Hard Brexit: Was Theresa May heute verkünden wird
Die britische Premierministerin Theresa May strebt einen "harten Brexit" an und will ihr Land aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion mit den anderen 27 EU-Staaten führen. Dies berichteten britische Medien in der Nacht auf Dienstag unter Berufung auf den Text jener Brexit-Grundsatzrede, die May am Dienstag halten wollte.
Es werde keine Teil-Mitgliedschaft in der EU noch sonstige Konstrukte geben, die Großbritannien "halb drinnen" oder "halb draußen" ließen, betonte May demnach. "Wir wollen eine neue und gleichberechtigte Partnerschaft - zwischen einem unabhängigen, selbstregierten, globalen Großbritannien und unseren Freunden und Verbündeten in der EU." Eines der zentralen Themen vom Mays Brexit-Strategie werde sein, die Kontrolle über die britischen Grenzen zurückzugewinnen.
Wie der Austritt abläuft
Am 23. Juni haben die Briten in einer historischen Volksabstimmung entschieden, die EU zu verlassen (Brexit). In Artikel 50 des EU-Vertrags ist geregelt, wie der Austritt abläuft. Demnach muss die britische Regierung Brüssel zuerst formell über ihre Absicht in Kenntnis setzen, bevor die Verhandlungen über einen Austritt beginnen können. Die Austrittsverhandlungen müssen nach zwei Jahren abgeschlossen sein. Die Frist kann zwar verlängert werden - die Hürden dafür sind aber sehr hoch.
Die EU begibt sich mit dem britischen Austritt auf unbekanntes Terrain. Der Artikel 50 gibt zwar den Rahmen der Verhandlungen vor, regelt aber nicht alle Einzelheiten. Am 3. Februar wollen die Spitzen der 27 verbleibenden EU-Staaten auf Malta beraten, wie sie weiter vorgehen und die Union ohne die Briten gestalten wollen. Doch formal können sie die Leitlinien für die Verhandlungen erst nach der offiziellen Information über die Austrittsabsicht durch London festlegen.
Großbritannien als "großartige globale Handelsnation"
May wünsche sich, dass Großbritannien ein "Magnet für internationale Talente" und eine "großartige globale Handelsnation" sei, heißt es weiter in den Auszügen. May werde aber auch betonen, dass es im britischen Interesse sei, dass die EU erfolgreich bleibe. Details zu den Vorstellungen Mays über die künftigen Handelsbeziehungen mit der EU waren in den Auszügen aus dem Redetext nicht enthalten. Medienberichten zufolge strebt May jedoch auch an, Großbritannien aus dem Zuständigkeitsbereich des Europäischen Gerichtshof zu entfernen.
Das Problem für Großbritannien ist, dass die EU als Gegenleistung für den vollen Zugang zum gemeinsamen Markt die Freizügigkeit für ihre Bürger verlangt. Die Beschränkung der Einwanderung war aber für viele Briten der Hauptgrund, für den Brexit zu stimmen. Finanzminister Philip Hammond hatte gesagt, sollte es keine Einigung mit der EU über einen Zugang zum gemeinsamen Markt geben, könnte das Land sein Wirtschaftmodell überdenken. Diese Äußerungen wurden als Warnung interpretiert, Großbritannien könnte Unternehmenssteuern als Druckmittel bei den Brexit-Verhandlungen einsetzen. May will den formellen Austrittsprozess bis Ende März in Gang setzen.
Skepsis in Deutschland und Frankreich
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel dämpfte indes Erwartungen, es könne rasche Festlegungen geben. Letztlich zähle nur das, was als Austrittsantrag eingereicht werde, sagte Merkel am Montag in Berlin. Schützenhilfe könnte London in den Brexit-Verhandlungen von den USA bekommen. Der designierte US-Präsident Donald Trump hat nämlich einen raschen amerikanisch-britischen Handelspakt angekündigt. Er bezeichnete den Brexit als "großartig" und äußerte die Erwartung, dass weitere EU-Staaten dem Beispiel Londons folgen werden.
Frankreich hat unterdessen das Vorgehen Großbritanniens beim Brexit kritisiert. Die Regierung in London sei das Vorhaben EU-Austritt ohne ausreichende Vorbereitung angegangen, sagte Finanzminister Michel Sapin am Dienstag: "Niemand war bereit." Jetzt verlege sich die Regierung in London aufs "Improvisieren".
Dies zeige, wie "hilflos" die britische Führung in einer Situation agiere, die Teile der Regierung so nicht gewollt hätten. Die britische Premierministerin Theresa May wird sich zu Mittag in einer Grundsatzrede zum angestrebten Vorgehen bei dem geplanten EU-Ausstieg äußern. Laut Redetext wird sie sich dabei zum Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion bekennen.
Bisher hat sich May kaum dazu geäußert, welches Abkommen sie mit der EU anstrebt. Das Problem für Großbritannien ist, dass die EU als Gegenleistung für den vollen Zugang zum gemeinsamen Markt auf die in der Europäischen Union geltende Personenfreizügigkeit pocht. Die Beschränkung der Einwanderung war aber für viele Briten einer der Hauptgründe, in dem im Juni 2016 abgehaltenen Referendum für den Brexit zu stimmen.
Angst an den Börsen
An den europäischen Börsen ist jedenfalls die Angst zurück: Anleger haben am Dienstag wenige Stunden vor einer Grundsatzrede der britischen Premierministerin Theresa May über den Austritt ihres Landes aus der EU den Rückzug angetreten. DAX und EuroStoxx50 verloren jeweils gut ein halbes Prozent auf 11.486 und 3.281 Punkte. Auch in London machten Anleger Kasse.
Der Leitindex "Footsie" verlor 0,3 Prozent auf 7.303 Punkte, nachdem er in den Tagen zuvor noch von einem Rekord zum anderen geeilt war. "Die Unsicherheiten im Hinblick auf den Brexit nehmen wieder zu", sagte ein Aktienhändler. "Anleger haben das Thema lange verdrängt und gehen nun in Deckung, um nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden." Die Wiener Börse startete am Dienstag schwächer. Gegen 12 Uhr lag der ATX bei 2.646,32 Punkten, ein Minus von 0,83 Prozent.
Das Pfund Sterling, das nach den Medienberichten am Montag auf den tiefsten Stand seit drei Monaten gefallen war, erholte sich wieder und lag im Vorfeld der May-Rede ein Prozent im Plus bei 1,2160 Dollar. Dabei halfen auch überraschend hohe britische Inflationsdaten. Sollte es dabei bleiben, dass May einen "harten" Brexit erwäge, wäre das Risiko eines neuerlichen Pfund-Absturzes gering, sagte Commerzbank-Devisenanalystin Esther Reichelt.
Die Briten stimmten im vergangenen Juni in einer Volksbefragung für den Ausstieg aus der EU. An den Börsen hatte das damals zu schweren Turbulenzen geführt, der DAX verlor knapp sieben Prozent, der EuroStoxx50 war noch stärker eingebrochen. Doch der Schock hielt nicht lange an, schon nach wenigen Tagen holten die Börsen die Verluste wieder auf und wandten sich dem Tagesgeschäft zu.
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