Horst Seehofer: Patriarch, Populist – und Philosoph

Horst Seehofer
Der listige Bayer will seine CSU heute als letzte große Volkspartei durchs Ziel bringen

Keiner lächelt wie er. So häufig, so hintergründig, so über sich selbst. Horst Seehofers Lächeln ist schon ein Markenzeichen, fast ein Charakterzug: Ein Buddha-Panzer aus Ironie, Signal des Wissens, nicht über alles – aber alles Relevante.

Sitzt man ihm gegenüber, kommt pure Dialektik: Aussagen werden – oft im gleichen Satz – relativiert gegenüber den Umständen, zu denen auch eigene Sager von früher und mögliche, ja wahrscheinliche spätere gehören. Das Seehofer -Lächeln verkörpert seine, manchmal von ihm auch ausgesprochene Maxime: Es ist alles nur Spiel. Und: Ich spiele es am besten. Daher glaubt mir einfach und fragt nicht lange. Es reicht, dass Ihr mich wählt.

Horst Seehofer: Patriarch, Populist – und Philosoph
Bavarian Premier Horst Seehofer and his wife Karin (L) arrive for the opening of the annual Bayreuth Wagner opera festival at the Gruener Huegel (Green Hill) in Bayreuth, July 25, 2013. This year the world famous festival celebrates the composer's 200th birthday. REUTERS/Michaela Rehle (GERMANY - Tags: ENTERTAINMENT POLITICS)
Beispiele für diese in der deutschen Politik seltene Verbrämung von Anspruch und Nonchalance (nur CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble hält da halbwegs mit) konnten die Bayern in den letzten Jahren genug erleben. Erklärt bekamen sie sie auch auf den CSU-Wahlveranstaltungen selten.

Aktueller Gag des CSU-Chefs ist eine „Pkw-Maut nur für Ausländer. Ohne die unterschreibe ich keinen Koalitionsvertrag.“ Mit ein paar guten und mehr schlechten Gründen, hartnäckig ignorierend, dass sie EU und alle anderen, vor allem die wohl auch künftige Kanzlerin Merkel, ausschließen. Seehofer lächelt das weg: „Dann bleib ich sitzen, bis die in Berlin nicht mehr können. Wir finden sicher eine Lösung“.

180-Grad-Wenden

Dort erinnert das an seine Drohung vor der Wahl 2009 an CDU-Chefin Merkel, „ohne Versprechen von Steuersenkung kein gemeinsames Wahlprogramm“. Das setzte er damit durch. Nur die Steuersenkung kam nie.

Horst Seehofer: Patriarch, Populist – und Philosoph
epa03603419 Prime Minister of Bavaria Horst Seehofer (L) and Mayor of Munich Christian Ude (R) say cheers during the traditional 'tapping of the stout' on the Nockherberg in Munich, Germany, 27 February 2013. The traditional ridiculing of politicians, the 'Derblecken' is the traditional start of the Strong Beer Season in Bavaria. EPA/TOBIAS HASE
Denn jedes Versprechen Seehofers hat das Potenzial für das Gegenteil. Atomkraft, Wehrpflicht, der Donauausbau oder seine „Freude, mit der FDP zu regieren“: Alles wollte Seehofer mehr als „die in Berlin“ – und vollzog die 180-Grad-Wendungen der oft Jahrzehnte gültigen Dogmen der CSU über Nacht, oft ohne Rücksprache mit ihren Generälen.

Die Opposition steht den den Volten hilflos gegenüber und noch fassungsloser deren (Umfragen-)Erfolg. Ihren Vorwurf des „gnadenlosen Populisten“ nimmt Seehofer lächelnd als Ehrentitel: „Ja, das bin ich. Ich tue, was das Volk will, das ist Demokratie.“ Wer das nur billig findet, den putzt er damit weg, dass es „keine Kontinuität im Irrtum geben“ dürfe, das sei „der größte Fehler in der Politik“. Er stehe damit selbst bei mehrmaligen Seitenwechseln immer auf der richtigen, fand die FAZ süffisant.

Hubert Aiwanger, Chef der „Freien Wähler“, einer Partei davon frustrierter Ex-CSUler, verspottet ihn dafür als „Drehhofer“, genervte CDU-Kollegen in Berlin (nach einem elitären Pariser Cabaret) als „Crazy Horst“. Seehofer findet das gut – und zitiert es. Ironie als Allzweckwaffe. Zieht offenbar. Aber nur bei ihm, nicht bei SPD-Gegenkandidat Ude.

Erklärbar ist diese Gelassenheit wohl nur mit Seehofers Biografie. Keine Wahlkampfrede , in der er nicht seine Herkunft instrumentalisierte: Sohn eines Bauarbeiters, der nicht mal das wenige Geld nachhause brachte, was für die vier Kinder Hungern hieß..

Was danach kam, wissen die meisten Bayern aus eigener Erinnerung: Der ehrgeizige Horst arbeitete sich hoch vom Beamten ohne Matura im Heimatort Ingolstadt zum Jahrgangsbesten der Bayerischen Verwaltungsakademie. Zugleich stieg er auf zum CSU-Arbeitnehmer-Chef und Vize des einst allmächtigen CSU-Chefs Edmund Stoiber.

Horst Seehofer: Patriarch, Populist – und Philosoph
epa03863177 German Chancellor Angela Merkel (L) waves next to Bavaria's Prime Minister Horst Seehofer (R) during an election campaign event of the Christian Democratic Party (Christlich Demokratische Union Deutschlands - CDU) and the Christian Social Union in Bavaria (Christlich-Soziale Union in Bayern - CSU) in Miesbach, Germany, 11 September 2013. EPA/MARC MUELLER
Parallel rasch verlief die Bundeskarriere: Von 1992 bis 1998 als Helmut Kohls Gesundheitsminister, ab 2005 als Merkels Minister für Landwirtschaft und Verbraucher. Den gab er 2008 auf, um als Regierungschef nach München zu gehen.

In diese Zeit fielen aber zwei einschneidende private Ereignisse: 2002 erkrankte er lebensgefährlich an einer Herzmuskelentzündung, die er „wegen zu viel Arbeit verschleppt“ hatte. Mit Glück überlebte er, ein Comeback schien fern. Doch er war schneller wieder da als alle erwartet hatten.

Krisen-gestärkt

Auch privat. Mitten in seinen Kampf um die CSU- Nachfolge Stoibers 2007 kam Bild mit der von „Parteifreunden“ gesteckten Indiskretion, dass der Charmeur in Berlin ein Kind mit einer Mitarbeiterin erwarte. Es war das vierte insgesamt nach zwei Ehen – mit deren Idylle er oft Wahlkampf gemacht hatte.

Prompt unterlag er seinen Konkurrenten Huber und Beckstein. Doch als die 2008 die Landtagswahl kläglich verloren, holte die geschockte CSU Seehofer als letzten Retter nach München.

Als Ministerpräsident regiert er Bayern seither fast wie einst der „Kinigl“, nur viel effizienter. Seinen Stil hat er in Interviews stark mit der Erfahrung früher Lebensnöte und später Krisen begründet: Sie hätten ihn Gelassenheit, Spielerisches und Risikofreude gelehrt. Und so ist das Lächeln ein wissendes um Erfolge und ihren Preis.

Den legt Seehofer hoch: Er will in seiner einzigen Landtagswahl als Retter der CSU Geschichte machen. Im speziellen Bayern kann das nur Alleinherrschaft heißen.

Die Landtagswahl in Bayern, dem flächenmäßig größten und nach Nordrhein-Westfalen bevölkerungsstärksten Bundesland, hat heuer größere Signalwirkung auf die Bundespolitik als vor fünf Jahren. Nur eine Woche vor der Bundestagswahl könnten die 9,3 Millionen bayerischen Wähler nochmals die Trends leicht verschieben, glauben die Demoskopen.

Die sehen große Chancen dafür, dass die CSU ihre schwere Schlappe von 2007 ordentlich ausbügeln kann. Ob es aber zu der von CSU-Chef Horst Seehofer lange als Wahlziel angepeilten absoluten Mehrheit reicht, ist fraglich. Auch weil ihre Umfragewerte zuletzt deutlich stagnierten, legte er am Freitag die Latte wieder niedriger und bezeichnete die absolute Mehrheit für die CSU sogar als „von allen Möglichkeiten die unwahrscheinlichste.“

Horst Seehofer: Patriarch, Populist – und Philosoph
Das wird in München auch als letzte Mobilisierung von Anhängern gewertet, die wegen deren Siegesaussicht zuhause bleiben könnten. Zudem gehen hier erst heute die Schulferien zu Ende. Entscheidend ist jedenfalls, ob der bisherige Koalitionspartner FDP die Fünf-Prozent-Hürde schafft: Nur wenn sie daran scheitert, ist die Absolute für Seehofer möglich.

Das FDP-Abschneiden gilt auch als der größte mögliche Störfaktor für die Bundestagswahl am nächsten Sonntag. Sollte sie aus dem Münchner Landtag fliegen, erwartet man in Berlin CDU-Funktionäre, die wie 2009 eine „Leihstimmenkampagne“ für die FDP anzetteln, um sie im Bundestag als Partner zu erhalten. Weil diese Taktik im Jänner in Niedersachsen die CDU den Regierungschef kostete, hat sie die CDU-Zentrale verboten.

Ohnehin hat sich CDU-Chefin Merkel auf eine Große Koalition mit der SPD eingestellt, auch wenn sie im Wahlkampf für die Fortsetzung von Schwarz-Gelb wirbt.

Sicher ist damit ihre Koalition nur mit der bayerischen Schwester CSU. Auch wenn sich ihr Chef Seehofer nicht mit seiner Forderung einer Pkw-Maut für Ausländer durchsetzen kann, die primär Österreicher treffen soll.

Kommentare