Italiens Küstenwache: Bei Anruf Rettung

Viele Rettungseinsätze erfolgen durch die italienische Küstenwache selbst, noch mehr durch andere Schiffe, die von ihr zu den Orten, woher der Hilferuf kommt, geschickt werden.
In einer Kommandozentrale in Rom werden die Einsätze für Flüchtlinge im Mittelmeer koordiniert.

Schauplatz ist die Viale dell’Arte im römischen EUR-Viertel: Im modernen Gebäudekomplex befindet sich das Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC), die Kommandozentrale der Rettungseinsätze im Mittelmeer. Auf Dutzenden Großbildschirmen überwachen Militärs der italienischen Küstenwache das Meeresgewässer zwischen Libyen, Tunesien, Italien und Malta.

Italiens Küstenwache: Bei Anruf Rettung
(FILES) This file photo taken on May 28, 2015 shows officers and staff of the Italian Coast Guard, monitor the movement of shipping traffic in the Mediterranean Sea off the Italian coast, in the control center at the headquarter of Italian Coast Guard, in Rome. It has been a record year for Italy's coast guard, with nearly 180,000 people rescued in the Mediterranean, longer days than ever before and, despite their efforts, thousands of victims. In a small room in a soulless ministry building in the south of Rome red telephones ring and operatives juggle with maps on guiant screens on the walls as they coordinate all rescue operations off Libya. / AFP PHOTO / ANDREAS SOLARO
Während es in dem Großraumbüro zwischen Computern, Telefonen und Funkgeräten konzentriert und nüchtern zugeht, ist die Lage knapp tausend Kilometer südlich hektisch und emotionsgeladen. Auf dem offenen Mittelmeer spielen sich in den Sommermonaten täglich Tragödien unvorstellbaren Ausmaßes ab. Videoaufnahmen der Guardia Costiera zeigen die dramatischen Rettungseinsätze. Boote kämpfen sich durch hohe Wellen. Frauen, Männer und viele Kinder strecken in Todesangst ihre Arme den Helfern entgegen. Menschen, die am Ende ihrer Kräfte im Meer treiben, und im letzten Moment in eines der Rettungsboote gezogen werden.

Telefonnummer an Bord

Kriminelle Organisationen greifen zu immer brutaleren Methoden. Mit einer Telefonnummer in der Hand werden Flüchtlinge in seeuntaugliche Schlauchboote aus chinesischer Billigproduktion gepfercht. Die Notrufnummer über ein Satellitentelefon führt direkt zur Einsatzzentrale in Rom. "Sie wissen, dass wir die Pflicht haben, zu helfen", erklärt Filippo Marini, Sprecher des italienischen Generalkommandos. "Ohne uns würde niemand eingreifen." Im römischen Büro herrscht 24 Stunden Einsatzbereitschaft an 365 Tagen pro Jahr.

Im Jahr 2016 konnten dank MRCC mehr als 180.000 Menschen vor dem Ertrinkungstod gerettet werden. In diesem Jahr dürfte der Rekord neuerlich gebrochen werden. Aber auch Hunderte verdächtige Schlepper konnten zugleich festgenommen werden.

Italiens Küstenwache: Bei Anruf Rettung
Grafik
Comandante Marini und seine Leute sind an diesem ersten Sommerwochenende bei einer Mission im Dauereinsatz. "Diese Nussschalen schaffen maximal 20 Seemeilen, bevor sie kentern. Die Entfernung zwischen der libyschen Küste und der Insel Lampedusa beträgt jedoch 170 Seemeilen", zeichnet Marini auf einer Landkarte auf dem Großbildschirm das weitläufige Gebiet nach. Bei jedem Notruf herrscht Alarmstufe Rot, rasches Handeln ist ein Muss. Die Rettungszentrale in Rom informiert dann umgehend Helikopter und Flugzeuge der Küstenwache und funkt Schiffe an, die sich in der Nähe befinden.

Italien muss die Herkulesaufgabe alleine stemmen. Malta zeigt sich wenig kooperativ, die Häfen der Insel für Rettungsschiffe zu öffnen. Libyen und Tunesien fühlten sich ohnehin nie für die Seenotrettung zuständig. Laut Augenzeugenberichten von Hilfsorganisationen gefährdet die libysche Küstenwache sogar Menschenleben. "Bewaffnete Mitarbeiter der libyschen Küstenwache betraten eines der Gummiboote und nahmen den Leuten Telefone und Geld weg", berichtet eine Sprecherin von "Ärzte ohne Grenzen" von einem jüngsten Vorfall. Das aggressive Auftreten verursachte eine Massenpanik, bei der 60 Menschen über Bord gingen. Umso verstörender ist dieser Angriff vor dem Hintergrund, dass die libysche Küstenwache von der Europäischen Union ausgebildet und unterstützt wird.

Falle Libyen

EU-Länder verhandeln über Abschiebungen nach Libyen. Italienische Zeitungen schreiben fast täglich über Folter und schwere Menschenrechtsverletzungen in libyschen Lagern. "Libyen ist eine höllische Falle, ich war sicher, dort nicht zu überleben", berichtet ein Folteropfer, ein junger Mann aus Gambia. "Libyen ist schrecklich und gefährlich, jeden Tag wird dort gemordet. Wir wurden ins Gefängnis gesteckt, mein Mann ist noch immer eingesperrt", berichtet die 23-jährige Destiny aus Nigeria, die bei der Überfahrt nach Italien von einem Moas-Schiff gerettet wurde.

Libyen hat nie eine Search and Rescue Area (SAR), jenen Such- und Rettungsbereich, für den ein Land verantwortlich ist, respektiert. "Daher bleibt, wo Italiens Verantwortung aufhört, ein riesiges schwarzes Loch", erklärt der Admiral der italienischen Küstenwache, Vincenzo Melone, gegenüber der Tageszeitung La Repubblica.

Pflicht zu helfen

"Also wer muss eingreifen?", fragt Melone und gibt gleich die Antwort: "Wer von in Seenot geratenen Menschen erfährt, hat laut internationalem Seerecht die Pflicht, zu helfen und die Leute in den nächsten sicheren Hafen zu bringen."

Aufgrund des riesigen Einsatzgebietes ist die italienische Marine auf Unterstützung angewiesen. "Handelsschiffe, die sich in der Nähe befinden, werden ebenfalls mit der Rettung von Menschenleben beauftragt, ebenso wie Schiffe von NGOs wie SOS Méditerranée, Ärzte ohne Grenzen, Sea Watch", so Marini. Und das jeden Tag.

Videos der Guardia costiera

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