Irak startete Offensive zur Rückeroberung von Tal Afar vom IS

Militärisches Gerät wird aktuell nach Tal Afar verlagert.
Dschihadisten kommen militärisch zunehmend unter Druck.

In seinen Hochburgen gerät die Terrormiliz IS immer stärker militärisch unter Druck. Die irakische Armee startete am Sonntag eine Offensive gegen die Jihadistenmiliz zur Rückeroberung der Stadt Tal Afar. Die IS-Kämpfer hätten nun "keine andere Wahl, als sich zu ergeben oder getötet zu werden", sagte der irakische Regierungschef Haider al-Abadi.

Tal Afar ist die letzte IS-Hochburg in der Umgebung der Großstadt Mossul. Al-Abadi wandte sich in einer Fernsehansprache in einer schwarzen Militäruniform an die Iraker und gab sich siegesgewiss. "Wir haben alle unsere Schlachten gewonnen, und die (Kämpfer des) IS haben immer verloren", sagte der Ministerpräsident. Der irakischen Armee versicherte er, "die ganze Welt ist mit uns".

Unterstützung durch Anti-IS-Koalition

An der Offensive im Norden des Landes beteiligen sich außer der irakischen Armee und Polizei auch die Anti-Terror-Einheiten Al-Hashd Al-Sha'abi. Den paramilitärischen Verbund dominieren vom Iran unterstützte schiitische Milizen. Unterstützt werden die Truppen durch Luftangriffe der internationalen Anti-IS-Koalition unter Führung der US-Armee.

"Der Sieg naht", erklärte der Sprecher der Al-Hashd Al-Sha'abi zu der Offensive in Tal Afar. Die Stadt sei "mehrere Jahre lang durch die Beutezüge der Barbaren in Geiselhaft genommen und erniedrigt" worden.

Letzte IS-Hochburg bei Mossul

Tal Afar ist die letzte IS-Hochburg in der Umgebung der Großstadt Mossul, welche die Armee Anfang Juli nach monatelangen Kämpfen zurückerobert hatte. Die Kämpfer der Al-Hashd Al-Sha'abi hatten Tal Afar in den vergangenen Monaten von mehreren Seiten eingekreist und sie sowohl von Mossul als auch vom Nachbarland Syrien abgeschnitten.

In unmittelbarer Vorbereitung auf die Offensive hatte die irakische Luftwaffe diese Woche Kommandozentren, Waffenlager und Truppenansammlungen der IS-Miliz in der nordirakischen Stadt bombardiert. Dort werden noch etwa tausend IS-Kämpfer vermutet.

Tal Afar liegt rund 70 Kilometer westlich von Mossul in der Provinz Ninive. In der ansonsten weitgehend sunnitischen Region ist die Stadt eine schiitische Enklave, die vornehmlich von Mitgliedern der turkmenischen Minderheit bewohnt wird. Seit Juni 2014 wird Tal Afar vom IS beherrscht.

Vor ihrer Eroberung durch die Jihadisten hatten in der Stadt 200.000 Menschen gelebt. Wie viele Zivilisten sich jetzt noch dort aufhalten, ist unklar. Die zumeist geflohenen örtlichen Behördenvertreter gehen davon aus, dass der IS die Menschen in Tal Afar als Schutzschilde missbraucht.

Neben Tal Afar kontrollieren die IS-Kämpfer noch die Stadt Hawiya in der Provinz Kirkuk sowie Teile der Provinz Anbar. In Syrien haben die Dschihadisten schon etwa die Hälfte ihrer Hochburg Raqqa verloren.

Irak startete Offensive zur Rückeroberung von Tal Afar vom IS
Lebanese soldiers fire artilleries in Ras Baalbek, Lebanon August 17, 2017. REUTERS/ Hassan Abdallah

Offensive im Libanon

Am Samstag startete die libanesische Armee eine Offensive gegen IS-Kämpfer im an Syrien grenzenden Osten des Landes, wo sich etwa 600 Jihadisten in den grenznahen Bergregionen verschanzen. Die Offensive geschehe im "Namen des Libanon, im Namen der entführten libanesischen Soldaten, im Namen der Märtyrer der Armee", erklärte der libanesische Armeechef Josph Aoun. Ein Armeesprecher sagte, es handle sich um "eine der schwierigsten Schlachten der libanesischen Armee".

Experten warnen, dass der IS wegen seiner militärischen Niederlagen zunehmend auf Anschläge in westlichen Ländern setzen könnte. Zuletzt hatte sich der IS zu den Anschlägen in Spanien mit insgesamt 14 Toten und mehr als 120 Verletzten bekannt.

Mossul gefallen, Tal Afar belagert, Al Rakka vor der Einnahme durch kurdische Verbände, Berichte über eine bevorstehende Generalmobilmachung und panische Verhaftungswellen – der IS steht in den von ihm kontrollierten Gebieten schwer unter Druck. Das gilt sowohl für den Irak als auch für Syrien. Sogar im letzten Rückzugsgebiet, einer Grenzregion im Libanon, rückt die dortige Armee gegen die Verbände der Terrormiliz vor.

Terror geht weiter

Als territoriale Macht in der Region steht der IS unweigerlich vor dem Ende – dieser Eindruck drängt sich gerade dieser Tage auf, da die Verteidigung des IS nach Westen unter dem Druck der vorrückenden syrischen Amee dahinschmilzt. Denn faktisch kontrolliert der IS nur mehr ein Gebiet entlang des Euphrat in Syrien, die Stadt Tal Afar im Irak sowie einige Wüstengebiete in Syrien sowie im Westirak und eine kleine Zone westlich der irakischen Stadt Kirkuk. Damit steht das ursprüngliche Projekt der Gruppe, einen Staat im engeren Sinne des Wortes mit eigener Währung und eigenen Institutionen aufzubauen, vor dem Ende. Dass der Terror der Gruppe damit vorüber ist, das scheint aber wenig plausibel. Von der Landkarte des Nahen Osten weggewischt bliebe der IS, was er ist: Eine Terrorgruppe. Dann nur eben eine, wie es so viele andere auch gibt – eine im Untergrund. Vor allem aber eine mit Strahlkraft über die Region hinaus. Da ist zum einen die Kompetenz der Gruppe, diverse Todesfanatiker für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Da ist aber auch die Gefahr von Heimkehrern, die mit dem IS Kampferfahrung gesammelt haben.

Angst vor Repressalien

Und dann ist da noch ein weiterer Faktor: Im schiitisch dominierten Irak ist der künftige Status der sunnitisch-arabischen Bevölkerung sowie der Gebiete, die vom IS kontrolliert wurden, keinesfalls geklärt. In Syrien wiederum liegt viel daran, wie die syrischen Sicherheitsdienste, ehemalige IS-Gebiete behandeln werden. Denn je weiter Armee sowie auch syrische Milizen nach Süden und Osten vordringen, desto weniger werden sie als Befreier gefeiert. Das liegt weniger an Sympathie für den IS als an Furcht vor Repressalien.

Vorerst sieht es so aus, als würde im Irak wie auch in Syrien eine Rückkehr zur Lage vor dem Krieg angestrebt: Also eine Festigung des alten syrischen Regimes während der Irak immer mehr zu einer iranischen und damit schiitischen Kolonie wird, in der die Sunniten aus dem politischen Leben verbannt bleiben. Und genau dieser Umstand hatte ja erst den Weg für den Aufstieg des IS geebnet.


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