Im Rohingya-Flüchtlingslager Kutupalong boomt das Geschäft

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Innerhalb von eineinhalb Monaten sind mehr als eine halbe Million Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya aus dem südostasiatischen Myanmar in das Nachbarland Bangladesch geflohen.

Fast 30 Jahre lang arbeitete Abdul Kadir im südlichen Bangladesch als Gemüseverkäufer. Doch als in den vergangenen Wochen Hunderttausende Flüchtlinge in sein Land strömten, kündigte er, um ein neues Geschäft zu eröffnen. Heute verdient Kadir als Bambuslieferant im riesigen Rohingya-Flüchtlingslager Kutupalong bis zu 10.000 Taka (etwa 100 Euro) pro Tag, etwa zwanzig Mal so viel wie zuvor.

"Ich muss hier nicht schwer arbeiten, um gut zu verdienen", sagt Kadir. Er sitzt auf einem Stapel von Bambusrohren und hält einen Regenschirm in der Hand, der ihn tagsüber vor der heißen Sonne schützt. "Viele Bangladescher haben erkannt, dass der Flüchtlingszustrom die lokale Wirtschaft ankurbelt. Für uns ist die Situation ideal", fügt er hinzu.

"Hier geht es mir besser"

Die meisten Flüchtlingsfamilien, die in Elendsvierteln außerhalb des offiziellen Lagers leben, sind auf das angewiesen, was Kadir und andere ihnen verkaufen. Nach einem anstrengenden, oft wochenlangen Fußmarsch nach Bangladesch ist ein Großteil der Rohingya erst einmal obdachlos, bis sie Bambus und Plastikplanen erwerben können, um daraus eine Behausung zu bauen. Umgerechnet hundert Euro kostet das - eine Summe, die die meisten nicht aufbringen können. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) hat bisher nur ein Viertel der Neuankömmlinge diese Materialen als Spenden erhalten - der Rest muss dafür bezahlen.

Der 26-jährige Bangladescher Mohammed Budu ist mit seiner Familie in eine der Flüchtlingssiedlungen gezogen und betreibt dort ein kleines Lebensmittelgeschäft. Umgerechnet fast acht Euro verdiene er am Tag - drei Euro mehr als bei seiner vorherigen Arbeit. "Sieben Jahre lang habe ich als Bauarbeiter gearbeitet, aber hier geht es mir besser."

Den Flüchtlingen hingegen geht es schlecht. Der bangladeschischen Regierung zufolge sind mehr als 600.000 von ihnen bisher nicht registriert - darunter viele, die bereits seit Jahren hier leben. Das macht es für sie noch schwerer, an die ohnehin knappen Hilfsgüter zu kommen.

Im Rohingya-Flüchtlingslager Kutupalong boomt das Geschäft
A Rohingya refugee girl who fled from Myanmar cries because she lost her mother, as they make their way after crossing the border in Palang Khali, near Cox's Bazar, Bangladesh October 16, 2017. REUTERS/ Zohra Bensemra

Halbe Million Rohingya geflüchtet

Innerhalb von eineinhalb Monaten sind mehr als eine halbe Million Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya aus dem südostasiatischen Myanmar in das Nachbarland Bangladesch geflohen. Nachdem Rohingya-Rebellen am 25. August mehrere Polizei- und Militärposten angegriffen hatten, vertrieb die Armee die Menschen aus ihren Dörfern in im Westen liegenden Bundesstaat Rakhine. Die Flüchtlinge erzählen von Gräueltaten, die nach Ansicht von Menschenrechtlern Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen.

Die Rohingya werden in Myanmar, dem ehemaligen Birma, seit Jahrzehnten diskriminiert. Seit ihnen die damals herrschende Militärjunta 1982 die Staatsangehörigkeit aberkannte, sind sie staatenlos. Schon vor der jüngsten Massenflucht lebten rund 400.000 Rohingya-Flüchtlinge im überwiegend muslimischen Nachbarland. Die Lager sind längst überfüllt, es entwickelt sich eine humanitäre Katastrophe. In Kutupalong entsteht das größte Flüchtlingslager der Welt. Während internationale Hilfsorganisationen kaum hinterherkommen, füllen viele Bangladescher die Lücken.

Im Rohingya-Flüchtlingslager Kutupalong boomt das Geschäft
Rohingya refugees arrive to the Bangladeshi side of the Naf river after crossing the border from Myanmar, in Palang Khali, Bangladesh October 16, 2017. REUTERS/Jorge Silva TPX IMAGES OF THE DAY

Neues Familienmitglied

Das Nötigste bei örtlichen Händlern kaufen zu müssen, sei ein großes Problem für die Neuankömmlinge, erklärt Rehena Begum. Viele Flüchtlinge hätten zwar etwas Geld aus der Heimat mitgebracht. "Viel ist davon aber nicht übrig geblieben", erklärt die 28-Jährige. Für die Bootsfahrt über den Grenzfluss Naf, an dessen Mündung ins offene Meer, habe sie bereits umgerechnet knapp 40 Euro zahlen müssen.

Nun lebt sie mit ihren vier Kindern in einer Plastikhütte, die sie selbst gebaut hat. "Ich war schwanger und hatte jeden Tag Angst, dass mein Baby unterwegs zur Welt kommen würde", erzählt die junge Frau von der Flucht. "Mein Mann war eine große Hilfe, aber er hat es nicht über den Fluss geschafft. Er ist in den Fluten ertrunken." Vor zehn Tagen brachte sie in der Hütte ihre Tochter zur Welt.

"Jetzt habe ich unser letztes Geld für Baumaterialien und Nahrungsmittel ausgegeben", sagt sie. "Ich weiß nicht, wie es weiter geht. Alles hier ist sehr teuer, und bald werden wir Hilfe brauchen."

Im Rohingya-Flüchtlingslager Kutupalong boomt das Geschäft
Rohingya refugees who fled from Myanmar make their way after crossing the border in Palang Khali, near Cox's Bazar Bangladesh October 16, 2017. REUTERS/ Zohra Bensemra TPX IMAGES OF THE DAY

Um Überleben kämpfen

Ubaidul Hanna hingegen träumt von einem besseren Leben: "Wenn ich im nächsten Jahr genug verdiene, kann ich meiner Familie vielleicht ein richtiges Haus bauen", meint er. Bis vor kurzem noch Bauarbeiter, verkauft er nun Toilettenschüsseln, Bambusstöcke und Plastikplanen. "Das Geschäft läuft hier sehr gut", erzählt Hanna, der Tagelöhner aus seinem Dorf angestellt hat, um Toilettenschüsseln aus Beton zu formen. "Heute habe ich 250 davon an eine Hilfsorganisation verkauft." Sie kosten umgerechnet elf Euro pro Stück - eine beachtliche Summe in einem Land, in dem der monatliche Mindestlohn bei gerade einmal 51 Euro liegt.

Hannas kleines, erfolgreiches Unternehmen, ausgestattet mit einem Ziegelsteinhaus und einer kleinen Fabrik, liegt nicht weit vom Kutupalong-Camp. Man muss nur über die neu geteerte Straße laufen, schon beginnen die Zeltplanen der Rohingya; schon versinkt man im nassen Schlamm der engen Wege, die sich kilometerweit durch das Lager derer schlängeln, die seit Wochen um ihr Überleben kämpfen.

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