Die Grande Dame des deutschen Liberalismus ist tot

Hildegard Hamm-Brücher starb 95-jährig.
Die frühere FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher ist mit 95 Jahren verstorben. Für ihre mahnenden Worte wurde die streitbare Liberale sowohl geschätzt als auch gefürchtet.

Die ehemalige deutsche FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher ist tot. Sie starb im Alter von 95 Jahren, wie der bayerische Landesverband der Liberalen am Freitag in München mitteilte. Hamm-Brücher war langjähriges Bundestagsmitglied, unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) Staatsministerin im Auswärtigen Amt und 1994 Kandidatin für das deutsche Bundespräsidentenamt.

Hamm-Brücher galt als Grande Dame der FDP. Allerdings verließ sie die Liberalen nach 54-jähriger Mitgliedschaft 2002 im Streit um eine als antiisraelisch wahrgenommene Kampagne des früheren Ministers Jürgen Möllemann.

Die ehemalige deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) würdigte die Verstorbene als den "Inbegriff der gelebten Bürgergesellschaft". Zu jeder Zeit habe sie vor der Verharmlosung extremer Gesinnungen gewarnt, erklärte sie.

Hamm-Brücher wurde 1921 im westdeutschen Essen geboren, sie wuchs in Berlin auf. 1948 zog die promovierte Chemikerin für die Freie Demokratische Partei (FDP) in den Münchner Stadtrat ein. Über Jahrzehnte prägte sie die Politik der Liberalen, als Abgeordnete des deutschen Parlaments und Staatsministerin im Auswärtigen Amt unter Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Die Krönung ihrer Laufbahn blieb ihr allerdings versagt: Hamm-Brücher kandidierte 1994 für das deutsche Bundespräsidentenamt. Doch im dritten Wahlgang opferte ihre Partei sie dem Koalitionskalkül - deutsches Staatsoberhaupt wurde Unionskandidat Roman Herzog.

2015 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand. Doch trotz zweier Oberschenkelhalsbrüche, Gedächtnislücken und Gleichgewichtsstörungen verfolgte sie die Entwicklungen in der Politik weiter.

Nachruf

Im Oktober war Hildegard Hamm-Brücher noch einmal in Berlin. Mit ihren 95 Jahren diskutierte sie mit Jugendlichen bei einem Zukunftsforum des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck im Schloss Bellevue über Demokratie.

Teilnehmer zeigten sich beeindruckt von der Begegnung mit der nun Verstorbenen. Hamm-Brücher war zwar schon lange nicht mehr FDP-Mitglied, galt aber bis zu ihrem Tod als Grande Dame des deutschen Liberalismus.

Ihrem Ruf als unbeugsame Demokratin wurde die in München lebende Hamm-Brücher auch im hohen Alter noch gerecht. "Vieles wird über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden", beklagte sie vor wenigen Jahren in der Berliner Zeitung B.Z..

Für ihre mahnenden Worte wurde die streitbare Liberale sowohl geschätzt als auch gefürchtet. Vom deutschen Altkanzler Helmut Kohl sind äußerst böse Spitzen überliefert. Die ebenfalls als unbeugsame Liberale geltende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger würdigte sie dagegen anlässlich ihres Todes als "Inbegriff der gelebten Bürgergesellschaft".

Die in Essen geborene Hildegard Brücher wuchs in Berlin-Dahlem auf und lebte nach dem frühen Tod beider Eltern bei ihrer Großmutter in Dresden. 1940 begann sie ein Chemiestudium in München, wo sie zum weiteren Kreis der "Weißen Rose" zählte, der Widerstandsgruppe um die Geschwister Hans und Sophie Scholl gegen die Nazi-Diktatur.

"Für das leben, wofür meine Freunde gestorben sind"

"Nachdem sie hingerichtet worden waren, war ich so verzweifelt", sagte Hamm-Brücher vor gut zwei Jahren der Zeit. Ein Studentenpfarrer habe ihr gesagt, sie solle nach dem Kriegsende "für das leben, wofür meine Freunde gestorben sind". "Und das habe ich mein Leben lang versucht."

1948 wurde Brücher FDP-Mitglied. Den Anstoß zu ihrem Parteieintritt hatte der damalige Stuttgarter Kultusminister und spätere FDP-Bundespräsident Theodor Heuss gegeben: "Mädle, Sie müsset in d' Politik", riet Heuss der Mittzwanzigerin, als Brücher ihn 1946 für eine Münchener Zeitung interviewte.

Bis 1954, dem Jahr ihrer Heirat mit dem CSU-Kommunalpolitiker Erwin Hamm, saß Brücher für die FDP im Münchener Stadtrat. Außerdem war sie bis in die 70er-Jahre Mitglied des bayerischen Landtags.

In den Deutschen Bundestag zog Hamm-Brücher erstmals 1976 ein. In der sozialliberalen Koalition von SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt.

Als die FDP 1982 aus dem Bündnis mit der SPD ausscherte, stellte sich Hamm-Brücher quer: Die damalige Wende der FDP hin zur Union sei nicht mit dem Versprechen an die Wähler vereinbar, mit der SPD zusammenzuarbeiten.

Auch in den Folgejahren verärgerte die entschiedene Verfechterin der sozialliberalen Koalition wiederholt die FDP-Führung. So forderte sie etwa 1984, die FDP solle die Koalition mit der Union aufgeben.

"Gewissenspolitische Sprecherin"

Solche Positionen brachten Hamm-Brücher FDP-intern den durchaus abschätzig gemeinten Titel einer "gewissenspolitischen Sprecherin" ein. Nach mehr als 40 Jahren zog sich die konfliktbereite Freidemokratin nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 aus der Politik zurück

Die Grande Dame des deutschen Liberalismus ist tot
ABD0017_20161209 - ARCHIV - Hildegard Hamm-Brücher sitzt am 05.05.2011 in München (Bayern) im Wohnzimmer ihrer Wohnung. Hildegard Hamm-Brücher ist im Alter von 95 Jahren verstorben. Foto: Peter Kneffel/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
1994 versuchte sie allerdings im Alter von 73 Jahren für manchen überraschend ein Comeback: Hamm-Brücher trat für die FDP als Kandidatin bei der Bundespräsidentenwahl an, die der CDU-Kandidat Roman Herzog für sich entschied.

"Durch Ruhe und Ordnung kann die Demokratie ebenso gefährdet werden wie durch Unruhe und Unordnung"

In den Folgejahren blieb Hamm-Brücher vor allem als Buchautorin und politische Publizistin in der Öffentlichkeit präsent. 2002 erklärte die promovierte Chemikerin nach 54 Jahren ihren Austritt aus der FDP - weil die Parteiführung einen rechtspopulistischen und antiisraelischen Kurs des damaligen Düsseldorfer Landesparteichefs Jürgen Möllemann geduldet habe. Dennoch blieb die seit 2008 verwitwete Mutter eines Sohnes und einer Tochter auch im hohen Alter eine Liberale im Unruhestand - getreu einem ihrer Grundsätze: "Durch Ruhe und Ordnung kann die Demokratie ebenso gefährdet werden wie durch Unruhe und Unordnung."

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