Versunken in Schlamm und Elend

In Idomeni wächst die Verzweiflung, doch auch andere Lager sind überfüllt, die Transporte chaotisch.

Ein Paar alte Gummistiefel – und ein Dutzend Hände, die danach greifen. Die ältere Dame aus Thessaloniki ist die gebrauchten Sachen, die sie von zu Hause mitgenommen hat, in einem Augenblick los. Hier in Idomeni, in dem immer noch überfüllten Flüchtlingslager an der Grenze zu Mazedonien, kann man alles brauchen, was irgendwie warm und vor allem trocken hält.

Seit Tagen hat es hier durchgehend geregnet, stundenlang sind regelrechte Sturzfluten über den ohnehin knöcheltief verschlammten Äckern niedergegangen. Um die an die Tausend jämmerlich kleinen Kuppelzelte stehen riesige Lacken – und in denen schwimmen die Habseligkeiten, die dem Wetter nicht mehr standgehalten haben: Aufgequollene Turnschuhe, Hosen, die der Wind irgendwo von einer Zeltleine gefegt hat, als jemand den sinnlosen Versuch gemacht hat, sie zu trocknen.

12.000 harren immer noch in Schlamm und Chaos aus. Die seit fast einer Woche abgeriegelte Grenze vor der Nase, wollen viele einfach nicht wahrhaben, dass ihre Flucht, ihr Traum von einem neuen Leben in Europa, hier zu Ende sein soll.

Mit jeder Stunde, in der die Menschen im Regen stehen, oder irgendwo in einer Ecke der dampfenden, vollgestopften Großzelte einiger Hilfsorganisationen kauern, wächst die Verzweiflung, vor allem aber die Ratlosigkeit. "Dann sollen sie uns eben sagen, dass die Grenze nie wieder aufgeht – und uns dann einfach von hier wegbringen", ärgert sich ein junger Iraker kleinlaut. Denn zu all dem Elend und den Krankheiten, die sich im Lager ausbreiten, kommt quälende Unwissenheit dazu.

Alles voll

Seit Tagen kündigt die Regierung in Athen groß angelegte Transporte in andere Lager an, die überall in der Gegend entstehen würden. Doch in Idomeni selbst beschränkt sich das Transport-Angebot auf einige Busse privater Firmen, die die Fahrt nach Athen um 25 Euro anbieten, und Taxifahrer, die auf jene warten, die noch genügend Geld haben, um irgendwo ein Hotel anzusteuern. Ein paar Hundert Menschen verlassen so täglich das Lager. An der Katastrophe, die sich mit jedem Tag Regen mehr anbahnt, ändert das nichts.

Wo die Menschen, die es aus Idomeni herausschaffen, tatsächlich unterkommen sollen, ist ungewiss. Ein KURIER-Lokalaugenschein in mehreren umliegenden Lagern brachte immer das gleiche Ergebnis: Überfüllt, kein Platz mehr frei. Menschen, die es auf eigene Faust versucht haben, kehren um eine Hoffnung ärmer nach Idomeni zurück. Bei manchem lässt das die Entschlossenheit, doch auszuharren, weiter anwachsen: "Irgendwann müssen sie die Grenze ja aufmachen, bevor sie uns hier beim Sterben zuschauen."

Auch entlang der Autobahn auf dem Weg zur Grenze nach Mazedonien ist inzwischen jede Tankstelle zum Flüchtlingslager umfunktioniert. Auf den dazugehörigen Parkplätzen hat das UN-Flüchtlingshilfswerk seine großen weißen Zelte aufgestellt. Die kleinen Kuppelzelte aber besetzen jeden freien Platz bis vor die Zapfsäulen, die ohnehin niemand mehr ansteuert. In den dazugehörigen Imbissstuben und Restaurants ist nicht nur jeder Sessel, sondern jeder freie Meter Boden von nassen, frierenden Menschen besetzt.

Jeder versucht nur irgendwie dem Regen zu entkommen und irgendwo an Strom für das Handy zu gelangen, um Verbindung zu den Verwandten aufzunehmen. Die hätten es schon nach Deutschland geschafft, die seien seit Monaten in Österreich, in Belgien … Ständig bekommt man diese Geschichten zu hören, an deren Ende so oft eine ratlose Frage steht: "Warum haben’s die noch geschafft und ich nicht?"

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