"Es kreist alles nur um Berlusconi"

Aktivist Gianfranco Mascia fordert, dass die Regierung endlich die Probleme Italiens angeht.

Die Regierungskrise in Rom ist auf Herbst vertragt. Die Parlamentskommission wird erst nach der Sommerpause über den Senatssitz von Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi entscheiden. Die Mitte-rechts-Partei setzt Premier Enrico Letta mit täglich neuen Forderungen zum Erhalt der Regierungskoalition unter Druck.

Bürgerbewegungen wie „Sentinelle della democrazia“ (Wachposten der Demokratie) steigen auf die Barrikaden, appellieren an den Rechtsstaat und fordern Berlusconis Verbannung aus der Politik. Das Politmagazin MicroMega hat bereits 250.000 Unterschriften für Berlusconis Parlamentsausschluss gesammelt. An vorderster Front dabei: Gianfranco Mascia, Autor und Blogger. Er kämpft seit 20 Jahren gegen den Cavaliere. Im KURIER-Interview nimmt der 52-jährige Aktivist zur aktuellen Lage Stellung.

KURIER: Sie haben auf die Entscheidung des Kassationsgerichts, das das vierjährige Hafturteil gegen Berlusconi wegen Steuerbetrugs bestätigte, mit Prosecco angestoßen. Wie erleben Sie die Polemiken nach dem Urteil?

Gianfranco Macia: Die politische Agenda wird ausschließlich von Berlusconis persönlichen Justiz-Problemen diktiert. Ich protestiere seit Langem gegen diese italienische Anomalie mit Interessenkonflikten und maßgeschneiderten Justiz-Gesetzen. Mein Nachbar, der ein Bekleidungsgeschäft in Rom hat, kritisiert ebenfalls, dass sich kein Politiker um die wahren Probleme des Landes, um Arbeiter und Kleinunternehmer kümmert. Es kreist alles nur um Berlusconi.

Wie wird es mit Berlusconi weitergehen? Wird er Hausarrest antreten, Sozialarbeit leisten oder doch ins Gefängnis gehen?

Es laufen noch weitere Prozesse gegen ihn. Er wird wie immer das Opfer spielen. Ich traue Berlusconi überhaupt nicht. Er wird weiterhin tun, was er will. Wie am Sonntag, als er trotz fehlender Genehmigung eine Kundgebung vor dem Palazzo Grazioli abhielt. Ich hoffe, sie verhaften ihn.

Berlusconis Partei übt starken Druck auf Staatspräsident Giorgio Napolitano (88) aus. Könnte er tatsächlich einer Begnadigung zustimmen?

Ich vertraue in dem Fall auf den Einfluss von Napolitanos Ehefrau Clio. Sie hat mit Scheidung gedroht, falls er ihn begnadigt.

Kassationsrichter Antonio Esposito gerät nach einem Interview in Schwierigkeiten, in dem er behauptete, Berlusconi sei über den Steuerbetrug in seinem Unternehmen informiert gewesen. Der Oberste Richterrat hat wegen einiger Behauptungen eine Untersuchung gegen Esposito in die Wege geleitet.

Der Aufschrei ist total übertrieben. Das ist ein von PR-Abteilungen der Parteien gesteuertes Ablenkungsmanöver. So müssen sie nicht die echten Probleme in Angriff nehmen.

Wie wird es weitergehen? Steht ein heißer Herbst bevor?

Ich fürchte, dass Premier Letta Verrenkungen macht, um an der Macht zu bleiben. Genau wie die technische Regierung unter Monti, die keine Probleme löste und ebenfalls ein Finanzloch hinterließ. Ich hoffe, die Demokratische Partei (PD) von Letta respektiert die Verfassung und nimmt keine Änderung vor.

Ihr Wunsch-Szenario?

Die Regierung müsste das umstrittene Wahlgesetz außer Kraft setzen, ein neues Wahlgesetz verabschieden und so bald wie möglich den Urnengang ausrufen.

Kritiker warnen vor Neuwahlen: Ein Wahlkampf würde das krisengeschüttelte Land blockieren und wieder viel Geld kosten.

In Wahrheit ist das Land auch jetzt blockiert. Es passiert nichts. Keines der versprochenen Dekrete wurde umgesetzt. Auch wenn Enrico Letta mit einem Kleinwagen bei seinem Amtsantritt fuhr, steigt er nun genauso wie alle anderen in Staatskarossen mit Begleitschutz. In Rom ist kein Unterschied zu merken, es ist alles wie immer, wie unter Berlusconi, Monti oder jetzt eben Letta.

Wie schätzen Sie die Chance ein, dass Berlusconis Partei gewinnen könnte?

Dabei hängt viel vom Wahlkampf ab. Es gilt, viele Millionen enttäuschte, Politik verdrossene Wähler wieder zu gewinnen. Mit einem neuen Wahlgesetz und einem Generationenwechsel könnten die Linken das Rennen machen. Der Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi, auch wenn ich mit manchen Positionen nicht einverstanden bin, wäre so eine Person. Auch Pippo Civati wäre ein neues Gesicht. Oder Gianni Cuperlo. Thematisch müssten Umwelt, Arbeit und Justiz im Vordergrund stehen.

Hätte die Protestbewegung „Fünf Sterne“ (M5S) von Komiker Grillo wieder Chancen?

Die Leute von M5S haben gute Ideen. Aber ihr Verhalten erinnert an eine Sekte. Grillos Blog und Casaleggios Anweisungen (Casaleggio gilt als Ideengeber der Bewegung, Anm.) gelten als Bibel.

Kommentare