischen Sicherheitskräften getötet worden sein. Die israelischen Behörden wollten den Tempelberg am Donnerstag aus Sicherheitsgründen für Besucher schließen.

Glick setzt sich dafür ein, dass Juden auf dem Tempelberg beten dürfen - einer Stätte, die Juden und Muslimen heilig ist. Gebete sind dort generell jedoch nur Muslimen erlaubt. Sie verehren den Hügel im Südosten der Stadt als Haram el-Sharif (Edles Heiligtum). Der im Jahr 638 unter Kalif Omar begonnene Felsendom mit seiner weithin sichtbaren goldenen Kuppel steht nach islamischer Überlieferung an der Stelle, von der der Prophet Mohammed mit seinem Pferd in den Himmel ritt. Zusammen mit der benachbarten Al-Aksa-Moschee ist er eines der wichtigsten islamischen Heiligtümer.

Nach jüdischer Glaubenslehre standen auf dem Tempelberg zwei später zerstörte jüdische Tempel. Die Klagemauer gehört zu den Resten der ehemaligen westlichen Stützmauer des zweiten Tempels, der in der Zeit des Königs Herodes (73 bis 4 vor Christus) erbaut wurde.

"Rote Linie aus Blut"

Der Vorfall ereignete sich inmitten zunehmender Spannungen in Jerusalem und den Palästinensergebieten. Seit Wochen kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften. Neue Planungen für israelische Siedlungen in Ostjerusalem heizen den Konflikt zusätzlich an - die UNO warnte am Mittwoch vor einer Eskalation.

Nun werden in Jerusalem Ausschreitungen befürchtet. Die Polizei bereitet sich auf mögliche Racheakte radikaler jüdischer Siedler vor. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat rief die Israelis auf, keine Selbstjustiz auszuüben. Der Chef der extrem rechten Siedlerpartei, Wirtschaftsminister Naftali Bennett, sagte, mit den Schüssen im Herzen Jerusalems sei "eine rote Linie aus Blut" überschritten worden. Für Donnerstag haben rechtsorientierte jüdische Aktivisten zu einem Marsch zum Tempelberg-Gelände aufgerufen.

Auch die andere Seite ist nicht zurückhaltend: Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas hat das Verhalten Israels nach einem Attentat auf einen jüdischen Aktivisten als "Kriegserklärung" bezeichnet.

Der Generaldirektor der Jerusalemer Shaare-Zedek-Krankenhauses, Jonathan Halevy, sagte, Glick sei im Hals, der Brust, im Bauch und an der Hand getroffen worden. Den Ärzten sei es gelungen, ihn zu stabilisieren. Sein Zustand sei aber kritisch.

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