Ermittlungen gegen Polizisten nach tödlichen Schüssen

Beide Mädchen starben durch Polizeikugeln.
Nach einer Scheren-Attacke erschoss ein Polizist zwei junge Schülerinnen.

Tödliche Schüsse auf eine am Boden liegende 16-jährige Palästinenserin: Erste Ermittlungen gegen einen Polizeibeamten haben in Israel die Diskussion um die Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei der Abwehr von Messerattacken neu entfacht.

Geklärt werden soll, warum der Polizist nach einer Scheren-Attacke auf eine bereits angeschossene und reglos am Boden liegende palästinensische Teenagerin feuerte. Von Seiten israelischer Bürgerrechtler und aus dem Ausland wird zunehmend Kritik am Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte laut.

Auf Empfehlung der Generalstaatsanwaltschaft leitete das israelische Justizministerium Ermittlungen gegen den Beamten ein, der Ende November im Zentrum von Jerusalem auf zwei mit Scheren bewaffnete palästinensische Mädchen geschossen hatte. Der Mann wurde am Sonntag vernommen. Seit Anfang Oktober in Israel und den besetzten Palästinensergebieten eine Serie von Angriffen auf Israelis begann, ist dies das erste Mal, dass gegen einen Angehörigen der Sicherheitskräfte ermittelt wird.

Die beiden 14 und 16 Jahre alten Cousinen aus dem Ostteil Jerusalems hatten am 23. November im Westteil der Stadt nahe des jüdischen Zentralmarkts mit Scheren um sich gestochen. Die Schülerinnen wollten den Bruder von einer der beiden "rächen", der 2013 bei gewaltsamen Protesten einen tödlichen Kopfschuss erlitt. Ein Kampfmittelräumer der Polizei sah die Scheren-Attacke, sprang aus seinem Auto und schoss auf die beiden Angreiferinnen, die einen 70-jährigen Mann leicht verletzten.

Die 14-jährige war sofort tot, ihre 16-jährige Cousine lag verletzt am Boden. Wie Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, ging der Beamte zurück zu ihr und schoss erneut auf sie. Diese Handlungsweise löste die aktuellen Ermittlungen aus.

Klare Einsatzregeln für Polizei

Israels Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein hatte Ende Oktober vor dem Hintergrund mehrerer fragwürdiger Vorfälle klargestellt, dass die Einsatzregeln klar vorschreiben, "dass keine Schüsse mehr abgegeben werden dürfen, wenn die Gefahr für Leib und Leben abgewendet ist". Wer auf einen bereits kampfunfähigen Attentäter schieße, "verstößt gegen das Gesetz".

Israelische Bürgerrechtler kritisieren, dass dieser Grundsatz in den vergangenen zehn Wochen mehrfach missachtet worden sei. Bei Dutzenden Angriffen mit Messern sowie - in Einzelfällen - Schusswaffen und Autos sind in dieser Zeit bereits 17 Israelis und ein US-Bürger getötet worden. Die meisten Angreifer wurden auf der Stelle erschossen. Auch ein eritreischer Flüchtling, der fälschlich für einen Attentäter gehalten wurde, wurde von Wachleuten und einem aufgebrachten Mob getötet.

Die Menschenrechtsgruppe B'Tselem nahm den Vorfall zum Anlass, einen offenen Brief an Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zu schreiben, in dem sie auf das Risiko "außergerichtlicher Hinrichtungen" hinwies. Dabei wurden vier Fälle in Jerusalem und einer im Westjordanland genannt, bei denen auf mutmaßliche Attentäter noch geschossen wurde, als diese bereits bewegungslos am Boden lagen.

B'Tselem kritisierte, dass Äußerungen von israelischen Regierungsmitgliedern ein Klima erzeugt hätten, in dem "Polizeibeamte und sogar bewaffnete Zivilisten zu Richtern und Henkern werden". So habe der Minister für Innere Sicherheit Gilad Erdan verkündet: "Jeder Terrorist sollte wissen, dass er die Attacke, die er begehen will, nicht überleben wird."

Auch Kritik vom UN-Menschenrechtsrat

Auch im Ausland erzeugte die hohe Todesrate unter den erwiesenen oder mutmaßlichen Messerstechern Zweifel am rechtsstaatlichen Vorgehen. Zwei Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats berichteten Mitte November: "Fälle übermäßigen Gewalteinsatzes durch israelische Sicherheitskräfte gegen Palästinenser, von denen einige wie standrechtliche Hinrichtungen aussehen, werden weiterhin bekannt und manche wurden auf Video festgehalten."

Auch Schwedens Außenministerin Margot Wallström verurteilte vergangene Woche in einer Fragestunde des Parlaments die anhaltenden Messerattentate auf Israelis, warnte aber zugleich, die Antwort darauf dürfe nicht "unverhältnismäßig" sein und berge das Risiko von "außergerichtlichen Hinrichtungen". Das israelische Außenministerium verurteilte diese Äußerung als "skandalös, erschreckend unverschämt und realitätsfremd".

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