Junge Türken: In der Shisha-Bar ist Politik out

Club-Veranstalter Atakan Dikici (re.) mit Shisha-Bar-Geschäftsführer Ömer Susam
Wie feiern türkische Jugendliche in Wien? Ein Lokalaugenschein in Shisha-Bars.

Der Besuch einer Shisha-Bar ist zunächst vor allem ein olfaktorisches Erlebnis. Der Duft von Apfel-Tabak steigt schon am Eingang des kleinen Souterrain-Lokals unweit der Märzstraße im 15. Wiener Gemeindebezirk in die Nase. Dabei ist an diesem lauen Nachmittag noch gar nicht viel los. Zwei Burschen sitzen mit Laptop in einer Ecke, ziehen gemütlich an ihrer Wasserpfeife, daneben eine Runde von drei Mädchen, allesamt Anfang 20, die gerade eine Shisha bestellt hat.

Wir sind gekommen, um mit türkischstämmigen Jugendlichen über ihr Leben in Wien zu sprechen. Wo gehen sie fort, welche Musik hören sie – und was sagen sie zur aktuellen politischen Situation rund um Präsident Erdoğan und der Volksabstimmung in der Türkei? Eray Erkurt winkt da aber gleich ab. "Das ist kein Ort für Politik", sagt der Besitzer der Selcuklu-Shisha-Bar. Die Zuspitzung der vergangenen Wochen habe er natürlich interessiert verfolgt. "Das hat auch zu Konflikten in unserer Familie geführt", sagt der 29-Jährige, der die Verfassungsänderung kritisch sieht. Aber das dürfe keinen Einfluss auf das Leben in Österreich haben. "Und das hat es auch nicht." Seine Bar sei nicht nur ein Treffpunkt für türkische Jugendliche. Hierher kämen auch viele Touristen, Leute vom Balkan und Österreicher. "Wir sind multikulti. Die Shisha ist eine Friedenspfeife", sagt Erkurt.

In der Clubszene sieht die Sache anders aus. "Man muss schon sehr darauf achten, mit wem man fortgeht, und was man anzieht", sagt Atakan Dikici. Dass der Jusstudent und seine türkischen Freunde von Türstehern in Wiener Clubs abgewiesen wurde, sei mehr als nur einmal passiert. "Dabei wären wir Türken eigentlich ein Glücksfall: Bei uns geht keiner mit nur zehn Euro in der Tasche fort, da stehen immer zwei Flaschen Hochprozentiges am Tisch."

Türkische Clubkultur

Seit rund einem Jahr veranstaltet er jetzt selbst Events – mit einem eigenen DJ aus der Türkei, für ein überwiegend türkisches Publikum. "Die Clubszene hat sich in den letzten Jahren enorm verbessert", sagt der 27-jährige Austro-Türke.

Früher hätte es lediglich vereinzelt Konzerte von türkischen Sängern gegeben. Mittlerweile könne man als Jugendlicher, der türkische Musik hören will, praktisch jedes Wochenende in einen eigenen Club gehen. Was Politik betrifft, hält auch er sich bedeckt. "Es ist uns nicht egal, was in der Türkei passiert, aber das hat mit dem Leben, das wir hier führen, nichts zu tun."

Junge Türken: In der Shisha-Bar ist Politik out
Shisha Bar
Was das Lebensgefühl in der Türkei betreffe, hätten viele ohnehin ein falsches Bild, sagt Serkan Kahraman, der es sich gemeinsam mit seinem Neffen Hakan auf den orientalischen Sofas der Selcuklu-Shisha-Bar gemütlich gemacht hat. "Die Türken hier bekommen ihre Informationen nur aus dem Fernsehen, das hat mit der Realität wenig zu tun." Der 27-Jährige ist seit zwei Jahren in Wien, hat zuvor in Istanbul Psychologie studiert. "Dort sind die Menschen viel offener, liberaler als in Wien", sagt Kahraman. "Das gilt aber auch für die Türken, die in Wien leben."

Insbesondere türkische Frauen hätten hierzulande deutlich weniger Freiheiten als in der alten Heimat. Ela Dasdemir sieht das anders. "Wir gehen genauso fort wie die Männer auch." Die 20-Jährige Jus-Studentin mit den auffälligen blonden Haaren sitzt gemeinsam mit Freunden in einer Shisha-Bar im ersten Bezirk.

Hier ist die Einrichtung moderner, der Tenor ein anderer: Was das Fortgehen betrifft, gäbe es keinen Unterschied zwischen Österreichern und Türken, sagt Ela. Wobei sie und ihre Freundin Rabia einräumen, dass sie in ihrem Bekanntenkreis auch andere Beispiele kennen würden. "Es kommt sehr stark auf das Elternhaus an", sagt Ela. "Ich bin aber so erzogen worden, dass ich den Namen meiner Eltern keine Schande mache." Passieren würde ohnehin nichts. "Unsere Männer beschützen uns ja." Das hätte sich auch in ihrer Generation nicht geändert.

Was sich geändert hat, das sind die Startchancen für türkische Jugendliche in Österreich. Während in der ersten Generation 27 Prozent über einen Pflichtschulabschluss nicht hinausgekommen sind, betrifft das in der zweiten Generation nur noch 18 Prozent (im Vergleich zu 11 Prozent in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund). In der dritten Generation, so Soziologe Kenan Güngör, verschwinde der Unterschied praktisch komplett. Oder um es in den Worten von Clubveranstalter Dikici zu sagen: "So wie wir uns in der Schule angleichen, so haben wir uns auch in der Partyszene angeglichen." Nur eines werde sich auch in Zukunft nicht ändern: "Wenn’s um Fußball geht, werde ich immer zur Türkei helfen. Auch mit österreichischem Pass."

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grafik

Bis zum Schicksalstag sind es noch exakt zwei Wochen. Am 16. April entscheiden die Menschen in der Türkei über die politische Zukunft ihres Landes. Und egal, ob die rund 55 Millionen Wahlberechtigten beim Verfassungsreferendum ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit einem "Ja" oder "Nein" antworten – das Ergebnis hat jedenfalls weitreichende Konsequenzen.

Seit Wochen, ja Monaten ist die Community in Aufruhr – und gespalten. Auch hierzulande sind weit mehr als 100.000 türkische Staatsbürger beim Referendum wahlberechtigt, und die Frage, ob Politiker aus Ankara in Österreich wahlwerben dürfen, beschäftigte die Innenpolitik über Wochen.

Für den KURIER ist das richtungsweisende Referendum Anlass genug, einen Blick auf die türkisch-stämmigen Mitbürger zu werfen.

Wie leben sie, was bewegt sie?

Warum fühlen sich manche ganz selbstverständlich als Österreicher, andere bloß als hier Geduldete? Und vor allem: Wie kann in einer ohnehin über Gebühr aufgeheizten Stimmung das Zusammenleben noch besser oder überhaupt funktionieren?

Fragen wie diesen widmet sich der KURIER in den kommenden Tagen eingehend. Ein Reporter-Team hat mit Dutzenden Menschen gesprochen und verschiedenste Schauplätze besucht, darunter Moscheen und Kulturvereine, Schischa-Bars oder auch ein türkisches Gymnasium.

Ein unvoreingenommener Blick

Prediger, Vereinsobleute und Wirte, einfache Arbeiter und Akademiker, sie alle kommen zu Wort, und bei den Begegnungen und Recherchen stand und steht im Vordergrund, einen möglichst unvoreingenommenen Blick auf die Welt der Austro-Türken zu werfen.

Fest steht: Um den freundschaftlichen Austausch der beiden "Welten" steht es nicht zum Besten. Wie sonst wäre es zu erklären, dass zwei Drittel der Österreicher laut einer KURIER-OGM-Umfrage zwar beruflich und im Alltag mit türkischen Mitbürgern in Kontakt stehen, dass aber satte drei Viertel antworten, sie würden privat keinen Kontakt zu türkischen Mitmenschen pflegen (Grafik)?

Fest steht außerdem: Die Türken oder die türkische Community gibt es nicht.

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Kurier-Infografik
Zu bunt, zu vielfältig und widersprüchlich ist die Welt der mehr als 262.000 Menschen, die in Österreich einen türkischen Migrationshintergrund haben.

Ihr lebt hier

Der Titel der KURIER-Serie "Unsere Türken" ist in dieser Hinsicht alles andere als vereinnahmend oder despektierlich, sondern vielmehr eingemeindend gedacht, frei nach dem Motto: Ihr lebt hier, ihr habt hier Platz, ihr gehört hierher zu uns.

Den Beginn der Serie machen zwei Reportagen mit Bilal Baltaci. Der 25-jährige Österreicher wuchs als klassisches Gastarbeiterkind im Zillertal auf und lebt heute in Wien.

Baltaci arbeitete ein Jahr lang für den Österreich-Ableger einer türkischen Zeitung.

Er leistete sich als Journalist eine eigene, in diesem Fall Erdoğan-kritische, Meinung und tat diese mehrfach auch im KURIER kund. Seither wird er auch bedroht.

Unterschiedliche Perspektiven

Warum mit einzelnen Vertretern der türkischen Community kontroversielle Dialoge mitunter schwierig sind; welche unterschiedlichen Wahrnehmungen es zur Türkei und Österreich gibt und wo türkisch-stämmige Menschen die wahren Probleme des Zusammenlebens und der Politik verorten, das und vieles mehr soll die folgende KURIER-Serie in den nächsten beiden Wochen durchaus intensiv ausleuchten.

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