Kerry überraschend in Bagdad eingetroffen

US-Außenminister John Kerry
Resultat: Regierungschef Nuri al-Maliki hat beträftigt, seine Regierung bis zum 1. Juli umzubilden.

US-Außenminister John Kerry ist am Vormittag überraschend zu einem Besuch in der irakischen Hauptstadt Bagdad eingetroffen. Nach gemeinsamen Gespräch hat der schiitische Regierungschef Nuri al-Maliki nun seine Absicht, bis zum 1. Juli seine Regierung umzubilden, bekräftigt. Das gab Kerry nach den Beratungen am Montag bekannt und hielt fest, dass Washington auf eine Regierung, die die Interessen aller Iraker vertrete, poche. Kerry betonte weiter, dass die Unterstützung der USA für den Irak und seine Sicherheitskräfte "intensiv und nachhaltig" sein werde, um den Vormarsch der jihadistischen Gruppe Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (ISIS) zu stoppen.

Al-Maliki steht seit langem in der Kritik, weil seine von Schiiten dominierte Regierung die Sunniten im Irak diskriminiert. Nach dem Vormarsch der sunnitischen Islamistenmiliz ISIS im Norden und Westen des Landes steigt im In-und Ausland der Druck auf den schiitischen Ministerpräsidenten, sein Amt aufzugeben.

Kerry hatte vor seiner Ankunft in Bagdad Ägypten und Jordanien besucht. In Kairo verwies er auf die Unzufriedenheit der Sunniten, Kurden und auch einiger Schiiten mit der Regierung Al-Malikis. Zur Lösung der Krise müssten konfessionelle Interessen in den Hintergrund rücken, mahnte Kerry. Die USA hatten angekündigt, das irakische Militär im Kampf gegen die Terrormiliz zu unterstützen. Washington setzt dabei unter anderem auf einen möglichst kurzen Einsatz von rund 300 Soldaten, die als Militärberater in den Irak geschickt werden sollen.

Treffen in Brüssel

Nach Angaben des State Departments reist der US-Außenminister anschließend nach Europa weiter, wo er unter anderem in Brüssel am Treffen der NATO-Außenminister am Dienstagabend und Mittwoch teilnimmt.

Die Außenminister der 28 EU-Staaten wollen am Montag in Luxemburg die Gewalt der Islamisten verurteilen und eine Regierung fordern, in der Sunniten und Schiiten gleichermaßen vertreten sind.

Glaubenskrieg

Die ISIS-Miliz hat am Wochenende mehrere Orte im Westirak eingenommen und ihre Machtposition dort ausgebaut. Das benachbarte Jordanien mobilisiert nach dem Vorrücken der Kämpfer der sunnitischen Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) die Streitkräfte an seiner Grenze. Das Königreich hat Dutzende Verbände entlang der Grenze aufgeboten, verlautete aus Militärkreisen in Amman. Berichten zufolge sollen ISIS-Kämpfer die Stadt Rutba auf der Straße von Bagdad nach Amman und einen strategisch wichtigen Grenzübergang nach Jordanien eingenommen haben.

Die Feindschaft zwischen den muslimischen Glaubensrichtungen der Sunniten und Schiiten hat im Irak eine lange Tradition. Ex-Diktator Saddam Hussein, ein Sunnit, hatte die schiitische Mehrheit im Land diskriminiert. Nach seinem Sturz 2003 verloren die sunnitischen Stämme Macht und Einfluss. Nach dem US-Abzug 2011 entbrannte der Machtkampf aufs Neue. Die von Schiiten dominierte Maliki-Regierung hält Sunniten seit Jahren von wichtigen politischen Posten fern. Sunnitische Terrorgruppen wie ISIS kämpfen gegen Schiiten, die sie als "Abweichler" von der wahren Lehre des Islam ansehen.

Bilder: Machtdemonstration der Schiiten

Kerry überraschend in Bagdad eingetroffen

Mehdi Army fighters loyal to Shi'ite cleric Moqtad
Kerry überraschend in Bagdad eingetroffen

Mehdi Army fighters loyal to Shi'ite cleric Moqtad
Kerry überraschend in Bagdad eingetroffen

Mehdi Army fighters loyal to Shi'ite cleric Moqtad
Kerry überraschend in Bagdad eingetroffen

Mehdi Army fighters loyal to Shi'ite cleric Moqtad
Kerry überraschend in Bagdad eingetroffen

IRAQ UNREST MILITIA
Kerry überraschend in Bagdad eingetroffen

Mehdi Army fighters loyal to Shi'ite cleric Moqtad
Kerry überraschend in Bagdad eingetroffen

Mehdi Army fighters loyal to Shi'ite cleric Moqtad

Die ISIS-Kämpfer verbreiten Angst und Schrecken in der Region. Hunderttausende sind vor ihnen auf der Flucht. Von der syrischen Provinz Rakka aus waren die Kämpfer vor einigen Monaten ins westirakische Anbar gekommen. In der Stadt Falluja setzten sie sich im Jänner fest, eroberten Waffendepots der irakischen Armee und hielten Angriffen der Regierungstruppen stand. Vor eineinhalb Wochen nahmen sie die Millionenstadt Mossul ein und zogen dann rasch weiter in Richtung Bagdad. Inzwischen haben die Islamisten große Landstriche im Norden und Westen des Iraks unter ihrer Kontrolle.

Mittlerweile nutzen die Islamisten laut Beobachtern im Irak erobertes US-Militärmaterial im Kampf gegen die syrische Armee. ISIS-Kämpfer hätten am Sonntag bei der Eroberung zweiter Dörfer in der Provinz Aleppo erstmals gepanzerte Humvee-Geländefahrzeuge eingesetzt, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Es bedurfte nur einer kurzen Anweisung von ihm, und schon gingen am Wochenende Zehntausende auf die Straße. Mit Waffen in der Hand demonstrierten die Schiiten ihre Loyalität zu ihrem Prediger und Chefideologen Muktada al Sadr – aber auch ihre Bereitschaft, in den Krieg zu ziehen. Der Vormarsch der islamistischen Terror-Armee ISIS in weiten Teilen des Irak hat die Schiiten des Landes alarmiert. Zwar wird der Irak mit Premierminister Nuri al-Maliki von einem Schiiten regiert, doch dem scheint jegliche politische Autorität gerade verloren zu gehen, auch über die Armee, die die ISIS vor sich hertreibt. Wieder sind am Wochenende mehrere Orte an der Grenze zu Syrien in ihre Hände gefallen. Auch an der Grenze zu Jordanien haben die Terroristen Stellung bezogen. Das Königreich hat sein Militär an der Grenze mobilisiert.

Soldaten laufen über

Wie in Syrien werden nun auch im Irak die Frontlinien zunehmend von einem Glaubenskrieg gezogen. Die ISIS, die eine radikale Strömung des sunnitischen Islam vertritt, kann so weite Teile der Bevölkerung, aber auch der Armee in den sunnitisch dominierten Teilen des Landes hinter sich vereinen. Hinrichtungen von Zivilisten – am Sonntag wurden erneut 21 gemeldet – verbreiten zusätzlich Angst und Schrecken.Für die Schiiten eine offene Bedrohung, vor der sie die Regierung nicht schützt. Viele wenden sich daher lieber an Muktada al Sadr. Der inzwischen 40-jährige Sprössling einer uralten schiitischen Predigerdynastie hat mit seiner 100.000 Mann starken "Mehdi-Armee" schon gegen die US-Besatzer einen Guerillakrieg geführt. Danach forderte er seinen Widersacher, Premier Maliki, offen heraus. In einem Jahre andauernden Kleinkrieg setzte sich schließlich Maliki durch. Jetzt aber erkennt der Prediger seine Chance, die alte Machtposition wieder einzunehmen. Maliki, den er als den "neuen Saddam Hussein" beschimpft, ist durch den Vormarsch der ISIS und durch den Abzug der USA geschwächt. Die Schiiten, unter Saddam Hussein über Jahrzehnte unterdrückt, fühlen sich von ihm nicht mehr vertreten. Sie wollen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Der Aufforderung des Predigers, den Glaubenskrieg gegen die ISIS und damit gegen die Sunniten wieder aufzunehmen, folgen Zehntausende. Die Radikalisierung auf beiden Seiten lässt bei vielen Irakern die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg umgehen. Vor allem die gemäßigten Sunniten in Bagdad fühlen sich in Anbetracht der paradierenden Schiiten-Milizen hilflos: "Ich hoffe, die Iraker haben dazugelernt", vertraut einer der New York Times seine Sorgen an: "Damit sie nicht den selben Fehler machen wie nach Saddams Sturz."

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