Urteil: Parlament muss über Brexit abstimmen

Der Big Ben in den frühen Morgenstunden des 24. Jänner
Premierministerin Theresa May muss vor Brexit-Antrag Parlamentszustimmung einholen. Schottland, Wales und Nordirland müssen laut Höchstgericht hingegen nicht konsultiert werden.

Die britische Regierung muss anders als von Premierministerin Theresa May geplant die Zustimmung des Parlaments zum geplanten EU-Austritt einholen. Das entschied das Oberste Gericht in London nach Angaben seines Vorsitzenden Richters David Neuberger am Dienstag mit acht gegen drei Stimmen.

Ein Sprecher Mays erklärte, das Urteil bringe die Pläne nicht durcheinander, bis Ende März die Scheidung von der Europäischen Union gemäß Artikel 50 des EU-Vertrags zu beantragen. Das Pfund gab nach der Urteilsverkündung nach.

Der Supreme Court habe mit acht der elf Richterstimmen entschieden, dass die Aktivierung von Artikel 50 des EU-Vertrags zum Austritt aus der Europäischen Union der Zustimmung des Parlaments bedarf, sagte Gerichtspräsident Neuberger. Damit bestätigte der Gerichtshof eine Entscheidung des Londoner High Court von Anfang November, gegen die Mays konservative Regierung Berufung eingelegt hatte.
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A grab taken from the televised live feed shows the President of the Supreme Court David Neuberger (C) as he delivers judgement in case to decide whether or not parliamentary approval is needed before the government can begin Brexit negotiations, inside the Supreme Court in central London on January 24, 2017. Britain's Supreme Court ruled Tuesday that the government must obtain the approval of parliament before starting the Brexit process, in a defeat for Prime Minister Theresa May. / AFP PHOTO / SUPREME COURT AND AFP PHOTO / HO / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / SUPREME COURT" - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS
Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour Party signalisierte, dass er May keinen Stein in den Weg legen, aber das Parlament in den Austrittsprozess einbinden möchte: Labour respektiere "den Ausgang des Referendums und den Willen des britischen Volkes". Allerdings müsse die Regierung dem Parlament während der Austrittsverhandlungen Rede und Antwort stehen und die Volksvertreter auch über das Ergebnis abstimmen lassen.
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Nach den Plänen Mays soll sich Großbritannien 2019 endgültig aus der EU verabschieden und das Parlament über das Ergebnis der Austrittsverhandlungen abstimmen.May will einen harten Schnitt. Das Land soll demnach aus dem Binnenmarkt und der Zollunion austreten und stattdessen ein neues Freihandelsabkommen mit der EU vereinbaren.

Generalanwalt Jeremy Wright äußerte sich enttäuscht über die Entscheidung der obersten Richter: "Die Regierung wird das Urteil aber respektieren und alles Nötige tun, um es umzusetzen."

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Gina Miller, co-founder of investment fund SCM Private (C) makes a statement following the judgement in a case to decide whether or not parliamentary approval is needed before the government can begin Brexit negotiations, outside the Supreme Court, opposite the Houses of Parliament, in central London on January 24, 2017. Britain's Supreme Court ruled Tuesday that the government must obtain the approval of parliament before starting the Brexit process, in a defeat for Prime Minister Theresa May. "Today, by a majority of eight to three, the Supreme Court rules that the government cannot trigger Article 50 without an Act of Parliament authorising it to do so," said Lord David Neuberger, the president of the court. / AFP PHOTO / Isabel INFANTES
Gina Miller, Klägerin im Brexit-Verfahren, zeigte sich nach dem Urteil des Supreme Court erleichtert. Der geplante EU-Ausstieg Großbritanniens sei die "umstrittenste Frage einer Generation", erklärte die 51-jährige Investmentmanagerin am Dienstag in einem Statement. "Kein Premierminister, keine Regierung kann erwarten, nicht hinterfragt oder herausgefordert zu werden." Bei dem Prozess sei es aber "nicht um Politik gegangen", sondern ausschließlich um rechtliche Fragen.

Die Richter entschieden zugleich, dass die Regionalparlamente in Nordirland, Schottland und Wales kein Mitspracherecht beim Auslösen des Brexit-Prozesses haben. Dies hatten Vertreter der mit Autonomierechten ausgestatteten Regionen des Vereinigten Königreichs vor Gericht gefordert.

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Demonstrant am Dienstag mit einer EU-Torte
May will die Austrittsabsicht nach Artikel 50 bis Ende März offiziell mitteilen. Danach besteht eine Zweijahresfrist zum Abschluss der Verhandlungen mit der EU. Der Brexit-Verhandlungsführer der EU-Kommission, Michel Barnier, hat sich dafür ausgesprochen, die Verhandlungen vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2019 zu beenden.

Hätte die britische Regierung auch die Zustimmung von Schottland, Wales und Nordirland einholen müssen, wäre der Zeitplan vermutlich stark durcheinandergeraten. Die Mehrheit der Wähler in Schottland und Nordirland hatte beim EU-Referendum am 23. Juni 2016 für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt, Wales dagegen. Insgesamt hatten in Großbritannien rund 52 Prozent für einen Austritt aus der EU votiert.

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Ereignisse 2016, mögliche Termine ab 2017 - Zeitplan GRAFIK 0088-16, 88 x 114 mm

EU sieht nach Gerichtsurteil britische Regierung am Zug

Die EU-Kommission hat zurückhaltend auf die Entscheidung des Obersten Gerichts in London reagiert, wonach die britische Regierung - anders als von Premierministerin Theresa May geplant - die Zustimmung des Parlaments zum geplanten EU-Austritt einholen muss. Es liege an der britischen Regierung, Schlussfolgerungen zu ziehen, sagte ein EU-Kommissionssprecher am Dienstag in Brüssel.

Man warte nach wie vor auf die Notifizierung des britischen Austrittsantrags nach Artikel 50, sagte der Sprecher. Bis dahin wolle die EU-Kommission keinen Kommentar dazu abgeben.

"Wenn man sich scheiden lassen und dann Freunde auf Grundlage einer neuen Beziehung bleiben will, muss man sich zuerst auf eine geordnete Trennung einigen"

Der Sprecher betonte allerdings: "Wenn man sich scheiden lassen und dann Freunde auf Grundlage einer neuen Beziehung bleiben will, muss man sich zuerst auf eine geordnete Trennung einigen." Erst dann könnte die künftige Beziehung aufgebaut werden.

Die Grünen-Delegationsleiterin im EU-Parlament, Ulrike Lunacek, bezeichnete das Londoner Urteil als "gute Nachricht für Demokratie und Gewaltentrennung". Nach dem Gerichtsurteil dürfe die britische Regierung den EU-Austritt nämlich nicht mehr im Alleingang ohne Zustimmung des Parlaments auslösen. "Damit werden die Brexit-Karten neu gemischt, denn das Höchstgericht hat dem britischen Parlament mit dieser pro-demokratischen Entscheidung einen mächtigen Hebel in die Hand gegeben: Das Parlament - nicht die Regierung - ist in einer Demokratie der legitime Ort, wo eine derart wichtige Frage wie der Brexit debattiert und abgestimmt gehört."

Das Pfund Sterling hat am Dienstag mit Verlusten auf die Entscheidung des britischen Supreme Court zum Mitspracherecht des Parlaments beim EU-Austritt des Landes reagiert. Die britische Währung rutschte wieder unter die 1,25-Dollar-Marke und lag mit 1,2493 Dollar etwa 0,3 Prozent niedriger als am Vorabend. Kurz vor Urteilsverkündung hatte das Pfund noch über 1,25 Dollar notiert.

"Das Urteil löst wieder etwas Unsicherheit über den Brexit aus, vor allem hinsichtlich des Zeitpunktes", sagte Commerzbank-Analystin Esther Reichelt. Allerdings werde sich das Parlament kaum gegen den Volkswillen stellen. "Aber es könnte jetzt alles etwas länger dauern."

Die britische Regierung muss den Richtern zufolge nun das Parlament über den Beginn des Austrittsprozesses abstimmen lassen. Premierministerin Theresa May will bis Ende März die Scheidung von der EU gemäß Artikel 50 im Lissabonner EU-Vertrag beantragen. Ob der Zeitplan eingehalten werden kann, hängt davon ab, ob das Parlament die Planungen Mays durchwinkt oder eventuell Änderungen verlangt.

In der Hoffnung, dass die Bedingungen für den Austritt nun etwas milder ausfallen könnten, stiegen einige Anleger am Londoner Aktienmarkt ein: Der "Footsie" legte in der Spitze 0,5 Prozent auf 7.190 Punkte zu. Auch der Dax weitete seine Gewinne aus und lag mit 11.579 Punkten 0,3 Prozent höher. Die Anleger waren auch erleichtert, dass das Urteil in etwa wie erwartet ausgefallen war, sagte ein Händler.

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