"Hier in Idomeni weiß keiner, wie es weitergeht"

Verzweifelte Flüchtlinge in Idomeni: Wasser im Zelt, knöcheltiefer Schlamm draußen.
Reportage: Im Schlamm von Idomeni stecken Tausende und ihr Traum von Europa fest. Die Ersten machen kehrt, andere klammern sich an eine Illusion.

Aisha ist noch immer nicht ganz stubenrein, und das ist ein umso größeres Problem, wenn die dazugehörige Stube gerade einmal vier Quadratmeter für viele Leute bietet. Also passt ihre Besitzerin Sarah ganz genau auf, putzt schnell, wenn es sein muss, und ist ansonsten wirklich glücklich, dass sie nicht ohne ihre Katze hier am Wegrand in Idomeni in einem kleinen Kuppelzelt sitzen muss. "Sie ist mein Leben", ist die klare Antwort der 20-Jährigen auf die naive Reporterfrage, warum man ein Haustier aus Damaskus hierher gebracht hat – und natürlich auch wie. Stolz zeigt die junge Syrerin die Bauchtrage, in der sie Aisha im Schlauchboot über die Ägäis auf die Insel Chios gebracht hat. "Mein Baby", kichert sie mädchenhaft, während ihre Mutter nicht so recht weiß, was sie zu all dem sagen soll.

Ägypter aus Italien

Auch einen Lagerhund soll es in dieser chaotischen Zeltstadt direkt vor den Stacheldrahtzäunen an der mazedonischen Grenze geben. Seit gestern aber, als der letzte Platzregen noch einmal das ganze Gelände im Schlamm versinken ließ, ist Habibi verschwunden. Sein Herrchen sei schon tagelang überfällig, erzählt mir ein junger Mann aus Aleppo.

Es gibt Tausende Geschichten dieser Art, die man in Idomeni oder in einem der um jede Tankstelle an der Autobahn wuchernden Zeltlager erzählt bekommt. Es sind Geschichten aus Ländern von Pakistan bis Ägypten, von jungen Leuten, die irgendwann aufgebrochen sind, wegen des Krieges in Syrien, wegen des Terrors im Irak – oder ganz einfach, weil es in irgendeinem von den Taliban beherrschten Dorf in Afghanistan keine Zukunft gab.

Ibrahim, ein Ägypter, plaudert in stockendem Italienisch über seine Jahre auf der Baustelle in Apulien – und darüber, warum er diesmal in Deutschland neu starten will. Zusammen mit ihm sind ein Pakistani und ein Marokkaner auf der Reise. Dass sie legal nicht über die Grenze kommen werden, haben die drei längst realisiert. Jetzt hängen sie mit ihren Handys in einem der Tankstellencafes am Strom und im Internet und suchen nach neuen Wegen: "Irgendwie kommen wir schon raus hier."

Geschichten wie die von Ibrahim und seinen Weggefährten schlängeln sich quer durch die Flüchtlingskrise, andere sind kurz und tragisch und handeln von der Flucht aus den Bombennächten von Aleppo.

Ob seltsam, ob tragisch, ob ehrlich oder irgendwie zurechtgerückt; diese Geschichten fangen alle mit dem schnell herausgestammelten Wort "Syria" an. Dass man nur als Syrer eine Chance auf die Reise nach Europa hat, davon ist hier jeder überzeugt. Also ist jeder hier fürs Erste einmal Syrer.

Dass aber die Grenze nach Mazedonien seit Tagen geschlossen ist und es für niemanden hier derzeit einen Weg nach Europa gibt, das begreifen die Menschen im Schlamm von Idomeni erst allmählich. Viele klammern sich vorerst an irgendein Wunder, das doch demnächst passieren muss. Da haben einige ihren Namen doch noch in der Vorwoche auf einer Liste eingetragen, damals, als diese Listen für den Grenzübertritt tatsächlich noch abgearbeitet wurden.

Holz zu Wucherpreisen

Zwei Tage noch, dann wäre sie dran gewesen, erzählt eine junge Mutter aus Damaskus in perfektem Englisch, während sie im Kaffeehaus am Rand des Lagers viel zu teure Pommes Frites für ihre kleine Tochter kauft. Die will die Gemüsesuppe, die Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen im Lager kostenlos ausschenken, einfach nicht essen. Die Mutter erzählt besorgt von ihrem immer höher steigenden Fieber, vom Wasser im Zelt, von den Marokkanern, die inzwischen den Handel mit Brennholz im Lager zu Wucherpreisen betreiben. Sie will trotzdem vorerst bleiben, glaubt noch, dass die Grenze, die jetzt eine Phalanx griechischer Polizisten Tag und Nacht bewacht, irgendwann wieder aufgeht, einfach "weil Europa sich das hier doch nicht nur so anschauen kann."

Andere sind realistischer, trotten in kleinen Gruppen am Straßenrand in Richtung Autobahn. Zumindest einmal in eines der Lager an den Tankstellen wollen sich viele zurückziehen. Wenigstens kann man das Zelt dort auf einer betonierten, trockenen Fläche aufstellen. Manche aber sammeln sich um die Autobusse, von denen etwa ein halbes Dutzend auf den Straßen rund um das Lager warten. Es sind private Unternehmer, die die Fahrt nach Athen um 25 Euro anbieten. Wohin genau, wollen sie nicht sagen. Ein Lager gäbe es da, erzählt einer, der seit drei Stunden wartet, dass sich sein Bus füllt, dort sei noch genug Platz.

Es klingt wie viele der nicht ganz glaubwürdigen Geschichten, die hier durchs Lager schwirren. Die meisten hier wollen die Hoffnung, für die sie ein Meer überquert, Monate in irgendwelchen Quartieren in der Türkei verbracht und zumindest Tausend Euro an Schlepper bezahlt haben, nicht so einfach fahren lassen. Ja, er wisse auch, dass es ein sauberes Lager gibt, gibt sich Reza, ein junger Iraner abgeklärt, in Thessaloniki in einem Industrieviertel, mit Duschen und trockenen Betten: "Aber wenn ich dorthin gehe, dann kann ich Europa gleich vergessen." Wie es weitergehen soll, mit der verschlossenen Grenze, den Stacheldraht vor der Nase? Darauf hat auch Reza keine Antwort: "Keine Ahnung. Wie es weitergeht, weiß in Idomeni keiner."

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