Dschihadisten in Kobane vorerst gestoppt

IS soll aber weiter etwa 40 Prozent der Stadt kontrollieren. UNO-Generalsekretär Ban befürchtet ein Massaker.

Der Vorstoß der Dschihadisten in der nordsyrischen Grenzstadt Kobane ist von den kurdischen Verteidigern offenbar vorerst gestoppt worden. Der "Islamische Staat" (IS) kontrolliere weiter etwa 40 Prozent der Kurdenhochburg, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Sonntag mit. Im Irak verübte ein Deutscher nach IS-Angaben einen von drei Selbstmordanschlägen mit mindestens 25 Toten.

Der IS sei in Kobane seit der Eroberung des Hauptquartiers der kurdischen Milizen am Freitag nicht weiter vorgerückt, sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman. Um die Schlacht für sich zu entscheiden, habe der IS Kämpfer aus den Provinzen Raqqa und Aleppo abgezogen und nach Kobane beordert. Allein am Samstag wurden demnach mindestens 36 IS-Kämpfer getötet.

Luftangriffe auf IS-Stellungen

Die auf Arabisch Ayn al-Arab genannte Stadt wird seit fast einem Monat von den IS-Extremisten belagert. Seit einer Woche liefern sich Dschihadisten und kurdische Einheiten erbitterte Straßenkämpfe. Unterstützt werden die Kurden durch eine von den USA angeführte Militärallianz, die auch Wochenende neue Luftangriffe auf IS-Stellungen flog.

Am Montag und Dienstag wollen die Militärchefs von mehr als 20 Staaten der Allianz in Washington über den weiteren Kampf gegen den IS beraten.

Frau führt kurdische Kämpfer an

Wie am Sonntag bekannt wurde, werden die kurdischen Verteidiger der Stadt von einer 40-jährigen Frau angeführt. "Maissa Abdo, die unter dem Kampfnamen Narin Afrin bekannt ist, kommandiert die YPG in Kobane zusammen mit Mahmud Barkhodan", sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, am Sonntag.

Ban befürchtet Massaker

Nach UNO-Schätzungen befinden sich noch immer etwa 12.000 Zivilisten in und um Kobane. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon warnte am Sonntag vor einem Massaker, sollte Kobane fallen. In der Stadt seien "tausende Leben in Gefahr", sagte er in Kairo. Bisher flohen etwa 180.000 Syrer in die Türkei. Die Europäische Union bewilligte Hilfsgelder im Umfang von 3,9 Millionen Euro für die Flüchtlinge.

Der UNO-Syrien-Beauftragte Staffan De Mistura forderte Ankara auf, die Kurden in Kobane mit "allen Mitteln" zu unterstützen, zumindest aber freiwillige türkische Kurdenkämpfer samt Waffen die Grenzen passieren zu lassen. Ankara bremst bisher die Ausreise türkischer Kurdenkämpfer. Außenminister Mevlüt Cavusoglu bezeichnete Forderungen nach einem Hilfskorridor nach Kobane am Sonntag als "unrealistisch". "Jede Mücke einzeln zu töten, ist nicht die richtige Strategie. Wir müssen die Wurzeln rausreißen, die der Grund für diese Situation sind ... und das ist ganz klar das Assad-Regime in Syrien", sagte Cavusoglu.

Kurdenproteste in der Türkei

Bei Kurdenprotesten wurden in der Türkei in den vergangenen Tagen mehr als 30 Menschen getötet. Ankara ließ zwar vom Parlament grundsätzlich einen Militäreinsatz in Syrien billigen, lehnt es aber bisher ab, im Alleingang Bodentruppen zu entsenden. Der inhaftierte Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, stellte inzwischen den laufenden Friedensprozess infrage, sollte Kobane fallen. Die Kurden werfen Ankara vor, insgeheim die IS-Kämpfer zu unterstützen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte am Sonntag schärfere Sicherheitsgesetze in Aussicht, "um die Straßen rasch von diesen Vandalen zu säubern".

IS im Irak

Im Irak, wo der IS große Gebiete im Landesnorden kontrolliert, wurden bei Anschlägen mindestens 33 Menschen getötet. Laut der Armee starben allein mindestens 25 Menschen durch drei Autobomben in der Provinz Diyala an der Grenze zum Iran. Die meisten Opfer waren demnach Veteranen der gegen den IS kämpfenden kurdischen Peshmerga-Miliz.

Einen der drei Selbstmordanschläge in Diyala verübte nach IS-Angaben ein Extremist aus Deutschland. Die Anschläge in der Ortschaft Kara Tapah seien von den Männern mit den Kampfnamen Abu Sara al-Almani aus Deutschland, Abu Mohammed al-Jasrawi aus Saudi-Arabien und Abu Turab al-Turki aus der Türkei begangen worden, hieß es im Netzwerk Twitter. Insgesamt starben am Wochenende mehr als 70 Menschen bei Anschlägen im Irak.

IS ruft zu Terroranschlägen auf

Nach Angaben der Tageszeitung "Die Welt" (Onlineausgabe) rief die Extremistenmiliz unterdessen Muslime weltweit dazu auf, Terroranschläge und Morde an Ungläubigen zu begehen. Die Islamisten haben in einem jetzt veröffentlichten Internetmagazin mehrere Länder als feindliche Staaten definiert, in denen Attentate verübt werden sollen, konkret die USA, Großbritannien, Frankreich, Australien und Deutschland. Die Bürger dieser "Kreuzfahrer-Nationen" sollen überall angegriffen werden, wo man auf sie treffe.

US-Regierung vorsichtig optimistisch

Im Kampf gegen die Terrormiliz in Kobane zeigt sich die US-Regierung erstmals vorsichtig optimistisch. "Tatsächlich gibt es da einige Fortschritte", sagte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am Samstag (Ortszeit) in der chilenischen Hauptstadt Santiago. Der Kampf zur Zerstörung der Terrormiliz werde aber lang und schwer sein und die Lage sei weiterhin "gefährlich", fügte er hinzu. Die USA würden weiterhin "alles tun, was mit Luftangriffen möglich ist", um die Jihadisten aus der Grenzstadt zur Türkei zurückzudrängen.

Großbritannien schickte Sondereinheit

Die britische Armee hat inzwischen eine Sondereinheit von Soldaten auf irakischem Boden. Es handle sich um "ein kleines Team von Spezialisten", teilte das Verteidigungsministerium in London mit. Sie arbeiteten nahe der Front zwischen kurdischen Truppen und Kämpfern der IS-Terrormiliz. Damit bestätigte das Ministerium seit längerem kursierende Spekulationen. Aufgabe der Soldaten sei es, kurdische Peschmerga-Kämpfer im Umgang mit schweren Maschinengewehren zu trainieren. An Kampfhandlungen nähmen die Briten nicht teil.

Dschihadisten in Kobane vorerst gestoppt
A Syrian Kurdish refugee woman with her daughter waits for transportation after crossing into Turkey from the Syrian border town Kobani, near the southeastern Turkish town of Suruc in Sanliurfa province October 2, 2014. More than 150,000 refugees have fled Kobani over the past two weeks alone, with a steady exodus continuing. Officials from Turkey's AFAD disaster management agency said some 4,000 crossed on Wednesday, and a similar figure the day before. REUTERS/Murad Sezer (TURKEY - Tags: POLITICS SOCIETY IMMIGRATION CIVIL UNREST CONFLICT TPX IMAGES OF THE DAY)

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