Im "befreiten" Mossul tobt noch immer der Krieg
Eigentlich soll der Krieg vorbei sein. Doch noch immer dröhnen Maschinengewehrsalven durch das, was einmal die Straßen Westmossuls waren. Am Rande der Altstadt geht ein Ruck durch den Boden. Gefolgt vom dumpfen Knall einer Explosion, die es eigentlich nicht geben dürfte. Hinter zerschossenen Fassaden steigt eine Rauchsäule in den blauen Himmel auf.
Schon vor Tagen wurde der Sieg der irakischen Armee über die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verkündet. Aber der nach US-Angaben schwerste Häuserkampf seit dem Zweiten Weltkrieg geht weiter. Der IS in Mossul ist noch nicht ganz besiegt.
Die unglaublich brutale Schlacht der vergangenen neun Monate hat Iraks zweitgrößte Stadt teilweise fast bis zur Unkenntlichkeit zugerichtet. In einem Labyrinth aus Trümmern und meterhohen Schutthaufen schieben sich breite Militärjeeps und Panzer zwischen geborstenen Fassaden hindurch. Kein Haus blieb ohne tiefe Einschusslöcher. Ein gräulicher Film hat sich über die Stadt gelegt.
Auf einigen der Ruinen weht die irakische Flagge. In Vorgärten hat es Autowracks aufs Dach geschleudert. Aus dem Loch eines riesigen Bombenkraters hängen gebrochene Rohre und zerfetzte Kabel. Der Wachposten vor seinem Panzer daneben erhebt seine Finger trotzdem zum Victory-Zeichen.
Inmitten der absoluten Zerstörung rennt plötzlich ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt, in einem roten T-Shirt über die benachbarte Kreuzung. Es lacht in der unbeschwerten Art und Weise eines Kindes, das Fangen spielt. Doch in Mossul gibt es keine Wiesen oder Wälder, wo man sich hinterherjagen könnte, sondern nur Sandberge, auf denen die Läufe von Maschinengewehren blitzen.
Im nordirakischen Juli steht die Sonne fast senkrecht. Es sind 45 Grad im Schatten, doch den gibt es außerhalb der verminten Häuser fast nicht. Unter einem verbogenen und von Kugeln durchsiebten Wellblechdach am Straßenrand versucht Mostafa Mohammed, sich und seine blaue Camouflage-Uniform vor der Hitze zu schützen.
"Wir haben keine Angst"
Der Leutnant der irakischen Bundespolizei gibt den Vollblut-Kämpfer. Es seien harte Gefechte gewesen, schließlich aber habe man gesiegt und die Zivilisten geschützt. Ob er vor den Selbstmordattentätern Angst gehabt habe, als sie auf ihn zurasten? "Wir haben keine Angst", sagt er und wechselt unvermittelt in die Gegenwart.
Bevor der IS sich im dicht bebauten Stadtzentrum verschanzte, trieben die Kämpfer dort Zivilisten aus umliegenden Dörfern zusammen, wie Amnesty International dokumentierte. Teilweise verschweißten die Kämpfer die Türen von außen und versahen sie mit Sprengstoff, um ihre lebendigen Schutzschilde an der Flucht zu hindern. Wer es doch wagte, wurde an Strommasten aufgehängt.
Bewohner Saif Essam erinnert sich unter Schaudern an die Nacht, in der ihn IS-Kämpfer aus dem Bett trieben: "Die haben uns alle aus den Häusern geholt, als die angrenzende Nachbarschaft befreit wurde. Sie sagten "geh vor uns, geh hinter uns", sodass keiner sie angreifen konnte", sagt Essam. Nicht nur in dieser Nacht hatte er Todesangst.
Amnesty schließt Kriegsverbrechen an Unbeteiligten dabei nicht aus. Ihre Leichen sind teilweise noch unter dem Schutt begraben. Augenzeugen berichten von einem beißenden Geruch im Stadtzentrum. Mossul ist dieser Tage mehr Friedhof denn befreite Stadt.
"Aus dem Herzen Mossuls geben wir den Sieg bekannt", hatte Ministerpräsident Haidar al-Abadi am Montag verkündet. Die totale Rückeroberung, nachdem 2014 Zehntausende Streitkräfte vor einigen Hundert IS-Kämpfern in Panik aus der Stadt geflohen waren. Nun soll es vorbei sein. Nur noch Aufräumaktionen, heißt es von schmallippigen Kommandeuren.
"Ich glaube, dass das Leben jetzt zurückkommt"
Restaurantbesitzer Essam aber ist optimistisch: "Ich glaube, dass das Leben jetzt zurückkommt", sagt der 32-Jährige, der an einer Hauptstraße unweit des Tigris sitzt. "Erstickt" habe er sich unter der Herrschaft des IS gefühlt. Seinen Grill konnte er zwar noch nicht wieder aufmachen. Aber für einen Hähnchenstand, der den Straßenrand in den Geruch von Fett und gerösteter Haut hüllt, reicht es schon.
Doch auch Essam hat Angst vor den Extremisten, die in den Wirren der Schlacht untertauchen konnten. Der IS verschwindet in Mossul dieser Tage wieder dahin, wo er schon lange vor 2014 das Sagen hatte: In den Untergrund. Dort können US-Kampfjets die Terrorgruppe nicht mehr sturmreif schießen.
Salem lebt in einem Flüchtlingslager und will nicht zurück ins Umland von Mossul, aus dem er 2014 floh. Für die Menschen dort sei er weiter ein Ungläubiger. Mossul sei einfach kein Ort mehr für Christen.
Der iranische Präsident Hassan Rouhani hat nach dem Sieg über die Terrormiliz Islamischer Staat im irakischen Mossul eine regionale Zusammenarbeit für die Vernichtung des IS gefordert.
"Nach Mossul muss dieser ansteckende Terror-Bazillus nun endgültig ausgerottet werden", erklärte Rouhani am Mittwoch bei einem Treffen mit dem omanischen Außenminister Youssef bin Alawi in Teheran. Dafür brauche man aber die Zusammenarbeit aller Länder in der Region.
Ohne Ägypten, Bahrain, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate beim Namen zu nennen, forderte Rouhani vor allem ein umgehendes Ende der Drohungen und Sanktionen gegen den Golfstaat Katar. "Das ist kontraproduktiv und schadet im Endeffekt nur den Ländern, die diese Politik verfolgen", so Rouhani. Besonders im Kampf gegen den Terrorismus würde ein regionaler Konflikt die Aussichten auf einen Erfolg nur schwächen.
Am Montag hatte die irakische Regierung nach monatelangen Kämpfen die IS-Hochburg Mossul im Norden des Landes für befreit erklärt. Mit Mossul verliert die Terrormiliz ihre letzte große Hochburg im Irak und die größte Stadt, die sie je unter Kontrolle hatte.
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